Selbstgespräch
Samstag, der 13. März 1897.
Ich erinnere mich, dass ein älterer, interessierter Herr mir neulich die Gewissensfrage stellte, welchen Beruf ich wählen würde, falls ich noch in dem Alter wäre, in dem man überhaupt wählen könne. Ich erinnere mich auch, dass ich ohne Zögern antwortete: Autor. Und das meinte ich auch so. Vor allem heutzutage, da es für einen Autor weniger darum geht, Talent zu haben als darum, sich einen geschäftstüchtigen Verleger zu beschaffen, der einem durch seine Anzeigen und Einbände im Voraus den Erfolg sichern kann, ist es ein wahrer Segen, sich rechtzeitig der Schreibkunst gewidmet zu haben. Ehe man sich versieht, ist man berühmt. Ja, selbst ein europäischer Ruhm kann einem eines Tages seinen Heiligenschein um den Kopf legen, ohne dass man selbst das Geringste dafür getan hat. So genoss ich selbst vor einigen Jahren die Ehre, in Hessen-Darmstadt weltberühmt zu sein, wo damals eine Dame wohnte, die sämtliche skandinavischen Novellen übersetzte, die sie kostenlos in die Finger bekommen konnte, indem sie als eine Art Gegenleistung all die geplünderten Autoren zu Genies ersten Ranges ernannte. Leider machte ich eines Tages den Fehler, durch Erwähnung des Unwortes Honorar das Empfinden dieser Dame zu verletzen, und sogleich verblasste mein Stern am hessisch-darmstädtischen Firmament. Nun ärgere ich mich oft über meinen Mangel an Welterfahrung. Wer weiß, welche Dienste ich im Stande gewesen wäre, meinem Vaterland zu leisten, wenn ich nicht damals mein Ansehen zerstört hätte? Vielleicht wäre es dann ich und nicht Peter Nansen gewesen, der durch das Schreiben von Artikeln für die Deutsche Rundschau1 dazu beigetragen hätte "unsere politische Grenze gen Süden zu regulieren". Es ärgert mich zweifellos, dass Nansen so ganz allein diese alte Grenz-Affäre meistern soll. Offen gestanden, ich gönne es ihm nicht.
Was mich betrifft, weiß ich im Übrigen, dass es nicht das Streben nach Lorbeeren war, das meinen Lebensweg bestimmt hat. Geht es um die Frage nach Ehre vertrete ich voll und ganz Falstaffs Standpunkt2. Ich bitte um etwas für Körper und Geist. Der Ruhm, den ein Mensch genießt, ist gar nicht sein Eigentum, sondern eine Art anvertrautes Gut, für das er die Verantwortung trägt, an dem er ansonsten aber keine Freude hat. Ein wirklich berühmter Mann fühlt sich bestimmt wie jemand, der Hundertausende von Kronen in seiner Brusttasche herumträgt, ohne die Erlaubnis zu haben, auch nur eine Öre davon auszugeben. Er hat nur die Gewissheit, sie zu besitzen – und die Angst, sie zu verlieren. Soweit ich weiß ist es diese ewige Angst, die alle berühmten Menschen so schrecklich nervös macht. – – Nein, der Ehre wegen sollte man nicht zum Stift greifen. Dann wegen des Gewinns? Das kann sich hören lassen. Und doch muss ich sagen, dass es auch nicht dieser Aspekt ist, der mich bisher gereizt hat. Dafür habe ich von Kindesbeinen an zu oft von der Armut dänischer Schriftsteller als unabwendbares Los gehört und ich begann nicht zu schreiben, bevor ich mir nicht ein halbes Bett3 in Zimmermanns Stiftung gesichert hatte. Aber was geschieht? Heute lese ich in der Politiken (Anm.: dän. Tageszeitung) einen eingesandten Beitrag einer Dame, die dem kürzlich verstorbenen Dichter Anton Nielsen nahestand. Sie legt Einspruch gegen die Auffassung ein, dass der alte Autor in dürftigen Verhältnissen gelebt habe, indem sie anhand konkreter Zahlen seinen Nachlass darlegt und mitteilt, dass es sich dabei um nicht weniger als 14 Tausend Kronen – vierzehntausend Kronen – handelte, "ganz abgesehen von einem ordentlichen Mobiliar". Ich griff mir an die Stirn. Welch ein Wohlstand! Allerdings wurde Anton Nielsen 70 Jahre alt und war eine Zeit lang ein außerordentlich beliebter Autor und darüber hinaus ein sehr fleißiger Publizist, der sozusagen während seiner gesamten Verfassertätigkeit einen Band pro Jahr herausgab, der außerdem sowohl Lehrer als auch Schuldirektor gewesen war, was wohl auch ein wenig abgeworfen haben dürfte. Aber dennoch! Welch ein Trost für einen Autor, darauf hoffen zu dürfen, dass er nach 70 Jahren fleißigen und selbstaufopfernden Strebens möglicherweise seinen Kindern wenn nicht gerade Vierzehntausend Kronen, so doch in jedem Falle "ein ordentliches Mobiliar" hinterlassen kann. – Es gab nur eine einzige Passage in dem kleinen Aufsatz, der während der Lektüre mein Misstrauen weckte. Dort stand, dass ein wesentlicher Teil des Jahreseinkommens des verstorbenen Verfassers aus "einer Dichtergage von 1000 Kronen" bestand. Dichtergage? Was ist das denn? fragte ich mich und dachte augenblicklich an die wenigen "Ehrengaben" des Staates – bis mir aufging, dass das Wort eine poetische Umschreibung für das war, was sonst – auch offiziell – "ministerielle Unterstützung" genannt wird. Aber Unterstützung? Das Wort scheint ein vorhandenes Bedürfnis vorauszusetzen, was es in diesem Fall auch tatsächlich war. Die ministeriellen Unterstützungen kenne ich aus eigener Erfahrung. Sie werden im Hinblick auf das Unvermögen des Betreffenden, den eigenen Unterhalt zu finanzieren, verteilt. Sie sind eine Art Almosen, für deren Verwendung man verpflichtet ist, Rechenschaft abzulegen und deren Nutzen oder Zweckmäßigkeit man nachzuweisen hat. – Darauf lief das also hinaus!
Ach nein, ich glaube trotzdem nicht, dass es sich auszahlt, den Stift um des ordentlichen Mobiliars willen zu führen. Also bleibe ich lieber dabei, zu meinem eigenen Vergnügen zu schreiben. Das kann mir niemand nehmen. Und dafür muss ich auch keine Rechenschaft ablegen.
H. P.