Das Dagmartheater

Nach der Aufführung von Der Bucklige1, die genug Lebenskraft zu haben scheint, um sich noch eine Weile auf dem Spielplan zu halten, präsentierte sich gestern Abend eine sogenannte Neujahrsrevue2, die einen ziemlich fadenscheinigen Eindruck hinterließ.

Dieser Ablauf ist von hunderten ähnlichen Revuen bekannt. Ein bedrängter Journalist, der um fünf vor zwölf mit dem Schreiben eines fehlenden Neujahrsfeuilletons einer Zeitung seine Sporen verdienen soll, und der sich vergebens den Kopf zerbricht um eine Idee zu finden, erhält letztlich Hilfe von Fantasus3, der in Fräulein Albrechts4 luftig gekleideter Gestalt aus dem Papierkorb emporsteigt. Sie schwingt ihren Zauberstab, und in einer Traumerscheinung passieren ihm die größten Ereignisse des Jahres Revue.

Dafür herhalten muss – hoffentlich zum letzten Mal! – natürlich wieder die Ausstellung5. Davon ausgehend werden verschiedene bekannte Persönlichkeiten herangezogen, woraufhin der Spaß im Redaktionsbüro mit einem schönen Tanz in bengalischem Feuer endet.

Das Ganze sind ziemlich fade Scherze. Zumal schon der Versuch taktlos wirkt, einen großen norwegischen Dichter und Sittlichkeitsapostel6 auf derselben Bühne in flacher Manier lächerlich zu machen, auf der er im Laufe des Jahres mit einer Festvorstellung geehrt wurde.

Es ist nicht leicht zu verstehen, was das Dagmartheater dazu getrieben hat, mit der Revue-Bühne7 auf der anderen Seite der Straße zu konkurrieren. Denn auch keiner der Spielenden vermittelt den Eindruck, genug Feuerwerk für derartige Neujahrspossen zu haben. Und die Vorstellung war ohnehin wahrhaftig lang genug.

Dennoch feierte Herr Neumann8 einen neuen Triumph mit ein paar Repliken als verwegener Sozialist.

Das Publikum nahm die Vorstellung mit Dankbarkeit auf.

L.

 
[1] Volkskomödie in fünf Akten und einem Vorspiel von Paul Féval und Anicet Bourgeois. Ins Dänische übersetzt von Erik Bøgh. Deutscher Übersetzter unbekannt, 1857 im Deutschen herausgegeben von August Zang. Premiere im Dagmartheater am 25.11.1888, wurde 54 Mal aufgeführt bis zum 3.5.1889. tilbage
[2] Einaktiges Gelegenheits-Singspiel von Frits Holst, Richard Kaufmann und Robert Watt, wurde "in leicht abgewandelter Gestalt" am 1.1.1889 im Dagmartheater uraufgeführt, wo es bis zum 14.1.1889 zwölf Mal aufgeführt wurde. Das Stück wurde davor (Neujahr 1873) im Volkstheater aufgeführt. tilbage
[3] Fantasus ist der Name des Gottes der Fantasie in der griechischen Mythologie, Bruder des Morpheus, Gott des Schlafes. tilbage
[4] Fräulein Albrecht: Emma Charlotte Albrecht (1864-1949). tilbage
[5] Die nordische Industrie-, Landwirtschafts- und Kunstausstellung in Kopenhagen, die von Mai bis November 1888 andauerte. tilbage
[6] Dichter und Sittlichkeitsapostel: Bjørnstjerne Bjørnson. Das Dagmartheater hatte in Gegenwart des Dichters samt Frau und Tochter eine Extravorstellung seines Debattierstückes Ein Handschuh am 17.12.1887 gegeben (es hatte am 14.12.1887 Premiere gefeiert). Eine Reportage der Politiken ließ jedoch nicht auf eine besondere Feier bei dieser Gelegenheit schließen, da nur mitgeteilt wurde, dass "das Haus sehr spärlich besetzt war". Da Pontoppidan Bjørnson bereits damals gerne verspottete, kann diese Stelle auch ironisch gemeint sein. tilbage
[7] Etablissement National, Varieté-Theater, eröffnet 1882. tilbage
[8] Victor Neumann (1853-1925). tilbage