Paul Ernst til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Sonnenhofen, Post Königsdorf, Ober Bayern. 18. december 1921
18. Decemb. 21 | Sonnenhofen, Post Königsdorf, O. Bay. |
Lieber und verehrter Herr Pontoppidan,
eben machte ich einen kleinen Kreuzband zurecht, um Ihnen eine kleine Erinnerung zu senden, als Ihr freundlicher und gütiger Brief1 kam. Er war in dieser trüben Zeit ein Lichtblick für mich: Sie haben wohl recht, die Menschen welche das Rechte wünschen und das Gute wollen sind bei allen Völkern so wenige, dass es ein Fest ohnegleichen ist, wenn man sich einmal trifft. Was Sie in Ihrem kleinen Land von Isolierung schreiben, das trifft auf mich in meinem grossen Land auch zu. Ich lebe hier auf meinem Bauernhof in den Bergen nicht einsamer, als ich mitten in Berlin leben würde.
Die Aussichten für Europa und den wenigeren Geist, der noch übrig ist, werden immer düsterer. Vielleicht wird es England heute klar, was es begangen hat, als es Deutchland vernichtete, das der Friedenshort Europas war. Nun ist Frankreich der Herr Europas geworden und wird bald seine Neger gegen uns loslassen, um uns auch als Volk zu vernichten, und gleichzeitig wird England zusammenbrechen. Ich fürchte, dass auch Dänemark mit in die Catastrophe hineingezogen wird, und zwar durch eine sociale Revolution.
Nun, Europa war zum Untergang reif, es muss wohl so sein, dass in allen Völkern die Dümmsten und Gemeinsten zur Herrschaft kommen, um die Schlussrechnung zu ziehen. Nur: was werden nach dem endgültigen Zusammenbruch für Möglichkeiten eines künftigen Lebens noch sein? Mich schaudert vor 2 den nächsten Jahren, noch mehr aber vor dem Zustand, der dann eintreten wird, wenn nur noch Proletarier und Neger da sein werden. Ich war jetzt im besetzetn Gebiet und habe gesehen, wie die Schwarzen dort hausen.
Sie haben in unübertrefflicher Weise die innere Leere der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt, die heute zusammenbricht und uns, die wir denn doch wahrhaftig unschuldig an ihr sind, mit begräbt. Ich lese jetzt die Schrift Augustins "de civitate dei": so, wie ich dieses Buch heute lese, wird man später einmal Ihre Bücher lesen und aus ihnen unsere Zeit verstehen. Ach, aber was bedeutet das für den Dichter: Wir wollen doch für unser Volk arbeiten (ich betrachte die skandinavischen Völker und Deutschland als eine Einheit) – und unser Volk wird verschwinden, wie das Volk verschwunden ist, für das Augustin schrieb. Seit Wochen schon kann ich nicht mehr arbeiten; die skandinavische Reise war meine letzte Freude.
Sie haben in einem Ihrer Bücher (Das gelobte Land) gezeigt, wie auch die Religion diesen seelenlosen Menschen von heute zum Fluch wird. Aber doch glaube ich, dass nur der Glauben an eine Vorsehung, und zwar eine gütige Vorsehung, uns in dieser Verzweiflung erhalten kann. Gott führt die Menschheit seiner Wege, und wir können diese Wege nicht verstehen, wir müssen nur denken, dass sie zum Guten führen – das ist wohl unserer Weisheit letzter Schluss.
3 Meine Frau dankt Ihnen und Ihrer Gattin herzlich für Ihr Gedenken. Sie bereitet nun alles auf Weihnachten vor, die beiden Söhne sind zu Hause, sie sind noch jung und können sich des Augenblicks noch freuen. Auch Sie werden Ihre Kinder zu Hause haben, wenn die Festtage kommen: wir wünschen Ihnen Beiden, dass Sie sich mit ihnen so freuen mögen, wie das in dieser Zeit angeht.
In herzlicher Dankbarkeit und mit vielen Grüssen von uns Beiden an Sie Beide
Ihr hochachtungsvoll ergebner
Paul Ernst