Unter Gelehrten

In einem der kürzlich erschienenen Vier psychiatrische Vorträge des Oberarztes K. Pontoppidan, der bereits allgemeines Interesse hervorgerufen hat und der von jedem gelesen werden sollte, beklagt der Verfasser die Lust der Laien, über die seelischen Leiden ihrer Anverwandten zu "dozieren", da sie gemeinhin glauben, "das Urteil des Sachkundigen anzweifeln und es ohne Weiteres verwerfen zu können, was sie weder als unpassend noch unschicklich empfinden."

Man hört und sieht oft, dass unser Ärztestand diese Klage hervorbringt. Denn die Allgemeinheit glaubt, sich nicht nur auf Nervenleiden, sondern auch auf geschwollene Finger und Magenverstimmungen zu verstehen.

Die Verärgerung der Ärzte über das fehlende bedingungslose Vertrauen der Laien in ihre wissenschaftliche Forschung ist sehr verständlich. Doch die anhaltend eigensinnige Haltung der Allgemeinheit ist nicht vollkommen unerklärlich.

Denn es zeigt sich, sozusagen jeden Tag, dass die "unzweifelhaften Tatsachen", auf die sich die ärztewissenschaftlichen Autoritäten oft berufen, nicht so unerschütterlich sind, wie sie sein sollten, sofern man ausgehend von diesen – wie aus einer uneinnehmbaren Festung – Krieg gegen die Quacksalberei führen möchte.

Denn selbst im Kreise der Ärzte herrschen auf verschiedenen Gebieten die gegensätzlichsten Auffassungen vor.

Einer meiner Bekannten, der Handelsreisender war und deshalb keine dauerhafte Bleibe oder einen festen Arzt hatte, fühlte sich auf einer Reise eine geraume Zeit lang unwohl. Er wandte sich daher an einen Arzt in der Stadt, in der er sich momentan aufhielt, einen Spezialisten für Verdauungsleiden.

Dieser gelehrte Mann untersuchte ihn äußerlich und innerlich, befragte ihn stundenlang über dessen Leben und Gewohnheiten und gab ihm schließlich ziemlich viele gute Ratschläge und Anweisungen. Der Patient sollte die verlorenen Kräfte durch eine gehaltvolle Ernährung wiedererlangen. Er sollte viel Fleisch und Ei essen, Porter trinken, kalte Duschbäder nehmen – insgesamt nach englischer Manier leben, dann würde er gewiss genesen.

Mein Bekannter befolgte präzise sämtliche Vorschriften des Arztes, doch er fühlte sich dessen ungeachtet keineswegs besser. Im Gegenteil. Er wurde immer kraftloser und magerer, seine Verdauung verschlechterte sich beständig.

Daraufhin entschied er, einen weiteren Spezialisten in einer anderen Stadt aufzusuchen. Dieser gelehrte Mann untersuchte ihn ebenfalls äußerlich und innerlich mit größter Sorgfalt, erkundigte sich nach dessen Leben und Gewohnheiten, schüttelte schließlich den Kopf und hielt ihm einen ausführlichen Vortrag.

Der Patient – sagte er – habe sich durch seine zu gehaltvolle Ernährung ruiniert. Dies sei heutzutage eines der großen Laster der Menschen, dass sie weit mehr Nährstoffe zu sich nähmen, als der Körper aufnehmen könne, wodurch die Verdauungsorgane allzu frühzeitig zerstört würden.

Man solle am besten überhaupt kein Fleisch essen, sondern sich auf Milch, Hafergrütze, etwas Ei, Kartoffeln und ähnlich leichte Speisen beschränken. Er wisse, dass manche Ärzte diese Gesundheitsregeln nicht anerkennen wollten, doch dies sei bedeutungslos für die unumstößlichen Fakten – und als mein Bekannter hierauf ein paar zaghafte Einwände gegen den Nutzen von derart viel Askese wagte, wurde der gelehrte Mann wütend und machte ihm heftige Vorhaltungen über die Eigensinnigkeit und das mangelnde Vertrauen der Allgemeinheit in die wissenschaftliche Forschung.

Fast schäme ich mich hinzufügen zu müssen, dass mein Bekannter, als ihm die Anweisungen und Verordnungen dieser Autorität auch nicht zu Kräften verhalfen, sich an einen "weisen" Schmied auf dem Land wandte, der ihm anbot, jeden Abend vor dem Zubettgehen eine Wünschelrute über seinen Kopf zu schwenken, ansonsten erlaubte er ihm aber zu leben, wie es ihm beliebte. Und ich muss der Wahrheit halber gestehen, dass er von diesem Zeitpunkt an genas und seitdem bei bester Gesundheit ist.

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Da gab es noch einen anderen Mann, der hatte eine Tochter. Der Mann hatte sein ganzes Leben Autoritäten vertraut, auch den ärztewissenschaftlichen.

