Ein Stoßseufzer

Von all den täglichen Plagen, die einen friedfertigen Bewohner1 von Dänemarks Hauptstadt treffen, kann sich sicherlich keine mit denen messen, die der Anzahl von Hunden und der Unzahl von Klavieren geschuldet sind, die sich innerhalb der Stadtgrenzen befinden.

Erstere streifen in unseren schmalen Straßen umher und machen diese unsicher und schmutzig. Letztere zerstören sämtlichen Frieden und alle Ruhe in unseren Heimen, indem ihre schneidenden Töne von allen Seiten und zu allen Zeiten durch die dünnen Wände und Decken der Kopenhagener Häuser zu uns durchdringen, sodass man entweder mit einem halben Pfund Watte in jedes Ohr gestopft leben oder riskieren muss, seine Nerven innerhalb eines Monats völlig aufzureiben.

Für Hunde gibt es immerhin eine ansehnliche Steuer, die sogar noch erhöht werden soll, und ihr Erscheinungsbild unterliegt ja auch einer gewissen Kontrolle, selbst wenn sie davon wesentlich mehr vertragen könnten. Die anderen lärmenden Bestien haben dagegen die Erlaubnis, ihre menschenvernichtende Tätigkeit ungehindert und unkontrolliert zu entfalten, sodass sie es anderen als Tauben und Stummen beinahe unmöglich machen, die Kopenhagener Häuser zu bewohnen.

Es ist verwunderlich, dass die Hausbesitzer Kopenhagens noch nicht aus eigenem Interesse hiergegen vorgegangen sind. Während man, wenn man eine Wohnung mietet, sorgfältig angeben muss, wie viele Kinder man hat oder noch vorhat zu bekommen und während es in jedem Mietvertrag eine Menge Verbote gegen unerhebliche und harmlose Dinge gibt, wie bspw. eine Katze ohne Erlaubnis des Eigentümers zu halten, so wird doch nie gefragt, wie viele Klaviere man mitbringt und jedes unbeschäftigte Fräulein kann Tag und Nacht das Haus mit ihrem Gejammer erfüllen ohne dass sich jemand traut dagegen einzuschreiten.

Die schlimmsten von allen sind natürlich die Klavierlehrer und -lehrerinnen, die die Schüler zuhause unterrichten – und gibt es die hier in Kopenhagen nicht beinah in jedem zweiten größeren Haus?

Dass ein Hauseigentümer diesen Leuten gestattet, seine übrigen Mieter 8–10 Stunden täglich zu martern, ist eigentlich unbegreiflich. Es sollten spezielle Kasernen für einen solchen Unterricht gebaut werden und es wäre im Großen und Ganzen sicherlich nicht zu viel verlangt, wenn diejenigen, die sich in größerem Maßstab mit Musik zu verlustieren wünschen, auf eigens dafür vorgesehene Räumlichkeiten verwiesen würden – selbstverständlich hübsche und gemütliche Räume, verteilt über die einzelnen Stadtviertel – so wie die anderen Bürger, die mit Sport oder anderer lärmender Unterhaltung Erholung für Körper und Seele suchen.

Bis dies der Fall ist, werden Ruhe liebende Leute – und die dürften doch den Großteil der Kopenhagener Bevölkerung ausmachen – ihren Frieden außerhalb der Stadt in den kleinen Villen am Ost- oder Westrand suchen, wo sie sich dagegen schützen können, dass die musikalischen Fingerübungen sie reif für die Anstalt machen. Und nach und nach werden die großen Mietskasernen Kopenhagens immer mehr vereinsamen, so lange, bis entweder alle großen musikalischen Marterinstrumente aus den Häusern verbannt sind oder Decken und Wände so gebaut werden, dass sie ein Durchdringen verhindern können.

Der Verfasser dieser Zeilen hat seit dem Umzug das Pech, in einer Wohnung zu leben, über der eine Musiklehrerin wohnt, bei der acht Stunden lang geklimpert wird, und unten drunter ein hübsches, 15-jähriges Fräulein, das energisch darauf hinarbeitet, aufs Konservatorium zu kommen. Da es nichts fruchtete (im Gegenteil möchte ich fast sagen), als ich mich zunächst an den Vermieter und anschließend an die Beteiligten selbst wandte, kündigte ich natürlich meine Wohnung und nun hält man mich sowohl im Erdgeschoss als auch im zweiten Stock für einen boshaften Spielverderber, der einzig aufgetaucht ist, um Zerstörung zu säen. Die Musiklehrerin – eine jüngere Methusalemine – macht ihrer Empörung jedes Mal lautstark Luft auf dem Klavier, sobald sie mich auf der Treppe hört; und das hübsche 15-jährige Fräulein misst mich jedes Mal, wenn wir uns am Eingang treffen, mit einem solch verächtlichen Blick von Kopf bis Fuß, als ob es sie schmerzte, dass sie ihrem gekränkten Künstlerherz nicht mit einem aufrichtigen: "Was für ein Kamel!" Luft machen kann.

Bei der Wohnung, die ich jetzt miete2, habe ich mich versichert, dass von 16–19 Uhr weder über noch unter mir gespielt wird. Wenn in Zukunft nur jeder diese Klausel in seinem Mietvertrag hätte.

Ein Ruheliebender.

 
[1] Bewohner: Pontoppidan wohnte im Herbst 1888 in der Frederiksberg Allé 27 im Erdgeschoss (vgl. den Brief an Galschiøt vom 12.10.1988). Um den 1.12.1888 zog er in den Engtofteweg 3 in den 2. Stock (vgl. den Brief an Edv. Brandes vom 1.12.1988). In diesem Haus im Engtofteweg wohnten zu diesem Zeitpunkt zwei Musiklehrerinnen: Im 3. Stock das 26-jährige Fräulein Therese Sophie Rømer und im Erdgeschoss das 30-jährige Fräulein Anna Elisabeth Mogensen. tilbage
[2] Wohnung: aus einem Brief an Axel Lundegård vom 13.4.1889 geht hervor, dass Pontoppidan am 15.04.1889 aus dem Engtofteweg wegziehen werde. tilbage