Der abstrakte Idealismus

(...) Allen diesen Formungsversuchen ist das Statische der Psychologie gemeinsam, die Verengerung der Seele ist als abstraktes Apriori unveränderlich gegeben. Darum war es natürlich, daß der Roman des neunzehnten Jahrhunderts, mit seinen Tendenzen zu psychologischer Bewegtheit und psychologistischer Auflösung, immer mehr von diesem Typus abkam und die Ursache der Unangemessenheit von Seele und Wirklichkeit in entgegengesetzten Richtungen suchte. Nur ein großer Roman, Pontoppidans "Hans im Glück" stellt den Versuch dar, diese Seelenstruktur zentral zu nehmen und in Bewegung und Entwicklung darzustellen. Durch diese Problemstellung ist eine völlig neue Kompositionsart gegeben: der Ausgangspunkt, das völlig sichere Gebundensein des Subjekts an das transzendente Wesen, ist zum Endziel, die dämonische Tendenz der Seele, sie von allem, was dieser Apriorität nicht entspricht, völlig abzutrennen, zur wirklichen Tendenz geworden. Während im "Don Quixote" der Grund aller Abenteuer die innere Sicherheit des Helden und die inadäquate Haltung der Welt ihr gegenüber war, so daß dem Dämonischen eine positive, treibende Rolle zukam, liegt hier die Einheit von Grund und Ziel verborgen, das Nicht-Entsprechen von Seele und Wirklichkeit wird rätselhaft und scheinbar völlig irrationell, denn die dämonische Verengerung der Seele zeigt sich nur negativ, im Fallenlassen-Müssen jedes Errungenen, weil es doch nicht "das" ist, was not tut, weil es breiter, empirischer, lebenhafter ist, als was die Seele zu suchen auszog. Während dort die Vollendung des Lebenskreislaufs die bunte Wiederholung desselben Abenteuers und sein Sich-Ausbreiten zum aliesenthaltenden Mittelpunkt der Totalität war, hat hier die Bewegung des Lebens eine eindeutige und bestimmte Richtung: zur Reinheit der rein zu sich gekommenen Seele, die aus ihren Abenteuern gelernt hat, daß nur sie selbst – in einer starren Abgeschlossenheit in sich selbst – ihrem tiefsten, alles beherrschenden Instinkte entsprechen kann; daß jeder Sieg über die Wirklichkeit eine Niederlage für die Seele ist, denn er verstrickt sie immer, bis zum Untergang, im Wesensfremden; daß jeder Verzicht auf ein erobertes Stück Wirklichkeit in Wahrheit ein Sieg ist, ein Schritt zur Eroberung des illusionsfrei gewordenen Selbst. Darum steckt die Ironie Pontoppidans darin, daß er seinen Helden überall siegen läßt, daß aber eine dämonische Gewalt ihn zwingt, alles Errungene als wertlos und uneigentlich anzusehen und es augenblicklich, sobald er es besitzt, fahrenzulassen. Und die merkwürdige innere Spannung entsteht daraus, daß der Sinn dieser negativen Dämonie sich erst am Schluß, bei erreichter Resignation des Helden, zu enthüllen vermag, um dem ganzen Leben eine retrospektive Klarheit der Sinnesimmanenz zu verleihen. Die deutlich gewordene Transzendenz dieses Abschlusses und ihre hier sichtbar werdende prästabilierte Harmonie zu der Seele werfen einen Schein der Notwendigkeit auf jede vorangegangene Verirrung, ja von ihnen aus gesehen, dreht sich die Bewegungsbeziehung von Seele und Welt um: es scheint als ob der Held immer derselbe geblieben wäre und als solcher ruhig in sich ruhend dem Vorbeiziehen der Ereignisse zugesehen hätte; als ob die ganze Handlung nur darin bestanden wäre, daß die Schleier, die diese Seele verhüllten, weggezogen wurden. Der dynamische Charakter der Psychologie wird als bloß scheinbare Dynamik enthüllt, jedoch – und darin liegt die große Meisterschaft Pontoppidans – erst nachdem sie mit ihrem Schein der Bewegung die Reise durch eine bewegte und lebendige Lebenstotalität ermöglicht hat. Daraus entsteht die isolierte Stellung dieses Werkes inmitten der modernen Romane: seine an die Alten gemahnende strenge Handlungsmäßigkeit, seine Abstinenz von jeder bloßen Psychologie; und stimmungsgemäß: die weite Entfernung, die die Resignation als Endgefühl dieses Romans von der enttäuschten Romantik anderer gleichzeitiger Werke besitzt.

 
[1] Die Theorie des Romans: udgivet på dansk 1994. tilbage
[2] Lukács´ elev Ernst Bloch skal have hævdet noget tilsvarende. tilbage
[3] Denne indledende notetekst, såvel som overskriften, er hentet i Omkring Lykke-Per, s. 138. Men teksten er her korrekturlæst efter 1962-udgaven. Det citerede tekststykke er slutningen af 1. kaptel i II.del: "Versuch einer Typologie der Romanform". tilbage