Selbstverständlich sollte die Tochter nach allen Regeln der Wissenschaft erzogen werden. Vor allem durfte sie kein Korsett tragen. Darüber hatte man bereits genug gelesen, wie verheerend solch ein Korsett für die ungehinderte Entwicklung des Körpers und die Gesundheit zukünftiger Mütter war! In einem von einem Arzt herausgegebenen Buch, in dem die deformierenden Auswirkungen solch "widernatürlicher Teufelsvorrichtungen" mit stark ermahnenden Worten geschildert wurden, hatte der fürsorgliche Vater ein Doppelbild gesehen, auf dem der Oberkörper der Venus von Milo zum Vergleich mit dem Oberkörper einer Dame abgebildet war, die von Kindesbeinen an ein Korsett getragen hatte. Welch ein grauenvoller Unterschied! Ja, der Arzt musste recht haben. Ein Korsett zu tragen, war nichts Geringeres als die abscheulichste Versündigung wider die Natur.

Also trug seine junge Tochter keine Zwangsjacke und bekam daher jene Figur, die ihr unser Herrgott zugedacht hatte. Doch eben aus diesem Grund war ihr bei den Herren kein Glück beschieden und sie musste – obwohl ansonsten recht hübsch – große Zurückweisung hinnehmen.

Der Vater tröstete sowohl sich als auch sie damit, dass sie zu gegebener Zeit für ihre Aufopferung belohnt werden würde. Wenn sie älter sei, würde sie sich weitaus länger als die anderen die Kraft und Gesundheit der Jugend bewahren, und wenn sie vermählt sei, würde sie mühelos gesunde Kinder gebären, während ihre Freundinnen, die zurzeit aufgrund ihrer Wespentaillen in den Ballsälen Triumphe feierten, rasch verwelkten und unter elenden Umständen kranke und bleiche Nachkommen zur Welt brächten.

Was die Niederkunft anbelangte, erhielt die junge Dame allerdings keine Gelegenheit, ihre Überlegenheit beweisen zu können. Sie wurde nämlich – ebenfalls aufgrund des fehlenden Korsetts und der dadurch ausladenden, viel zu "natürlichen" Figur – gar nicht vermählt. Ihre Freundinnen hingegen schon, und – welch ein Wunder – trotz Wespentaille bewahrten sie sowohl ihre Jugend als auch ihre Gesundheit und setzten sogar zahlreiche gesunde, rotbackige Kinder in die Welt.

Der folgsame Vater verstand das nicht. Doch er sollte noch mehr Grund haben, sich zu wundern.

Es zeigte sich nämlich, dass vielmehr seine Tochter rasch verwelkte und, noch bevor sie das dreißigste Lebensjahr erreicht hatte, sowohl ihre Jugend als auch ihre Gesundheit einbüßte. Schließlich bekam sie eine bestimmte Krankheit, ein Unterleibsleiden, weshalb sie einen der stadtbekanntesten Spezialisten auf diesem Gebiet aufsuchen musste.

Nachdem der Professor sie untersucht und sich nach ihrer Lebensweise erkundigt hatte, fragte er:

"Sie haben kein Korsett getragen?"

"Nein!", antwortete der Vater, der auch zugegen war, stolz.

"Ja, gerade daher rührt das Unglück! Aus diesem Grund mussten Sie dieses Leid erdulden, und nun sollten Sie sich als Erstes ein Korsett besorgen." – Und er fuhr mit einem kleinen Vortrag darüber fort, wie verderblich es für junge Frauen sei, auf die Stütze, die ein Korsett dem Körper gebe, zu verzichten. Ohne eine solche Stütze drücke und laste der Oberkörper auf den zarten inneren Organen mit einem Gewicht, dem diese nicht standhalten könnten. Selbst ein kräftig geschnürtes Korsett verursache keinen Schaden, und es gebe zahlreiche Beispiele, dass Frauen, die von Kindesbeinen an Tag und Nacht ein Korsett getragen hätten, ihre jugendliche Gesundheit außergewöhnlich lange bewahrt und mühelos Kinder geboren hätten.

Der folgsame Vater war vollkommen bestürzt.

"Aber … die Venus von Milo!", rief er schließlich aus und erzählte, was er gelesen und gesehen hatte.

"Ja, mein lieber Herr", entgegnete der Professor lächelnd. "Hätte die hübsche Dame von Milo lange ohne Korsett in dieser Stellung, in der sie dargestellt ist, gestanden, hätte sie sich leicht ein gefährliches" – und er nannte exakt jene Krankheit, an der seine Tochter litt – "zuziehen können."

Von jenem Tag an regte sich im Inneren des folgsamen Vaters eine aufrührerische Neigung. Und er beschloss, niemals mehr irgendeiner Autorität Glauben zu schenken.

H. P.