Paul Ernst til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Sonnenhofen, Post Königsdorf, Ober Bayern. 20. august 1920

Sonnenhofen, Post Königsdorf, O. Bay.
20. Aug. 20

Sehr geehrter Herr, vielen herzlichen Dank für Ihren ausserordentlichen Roman1, den ich wieder, wie Alles von Ihnen, mit der tiefsten Anteilnahme gelesen habe und mit einer Erschütterung, wie ich es seit den fernen Tagen, als ich, zum ersten Male Tolstoi und Dostojewski las, nicht wieder verspürt habe.

Sie haben die Hölle des heutigen Lebens in einer Furchtbarkeit dargestellt, die vor Ihnen Niemand gehabt hat und wahrscheinlich nach Ihnen Niemand haben wird. Es wäre thöricht, einem Mann wie Ihnen über das Dichterische Etwas zu sagen: Sie arbeiten offenbar so bewusst, dass Sie diegleichen Bemerkungen selber besser machen könnten wie jeder Fremde. Nur möchte ich mir erlauben, Ihnen über den Gefühlsgehalt einige Worte zu schreiben.

Wir leben heute in Deutschland im tiefsten Elend: in einer nationalen Schmach, die bei einem Culturvolk unerhört ist, und in einer verzweifelten Lage unser äusseren Verhältnisse. Sie können sich von ihnen keine Vorstellungen machen. Denken Sie sich, was es für Sie bedeuten würde, wenn Sie Ihre Kinder am Tisch mit hungrigen Augen auf den Kartoffelnapf – die einzige Speiseschüssel – blicken sähen und ihnen versagen müssten, noch eine Kartoffel zu essen, weil noch für das Abendbrot übrig bleiben muss! Zu dieser Lage ist als heute bei uns Jeder von den höheren Ständen.

Was Sie schildern, das war bei uns auch, theilweise etwas in anderer Gestalt, theilweise auch wohl noch schlimmer. Die Noth thut uns sehr gut. Der grösste Theil der Nation versinkt zwar auch äusserlich in die Gemeinheit, in der er innerlich längst lebte, und offenbarer Betrug, Wucher und Diebstahl wird kaum noch verwundert angesehen. Aber der Theil der Nation – er ist ja sehr klein – in dem etwas Höheres ist, das uns durch das Wohlleben übertäubt 2 war, ermannt sich bereits. Ich habe das Unglück dieser Niederlage – das ich mir freilich so fürchterlich nicht vorstellte, mit körperlicher und seelischer Entartung, die durch Geschlechter hindurch gehen wird – meinem Volke gewünscht, denn ich hoffte, dass es ihm zum Guten dienen würde. Schon heute spüre ich die ersten Anfänge davon, und ich glaube, dass Deutschland eine Erneuerung finden wird, die auch den anderen Völkern – wenn sie wollen – zu gute kommen kann.

Hochachtgll und Erben
Dr. Paul Ernst

 
[1] Roman: sandsynligvis Totenreich der udkom i to bind 16.7.1920 på Insel-Verlag, oversat af Mathilde Mann efter De Dødes Rige, tredie udgave, 1919. tilbage