Ein falsches Etikett

Eine Randbemerkung

Es ist ein recht bemerkenswertes Zeichen der Zeit, dass Christus bei den Männern des Fortschritts im Norden wieder beginnt, in die Gunst zu kommen… wenn auch in der Tat in einer überaus verzerrten Gestalt. Das christliche Banner, das im Lager des Fortschritts vor nicht allzu langer Zeit noch relativ unpopulär war und oftmals verschämt – als eine "Privatangelegenheit" – verschleiert wurde, breitet sich nun munter rundherum auf den Flügeln aus und scheint von Einzelnen dafür bestimmt, das gemeinsame Merkmal aller "Wegbereiter" zu werden. Überall hört man die Propheten der neuen Zeit predigen, dass nicht länger die Politik, nicht länger die Wissenschaft, sondern allein das "Christentum" dazu im Stande sei, die begonnene Entwicklung voranzutreiben.

Kürzlich war es Bjørnstjerne Bjørnson, der sich bei Friedensgesprächen überall im Land zum Sprecher der neuen Lehre aufschwang, einer Art amerikanischen Christentums, wie wir bei derselben Gelegenheit hörten. So weiß man, dass die Sache hiernach schnell in Mode kommen wird.

Es gibt kaum mehr eine gute, weltliche Sache, die nicht in das Christentum umgewandelt worden ist, oder bei der es nicht die Pflicht des Christentums geworden ist, diese anzuführen. Überall ruft man ungeduldig nach den Pfarrern. Soll eine Enthaltsamkeitsvereinigung gegründet, das Wahlrecht der Frauen eingeführt oder für Winterkleidung für die Kinder der Armen gesorgt werden – schon wird die ganze Christenheit zu den Waffen gerufen. Und auf dem Podium stehen die "neuchristlichen" Verkünder und schlagen auf gut amerikanisch die Faust auf das Pult und rufen Gott vor den Altar, sein Zeugnis abzulegen.

"Warum schweigt die Kirche,… was ist aus Christus geworden?", tönt es von diesen Leuten, die bei jeder Gelegenheit und ohne Weiteres Gott zur Diskussion stellen. "Indem es an der Durchführung von internationalen Gerichtsvereinbarungen mitwirkt, eine Lösung für die Frage nach den Arbeitslöhnen herbeiführt, muss das Christentum seine Existenzberechtigung beweisen. Andernfalls hat es sich selbst zum Tode verurteilt."

Letztendlich weiß man bis heute nicht wirklich, was man von dem Mischmasch aus Philanthropie, Staatsökonomie, Moral und Pädagogik halten soll, aus dem das protestantische "Christentum" dann zusammengerührt wird.

Was ist besonders christlich am Sinn für Nüchternheit und Gerechtigkeit hier auf Erden?

Was haben Kruppsche Kanonen und die Hosen armer Kinder mit der Verkündigung des Christentums zu schaffen?

Nichts, absolut nichts. Im Gegenteil!

Denn gerade als Christ darf sich ein Mensch ganz und gar nicht um die weltlichen Angelegenheiten kümmern. Als Steuerzahler, vortrefflich! Aber als Christ betrifft ihn einzig und allein Gottes Reich, das "nicht von dieser Welt ist".

Hört, was ein wahrer Christ wie Thomas von Kempen1 zu seiner Zeit über die Beziehung des Christen zur Welt und der weltlichen Ordnung schrieb:

Betrachte dich als Ausländer und Pilger auf Erden. Schließe dein Aug' und Ohr für alles Weltliche und bete unaufhörlich. Suche keine Ruhe in diesem Leben. Suche keinen Frieden bei den Menschen, sondern in Gott allein. Bete demütig zu dem Herrn, dass er dir den Geist der Niedergeschlagenheit beschert und sprich gleich dem Propheten: Versorge mich, oh Herr, mit Tränenbrot und gib mir reichliches Maß an Tränen zu trinken. – Aus Liebe zu Gott musst du mit Freude Schmerzen und Verfolgungen, Demütigungen, Beleidigungen und Verschmähung erdulden. Solches nützt der Tugend und bereitet dir die himmlische Krone.

So spricht ein wahrer Christ. So dünn muss man sich machen, um durch das Nadelöhr zu passen, das den Eingang zum Himmelreich bildet. So vollkommen muss die Weltentsagung sein, dass man mit Recht den Taufnamen tragen darf.

Sind wir nicht weit entfernt von der geistigen Unverschämtheit, die fordert, dass die Gottheit "sich dokumentieren" soll, bevor man sich auf sie einlässt. Sind wir nicht weit entfernt von dem praktischen Steuerzahler-Christentum, das das Soldatenunwesen vernichten, die Leute zum Verschließen der Brandweinflasche bringen, das Stimmrecht der Frauen einführen, dem Armen Suppe zum Brot und einen sorgenfreien Altersstand geben… kurz gesagt: den alten Traum von einem Schlaraffenland verwirklichen soll.

Aber wenn es eines gibt, das die christliche Lehre nicht beinhaltet, dann ist es das Versprechen eines Glückseligkeitsreichs hier auf Erden; ja, selbst das Streben danach ist, christlich gesehen, zu verurteilen. Denn die Welt ist ein unverbesserliches Jammertal, und "der, der anderes in der Welt sucht als Gott und seiner Seele Freiheit, wird nichts anderes finden als Plage und Beschwerlichkeit."

Wenn es dagegen etwas gibt, das definitiv heidnisch ist, dann ist es dieser Schlaraffenlandtraum, der sich seit den ältesten Tagen aus den aufrührerischen Gedanken der Menschen gegen die Gottheit zusammensetzte, die schon immer auf dem Erdenthron saß.

Manche werden vielleicht meinen, dass dieses christliche Etikett eher unwichtig ist, wenn es doch das gute, alte Lebenselixier des Heidentums ist, das das Geschäft besiegelt, – andere, dass es nicht so viel aussagt, solange nur der Taufname dadurch erneute Ehre und Würde erlangt. Beide Parteien liegen jedoch sicher falsch. Es gibt guten Grund, jede Verwechslung zu vermeiden, die allein für die geistliche Quacksalberei zu Verdienst und Freude werden kann: das Mixtum compositum aus religiösem Freidenkertum und unchristlichem Christentum, das die wahre Verleugnung ist.

 
[1] Thomas von Kempen: Zu Zitaten von Thomas von Kempen bei Pontoppidan siehe die Artikel von Einar Nielsen und Carl Roos. tilbage