Paul Ernst til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Sonnenhofen, Post Königsdorf, Ober Bayern. 23. oktober 1922
Sonnenhofen, Post Königsdorf, O. Bay.
23 Oct 22
Lieber und verehrter Herr Pontoppidan, vielen herzlichen Dank für Ihre gütige Unterstützung und den freundlichen Brief. Ich glaube, dass Ihre Stimme sehr gewichtig in die Schale fallen wird, denn auch in Stockholm wird man wissen, dass Sie und Heidenstam neben dem nun toten Mistral1 die einzigen Preisträger wird, welche es mit Recht sind: so verschieden die drei Dichterpersönlichkeiten sind. Mir waren in meiner Jugend Tolstoi und Dostojewsky Führer und Berather. Unter den heutigen Dichtern weiss ich keinen, den ich diesen Männern an die Seite stellen kann, als Sie; und so macht es mich denn stolz, dass gerade Sie ein Wort für mich einlegen – keinen ausser noch Per Hallström2 wüsste ich, dem ich dafür so dankbar wäre.
Sie haben recht, dass unsere Verhältnisse sehr schwer sind. Vielleicht könnten Sie bis nun im Ausland ein zutreffende Bild von ihnen haben; jetzt, seit etwa 14 Tagen, spitzt es sich so zu, dass Sie es nur noch schwer werden verfolgen können. Es tritt jetzt ein, was notwendig eintreten musste: das Volk hat die ganzen Jahre von Capital gelebt; Schieber und Proletarier haben geprasst und geschlemmt; unsere Feinde haben uns ausgesogen; nun ist das Capital aufgebraucht. Gestern theilte mir mein Verlag mit – ein grosser Verlag von 11 Millionen Goldmark Aktienkapital – dass er kein Geld mehr habe, um einen Band neu zu drucken, der gedruckt werden müsste. Und wie es hier geht, so geht es auch anderswo. Schon finden die ersten Betriebseinstellungen und Arbeiterentlassungen statt, und in 8 Wochen werden wir eine überwältigende Arbeitslosigkeit haben. Dabei kostet der Centner Kohlen 1000 Mark und ein Pfund Brot 35 Mark, und es steht ein schlimmer Winter bevor. Es wird eine Verzweiflung sein, wie sie noch nie war, und die 20 Millionen Deutsche, die für die Franzosen zu viel in der Welt sind, werden sich gegenseitig erwürgen.
Ich selber mit meiner Familie bin bis jetzt noch durch gekommen. Aber das Vermögen meiner beiden älteren Kinder – zusammen 300.000 Mark – ist nun für das Studium verbraucht, und ich kann die 2 letzen Semester meines Sohnes nur dadurch ermöglichen, dass ich aus der Schweiz eine zufällige Einnahme in Franken bekam. Nach Beendigung des sehr schweren Studiums sind meine Kinder dann also "gebildete Proletarier", sie werden glücklich sein, wenn sie den kärglichsten Lebensunterhalt finden. Meine gute Frau und ich mit dem Jüngsten leben auf dem Bauernhof: aber schon sind die Steuern und Ausgaben so hoch, dass es fraglich ist, ob wir den Betrieb aufrecht halten können. Der Preis wäre einfach eine Rettung für mich und meine Angehörigen und würde mir ermöglichen, dass ich mein grosses Epos fertig mache, an dem ich schon seit Monaten nicht mehr arbeiten kann, weil Sorgen und Erwerbsarbeit mich hindern.
Aber die Leiden des Einzelnen bedeuten ja nur Etwas, insofern sie symptomatisch sind für das Leiden der Nation, und sie sind nur insofern schwer zu nehmen, als die Vernichtung der Träger von Geist und Gesittung in Kürze doch die Vernichtung des ganzen Volkes zur folge haben muss. In einem Menschenalter wird es voraussichtlich keine deutsche Wissenschaft mehr geben, denn ihre 2 Träger werden ausgerottet; und da unsere Dichtung immer innig verknüpft mit dem wissenschaftlichen Leben war, so wird auch sie vernichtet sein. Die russischen Zustände werden sich bei uns wiederholen, nur noch furchtbarer dadurch, dass wir einen ungünstigeren Procentsatz von Industrie und Landwirtschaft haben.
Auch ich denke viel an die schönen Stunden, die ich bei Ihnen und in Ihrem freundlichen Heim verleben durfte. Ich habe meiner Frau viel von ihnen erzählt, und sie weiss in Ihren Stuben mit den schönen alten Möbeln und den schönen Büchern und dem Blick auf den Kanal eben so Bescheid wie ich. Hier leben wir ganz abgeschlossen auf einem "Einzelhof"; das Dorf ist eine Viertelstunde entfernt und liegt hinter den Hügeln, von unserem Hügel sehen wir nur Wiesen, Wälder und Schneeberge. Aber die Verzweiflung des Vaterlandes macht sich auch in diesem abgelegenen Bauernhaus durch tausend kleine und grosse Dinge bemerkbar – ich sehne mich so nach Ruhe, um meine Arbeit machen zu können, von der ich denke, dass sie nützlich für mein Volk werden kann.
Nun geht es zum Winter; ich will wünschen und hoffen, dass Sie ihn gesund durchleben und nicht wieder durch Ihr altes Leiden geplagt werden, damit Sie arbeiten können. Viele Grüsse an Ihre verehrte Gattin, und vielen, herzlichen Dank für alle Freundschaft
Ihr ergebener
Paul Ernst
[tilføjet af fru Else Ernst:]
Verehrte Frau Pontoppidan! Darf ich Ihnen als Frau meines Mannes mit wenigen Worten danken für Ihre Grüsse, und für die warmen, herzlichen Worte Ihres Mannes, hinter denen ja auch Sie stehen. Wenn wir auch die Schwierigkeiten unserer persönlichen Lage mit Zuversicht und Heiterkeit zu überwinden suchen, so leidet doch mein Mann so schwer unter der Not seines Volkes und darunter, dass er persönlich nicht eingreifen kann, dass ich für jedes herzliche und verständnissvolle Wort, das von aussen kommt, sehr dankbar bin. Denn es macht ihm neuen Mut.
Es grüsst Sie
Ihre Ihnen dankbar ergebene
Else Ernst