Henrik Pontoppidan til Paul Ernst
Sendt fra Overgaden neden Vandet 15. 8. december 1920

der grösste lebende Dichter des Landes


8.12.20.
Overgaden n. Vandet 15,
Kopenhagen, C.

Hochverehrter Herr Doktor!

Wir nähern uns Weihnachten und Neujahr, und indem wir zurückblicken, fangen wir an uns einen Ueberblick über die Erlebnisse des Jahres zu bilden. Auch nach Sonnenhofen1 gehen meine Gedanken oft in dieser Zeit. Ich habe ja im Laufe des Jahres so manches Mal mit Ihnen in Ihren Büchern gelebt, nun zuletzt in den zwei Bänden2 lustiger Geschichten, welche Sie mir so freundlich sandten. Ich verstehe, dass Sie das Bedürfnis empfunden haben, zu versuchen durch Scherz sich selbst und Ihre Landsleute etwas von dem Druck zu befreien, unter welchem das deutsche Volk zur Zeit leidet. Was Sie selbst betrifft, so ist dieses Ihnen wohl kaum gelungen. Dies geht auch deutlich genug aus Ihrem offenherzigen Brief an mich hervor. Das war ja auch nicht von einem Mann Ihrer Art zu erwarten. Und ich verstehe – oder glaube zu verstehen – dass das was Sie am meisten niederdrückt, Deutschlands eigene Schuld an der furchtbaren Katastrophe ist. Doch in diesem Punkt scheint das Verständnis bei dem grössten Teil Ihrer Landsleute noch mit grossen Vorurteilen kämpfen zu müssen. Aus diesem Grunde fällt es selbst uns Neutralen manchmal schwer, von Herzen an dem Leiden des deutschen Volkes teilzunehmen.

Im übrigen müssen Sie nicht glauben, dass wir andern ganz von den unglücklichen Folgen des Krieges verschont geblieben sind. Weit davon entfernt! Wir Dänen haben unsere Nordschleswiger wieder zurückbekommen, und darüber sind wir 2 sehr froh. Doch unsere Oekonomie ist erschüttert, unsere Staatsschuld ist ungeheuer gestiegen, unser Valutakurs ist fallend; demzufolge eine Teuerung und eine Notlage, wie wir sie seit den Napoleonskriegen nicht gekannt haben. Wir werden von England gebrandschatzt, dessen Kohlen wir nicht entbehren können, und ich kann Ihnen versichern, dass bei uns auch mancher Gelehrter und mancher angesehene Schriftsteller sitzt, der Not leidet. Es sind die bildenden Künste und die Schauspielhäuser, die den Profit von den neuen Kriegsmillionären gehabt haben, während die Verleger wegen der grossen Herstellungskosten keine Bücher herauszugeben wagen. Ich nehme an, dass die Lage bei Ihnen ungefähr die gleiche ist. Deshalb ist es mir schmerzlich zu sehen, dass der Goldregen des Nobelpreises in diesem Jahr auf die Schweiz3 und auf Norwegen4 fiel, jedoch nicht auf Sonnenhofen, und überhaupt auf keins der Länder, wo derselbe gerade jetzt von grösstem Segen sein würde. In Norwegen wurde der Preis ausserdem einem Verfasser erteilt, der im voraus bereits gut situiert war, während der grösste lebende Dichter des Landes – Hans E. Kinck – schwer mit dem Auskommen ringen soll. Doch dies war sicher kaum die Absicht des Legatstifters mit dem Preis.

Mit allen guten Wünschen für Sie und Ihren Arbeitsfrieden verbleibe ich, hochverehrter Herr Doktor

Ihr sehr ergebener
Henrik Pontoppidan

 
[1] Sonnenhofen: Paul Ernsts bopæl, 50 km syd for München. tilbage
[2] zwei Bänden: Komödiantengeschichten og Spitzbubengeschichten, begge 1920. tilbage
[3] Carl Spitteler, 1919. tilbage
[4] Knut Hamsun, 1920. tilbage