Paul Ernst til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Sonnenhofen, Post Königsdorf, Ober Bayern. 30. maj 1920

Sonnenhofen, Post Königsdorf, O. Bay.
30 Mai 20

Sehr geehrter Herr, die Freundlichkeit, mit welcher Sie sich über meine Arbeiten ausgesprochen haben, ermuthigt mich, mit einer Bitte an Sie zu treten.

Mein Verleger kam von einer Reise nach Berlin mit der Nachricht zurück, er habe von einem zuverlässigen Mann gehört, es sei von der schwedischen Akademie der Wissenschaften an die Berliner Akademie eine Anfrage ergangen, ob man mich in Deutschland für geignet halte, den Nobelpreis zu bekommen. Ich erkundigte mich sofort bei Prof. Roethe1, welcher als der heute hervorragendste Germanist darüber etwas wissen muss, und erfuhr von ihm, dass die Nachricht nicht wahr sei.

Nun wäre mir mit dem Preis aber sehr gedient, und er würde, wenn ich ihn bekäme, im Sinne des Stifters verliehen werden; was ja, wie Sie wissen, durchaus nicht immer der Fall gewesen ist; denn er ist ausdrucklich bestimmt für Männer, welche eine wertvolle dichterische Arbeit leisten und mit dieser nicht so viel verdienen, dass sie von ihr leben können; der Preis soll als Capital betrachtet werden, dessen Zinsen ihnen erlauben, ohne Brotarbeit nur für die Dichtung zu leben. Man hat ihn aber in vielen Fallen an Männer gegeben, welche die reichlichsten Einnahmen aus ihren Werken hatten.

Ich würde nun heute in der Lage sein, unabhängig von der Erwerbsarbeit zu leben, wenn nicht unser Unglück und damit die Vertheuerung und der Steuerdruck gekommen wäre. Ich habe ein kleines Vermögen – das ich rechtzeitig angewendet habe, mir ein Bauerngut zu kaufen – von dem ich etwa 2.500 M. jährlich Zinsen habe und ich bekomme von meinem Verleger jetzt (seit 2 Jahren)√ jährlich 2.400 M., sodass ich, mit noch einigen kleinen Nebeneinnahmen etwa 6000 M. jährlich habe. Mit dieser Summe bin ich früher ausgekommen, und wenn unsere Verhältnisse die alten geblieben wären, so würde ich heute mich vollständig meiner dichterischen Arbeit widmen können. So aber muss ich meine Hauptkraft auf das Schreiben von Artikeln für die Zeitungen verwenden.

Nun habe ich aber eine Arbeit vor, welche die äusserste Concentrierung verlangt. Ich habe in früheren Jahren mich so eingerichtet, dass ich die Erwerbsarbeit auf einige Monate zusammen schob, um so den Rest des Jahres für 2 mich zu behalten. Das war möglich, weil ich früher meine Hauptarbeit auf meine Dramen wendete und ein Drama ein kurzes Werk ist, das ein abgeschlossenes Erlebnis darstellt, aus dem nicht in dem Sinn Fäden weiter laufen, dass man nicht unterbrechen könnte. Jetzt aber habe ich eine lange und weitausschauende epische Arbeit vor, für welche ich mich völlig vom äusseren Leben abschneiden muss, und zwar für die Dauer von etwa 15 Jahren, also für den voraussichtlichen Rest meines Lebens. Ich will die Geschichte des deutschen Volkes von der Urzeit bis 1250, wo die Entwicklung abgebrochen ist, in einem grossen Epos darstellen, das eine ganze Reihe von Bänden umfassen soll, und mein Wunsch ist, durch diese Arbeit meinem Volk mit zu dem zu verhelfen, das ihm wesentlich fehlt, nämlich zu einem Bewusstsein und einer Erkenntnis seiner Nationalität. Diese liegt m. E.2, wie bei dem russischen Volk, im Seelischen, ist aber viel schwerer zu erfassen, wie bei den Russen. Ich denke, dass ich, wenn nur meine Aufgabe gelänge, nicht nur meinem Volk einen Dienst erwiese, sondern auch Europa; denn vielleicht würde dann Europa die Deutschen verstehen; heute versteht es uns nicht, und das ist nicht nur ein Unglück für uns, sondern auch für Europa.

Nun war mein Verleger auf den Gedanken gekommen, an diejenigen Männer in Schweden, von denen anzunehmen wäre, dass sie ein Verständnis für meine Arbeiten haben und die zugleich einen Einfluss geltend machen können, meine Bücher zu schicken; er kennt sie aber nicht, und ich bin in Schweden auch unbekannt. Ich habe eine grosse Verehrung für Heidenstam, weiss aber nicht, wie er über meine Werke denken kann; es wäre möglich, dass sie ihm nicht lyrisch genug sind. Sie haben in Dänemark doch immer mehr Kenntnisse von den schwedischen Verhältnissen: würden Sie mir vielleicht einige Männer nennen können, welche in Frage kämen? Ich wäre Ihnen von Herzen dankbar.

Von Frau Mann erhielt ich einen Gruss von Ihnen, für den ich Ihnen herzlich danke. Ich wünsche von Herzen, dass Ihre Gattin wieder gesund geworden sein möge und sich des heute so schönen Sommers erfreue.

Hochachtungsvoll und Ergeben
Dr. Paul Ernst

 
[1] Roethe: Gustav Roethe (1859-1926) professor i germanistik ved Friedrich-Wilhelms-Universität i Berlin. tilbage
[2] m.E.: meines Erachtens = efter min mening. tilbage