Tagebuch

achter November

Gestern war ich draußen auf dem Land in einem Dorf namens Ilum. Das Dorf liegt versteckt zwischen drei großen kahlen Bodenwellen1, so dass man es nicht sieht, bevor man genau darübersteht.

Dass es sich versteckt, ist vielleicht recht vernünftig von ihm. Es gibt dort nicht besonders viel zu sehen. Einen Dorfteich, drei neue Höfe, zwei alte und eine Reihe Häuser – das ist alles.

Ich war auch vielmehr wegen der Kirche und des Friedhofs hier herausgefahren.

Die Kirche liegt, fast eine Viertelmeile vom Dorf entfernt, einsam oben auf einem Hügel, der wie eine hohe Landzunge in den Fjord hineinragt. Bloß ein schmaler Kamm verbindet den Ort mit dem übrigen Land und nur spärliches Gras und vom Wetter zerzauster Weißdorn bedecken den Sand der Landzunge.

An gewöhnlichen Tagen liegt die alte Steinkirche daher vollkommen ungestört. Nur der alte, dürre Glöckner, den alle nur den "Tod" nennen, kommt jeden Morgen und Abend langsam vom Dorf heraufgewandert, die langen, knochigen Arme bedeutungsvoll über dem Rücken verschränkt, um einige schreckliche Töne hervorzuschütteln, über die Füchse hinweg, die hier zwischen den Dornen herumschleichen, über zwei Schafe, die nahe der Friedhofsmauer grasen und hin und wieder über einen einsamen Fischer, der mit seinem Boot unten an den steilen Abhängen liegt und Köder schleppt.

An den Sonntagen allerdings, insbesondere an den großen Festtagen, wird es hier lebhaft.

So wuselt es auf allen Wegen in der Gegend nur so von Fußgängern im Gänsemarsch und schnell dahinrollenden Fahrzeugen. Fischerfamilien kommen in Booten über den Fjord gesegelt und legen bei den großen Steinen am Strand an. Von dort tragen die Männer die Frauen an Land. Und während der "Tod" die Glocken zum Läuten bringt, so dass der gesamte Turm zu summen anfängt, versammelt sich die ganze Gemeinde mit andächtigem Husten und Räuspern und Schnauben in der klammen Kirche, in der es im Winter so kalt werden kann, dass das Wasser im Taufbecken gefriert und der Pfarrer in Binsenschuhen2 und großen Fäustlingen auf der Kanzel steht.

Der Pfarrer ist ein herrlicher Mann und ein vortrefflicher Prediger. Bloß erwähnt er den Teufel mit knirschenden Zähnen in jedem dritten Satz. Und wenn er "Gott" sagt, macht er ein langes Gesicht, als hätte er ein hartgekochtes Ei im Mund. Aber wenn er richtig wütend wird, haut er mit so einem Radau aufs Pult, dass selbst dem heiligen Petrus – der sich, aus Holz geschnitzt, zusammen mit den anderen Aposteln an der Seite der Kanzel befindet – einmal vor Schreck die Kinnlade heruntergefallen ist.

Auf dem Weg hinauf zur Kirche traf ich einen alten Mann.

Ich kannte ihn von früher und war unbestreitbar etwas überrascht, ihm zu begegnen, denn ich dachte gehört zu haben, dass er sich erhängt hätte.

So groß war meine Verwunderung, dass ich völlig selbstvergessen direkt auf ihn zugehe und ihm erzähle, was ich meinte, gehört zu haben.

Da schlug er die Hände zusammen und brach in ein derart herzliches Gelächter aus, dass er beinahe in die Knie sank.

"Das ist doch nicht wahr oder? Dachten Sie wirklich, ich hätte mich erhängt? – Ha, ha, ha! – Der ist gut! Der ist großartig! Den muss ich gleich zu Hause der Frau erzählen! Ha, ha, ha! – Ich habe ja viel gehört in meinem Leben – aber, mein Gott, der ist der beste! – –"

Ich fühlte mich zweifellos etwas beschämt, aber konnte dennoch ein Lächeln nicht unterdrücken, denn der Alte stolperte unter fortwährendem Lachanfall eilig nach Hause, um von seinem Erlebnis zu berichten.

Die Sonne ging gerade unter. Oben von der Kirche begann der "Tod" zu läuten.

Urbanus.

 
[1] Wellenförmige Erhebungen in der Landschaft. Langgezogene Hügel. tilbage
[2] Aus Binsen geflochtene Schuhe, welche im Winter als zusätzliche Isolierung über die normalen Schuhe gezogen wurden. tilbage