Selbstgespräch

Donnerstag.

Es ist oft sehr beängstigend, wie kriegerisch, ja geradezu blutdürstig Menschen werden können, wenn die Gefahr weit genug weg ist. In dieser Zeit, zu der die Griechen im Begriff stehen, sich in einen Krieg zu stürzen, um ihre Landsleute vom Joch der Türken zu befreien, flammt die Begeisterung für Heldenmut und Heldentaten wieder in den Herzen des dänischen Volkes auf und bringt die runden Wangen zum Glühen, genau wie nach einer Ohrfeige. Ohne einen Anflug von Selbstironie jubeln wir der kleinen tapferen Nation zu, die trotz der Warnungen, ja Drohungen aller sechs Großmächte für ihre Brüder das Schwert ziehen mit dem Schlachtruf: Sieg oder Tod. Wir jubeln ihnen zu und feuern sie an. Wir rufen ihnen in Vers und Prosa zu: Zum Kampf! Zum Kampf! Zeig keine Furcht, du kühne, kleine Schar! Was zum Henker kümmern euch die jämmerlichen Großmächte. Den Mutigen gehört die Welt.

Bei all dem kann man schwerlich vermeiden, daran zu denken, dass wir ja auch selbst einige Stammesverwandte haben, von denen wir uns sicherlich wünschen könnten, dass sie von fremder Herrschaft befreit würden. Aber sprechen wir hierüber, tun wir dies – vernünftigerweise – erheblich weniger lautstark. Da kennen wir nur die Worte: Geduld und Unterwerfung. Ja, wir sind mit der Zeit so ängstlich geworden, dass es beinahe als Landesverrat betrachtet wird, nicht alles gleichermaßen gut zu finden, was aus Deutschland kommt, obwohl wir ja in den letzten Jahren recht reichlich aus dieser Quelle geschöpft haben. Wir sind kurz davor, einander zu überwachen, als verdächtigten wir uns gegenseitig, Verbrecher zu sein. Sch! Nicht eine gerunzelte Stirn von Gedser bis Skagen.

Ist das verständlich?

Zum Glück ist es jetzt – wie gesagt – das fernere Kampfgetöse, das den Wikingergeist in unserer Brust erweckt. Es ist wirklich ein großes Glück für uns, dass wir endlich unsere kriegerischen Neigungen gegenüber unserem großen Nachbarn im Süden bekämpft haben. Stattdessen begnügen wir uns damit, ihnen den Türken gegenüber Luft zu machen, bei denen sie kaum mehr Unruhe stiften werden als es ohnehin schon gibt. Es gibt wohl keinen einzigen vernünftigen Mann mehr hierzulande, der sich nicht darüber im Klaren ist, dass wir um jeden Preis sogar den bloßen Anschein davon vermeiden müssen, einen eventuellen europäischen Konflikt zu einem Versuch benutzen zu wollen, altes Recht südlich der Königsau mit unseren Kanonen geltend zu machen.

Na schön.

Aber deswegen kann es doch nicht notwendig sein, dass wir immer mit wedelndem Schwanz vor dem Hof in Berlin liegen. Weil wir nicht mit Schwertern auf Schilde schlagen, müssen wir doch nicht permanentes Muffensausen haben und sofort vor Schreck wackelige Beine bekommen, weil z.B. ein Mitbürger eine englische Prinzessin ebenso mag wie eine deutsche. Gerade weil wir uns so laut und einstimmig, wie geschehen, für die Aufgabe aller Revanchepläne ausgesprochen haben, müssen wir wohl unsere Angelegenheiten innerhalb unserer eigenen Grenzen nach eigenem Ermessen in Ordnung bringen können, ohne immer ängstlich zu der Stadt an der Spree zu schielen. Falls wir die Selbstbestimmung in unserem eigenen Haus nur damit bewahren könnten, dass wir uns zu Deutschlands Diener erniedrigen, würde es zu sehr an die Erzählung vom unverständlichen Verhalten eines Bauernjungen erinnern, der sich zum Knecht des Abdeckers erniedrigte, um sich sein eigener Herr nennen zu können. Falls wir doch Kaiser Wilhelm zum Vormund haben müssen, falls es wirklich zur Bewahrung unserer Selbstständigkeit notwendig sein sollte, dass wir uns langsam in kleinmütiger Ehrfurcht vor allem, was deutsch ist, übten und in unseren Staatsorganismus – wie wir es die letzten fünfzehn Jahre getan haben – immer mehr den Geist aus Berlin blasen, dann würde es schwierig werden, zu verstehen, warum wir uns am Ende dafür interessieren sollten, ob unsere politische Grenze ein bisschen nach Norden oder ein bisschen nach Süden verschoben würde. Falls wirklich einmal unsere Südjüten durch die Gunst des Schicksals für das Mutterland zurückgewonnen würden, wäre es ja denkbar, dass sie sich bedankten und vorzögen zu bleiben, wo sie sind. Und das wäre in diesem Fall wirklich nicht ganz unverständlich.

Henrik Pontoppidan.