Paul Ernst til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Sonnenhofen, Ober Bayern. 16. februar 1918

neben Tolstoi und Dostojewski

Sonnenhofen
Post Königsdorf
Oberbayern
16. Febr. [1918]

Sehr geehrter Herr, für Ihre freundlichen und gütigen Zeilen1 sage ich Ihnen meinen allerherzlichsten Dank. Sie haben mich sehr überrascht, denn ich dachte nicht, dass Sie meinen Namen kennten. Meine Bücher werden in meinem Vaterlande so wenig beachtet, dass ich nicht annehmen kann, dass sie ausserhalb desselben auch nur äusserlich bekannt sind.

Sie werden das, was ich Ihnen schreibe, nicht als leere Schmeichelei auffassen: ich habe für keinen lebenden Dichter eine solche Verehrung wie für Sie, und Ihre Werke, welche mir zugänglich sind, 2 stehen für mein Gefühl dichterisch neben denen von Tolstoi und Dostojewski und überragen sie an reiner Menschlichkeit und dichterischer Vernunft.

Ihre warmen Worte, welche in meine Einsamkeit kamen, haben mir sehr wohl gethan, und ich habe mir gesagt, dass vielleicht auch Sie sich allein fühlen, und dass ich deshalb die Scheu überwinden muss, Ihnen meine Gefühle kund zu geben. Noch Tolstoi und Dostojewski hatten ja das Glück, in ihrem Volk zu stehen; der Dichter von heute steht gänzlich ausserhalb seines Volkes. Wir können in diesem Krieg bis heute ja nur die Zerstörung Europas sehen; aber vielleicht bereitet sich gerade durch ihn etwas Neues vor, vielleicht darf nach seiner Beendigung der Dichter wieder zur Menschheit sprechen, 3 statt, wie bisher, seit dem Zusammenbruch des deutschen alten Idealismus, nur zu seiner Nation. Ich habe in Ihren Werken, besonders in "Hans im Glück" derartiges gespürt.

Vielleicht kennen Sie meinen Roman "Der schmale Weg zum Glück", der ins Dänische übersetzt2 ist. Ich bin mit dem Buch nicht zufrieden, denn ich bin nicht von Natur Romandichter, ich bin Dramatiker. Wenn ich die Scherereien der Censur überwinden kann, werd ich mir erlauben, Ihnen eines meiner Werke zu senden, die ich für gelungen halte.

In tiefer Verehrung und
in herzlicher Dankbarkeit
Paul Ernst

 
[1] Zeilen: brevet kendes ikke. tilbage
[2] übersetzt: Den trange Vej til Lykken, 1912. tilbage