Paul Ernst til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Sonnenhofen, Post Königsdorf, Ober Bayern. 10. juli 1920

die furchtbaren Zustände

Sonnenhofen, Post Königsdorf, O. Bay.
10. Juli 20

Hochverehrter Herr,

vielen herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief dessen Angaben mir sehr nützlich gewesen sind. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich recht erholen mögen, damit Sie noch vieles arbeiten können, das in dieser heute so traurigen Welt erfreuen und bessern kann.

Ich hätte mich von Herzen gefreut und es wäre mir eine grosse Ehre gewesen, wenn Sie mir einige Ihrer Werke in Deutscher Übersetzung geschickt hätten. Ich habe bereits Hans im Glück, das gelobte Land und den Teufel am Herd. Sie müssen Ihren deutschen Verlegern nicht gram sein, es können heute wertvolle Bücher bei uns nicht gedruckt werden. Wenn ein Verlag keine alten Papiervorräthe hat, so kommt ein Band wie das gelobte Land heute auf einen Ladenpreis von 40 Mark: dafür bezahlen die Papierfabriken auch 60% Dividende und die Arbeiter haben einen Jahresverdienst von 15.000 Mark. Diejenigen Leute aber, welche Ihre Bücher kaufen würden, haben nicht so viel Geld, um sich vor dem Verhungern zu schützen. Von meinen gesammelten Werken erscheint in den nächsten Tagen noch ein Band, dann hören sie auch auf – bis auf Weiteres, wie mich der Verleger tröstet; ich sehe aber nicht, dass auch späterhin eine Möglichkeit sein wird. Ich selber kann mich und meine Familie nur dadurch vor dem Hungertode schützen, dass ich rechtzeitig ein Bauerngut gekauft habe.

Unsere wirklichen Zustände sind im Ausland immer noch nicht genügend bekannt, deshalb werden auch wohl falsche Urteile über unser Volk verbreitet sein. Aber bedenken Sie, wie ein Volk nach aussen dastehen kann, in welchem fast die gesamten Vertreter des Geistes dem platten Hungertode geweiht sind, in welchem nur Proletarier und Wucherer übrig bleiben. Die Folgen dieses Krieges sind für uns dieselben Folgen, welche der dreissigjährige Krieg hatte. Ich glaube, dass ich die Schwächen meines Volkes deutlich sehe: aber ich sehe auch, was unsere Feinde, die Franzosen und Engländer sind. Wenn erst das deutsche Volk gänzlich vernichtet ist, dann wird auch Europa vernichtet sein.

Sie haben als Däne die beste Gelegenheit gehabt, zu sehen, was bei [uns] 2 schlecht war, denn Ihre Landsleute in Nordschleswig hatten alle Ursache, sich über die Preussische Herrschaft zu beklagen. Aber glauben Sie mir: was die Deutschen Ihren Landsleuten angethan haben, das geschah nur aus Ungeschicklichkeit und Dummheit. Die Preussen haben nie die Fähigkeit gehabt, sich in die Seelen Anderer zu versetzen, sie waren immer phantasielos; aber sie haben den Andern auch nicht vorgelogen und haben ehrlich gehandelt, wie es ihnen ihre Pflicht schien. Nie würde das deutsche Volk eine Schändlichkeit begangen haben, wie die Franzosen, welche unsere Frauen und Kinder den viehischen Gelüsten der Schwarzen opfern, wie die Engländer, welche uns kaltblutig dem Hungertod weihen.

Aber ich sage ja Nichts, als was Sie selber wissen werden, die Dichter sind ja dazu da, dass sie das Gewissen der Völker sind, der eigenen wie der andern, deshalb werden sie sich immer verstehen, auch wenn sie verschiedenen Völkern angehören; verzeihen Sie, wenn der Gedanke an mein ünglückliches Volk mich vergessen liess. Ich denke eben immer, dass die Menschen im Ausland, auch die besten und höchsten, uns heute falsch beurteilen müssen, weil sie die furchtbaren Zustände nicht kennen, in denen wir leben, die unser Volk natürlich seelisch krank machen müssen.

Mit Hochachtung und in Verehrung
Ihr sehr ergebner
Paul Ernst