Tagebuch

Heute Abend ist Martinsabend.

Auf dem Land – zumindest in Nordseeland – wird dieser Tag ebenso festlich wie Heiligabend gefeiert. Man isst Milchreis und Braten zu Abend, spielt Karten um Æbleskiver1, brät Blutwürste, trinkt warmen Rumpunsch, man knabbert an Süßigkeiten und küsst sich in den Ecken – genau wie beim Fest zur Erinnerung an die Geburt unseres Herrn Christus.

In den Städten, wo die religiöse Einfalt auf dem Weg ist, sich kläglich zu verlaufen, hat man diese schöne Tradition nur an wenigen Orten bewahrt. In Kopenhagen gedenkt man der Heiligkeit des Tages allenfalls mit dem Verspeisen einer Gans.

Warum ausgerechnet eine Gans.

Ehrlich gesagt kommt es mir so vor, als stünde die fortwährende Verwendung dieses dummen Vogels bei unseren heiligen Festen im Widerspruch zu unseren edelsten Gefühlen. Am Heiligabend sind es schließlich auch immer die Gänse, die den Kopf hinhalten müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ursprünglich Spott darin verstecken wollte. Aber zweifelsohne sieht es fast danach aus.

Auf dem Land schlachtet man zum Martinsabend und an Weihnachten ein Schwein. Das erscheint mir im Übrigen auch nicht ganz passend. Warum bloß ausgerechnet Schwein und Gans – unsere zwei watschelndsten und gefräßigsten Haustiere? Warum nicht zum Beispiel lieber die frommen Tauben oder die weißen Lämmer?

Gebratene Tauben sind schließlich auch ein recht angenehmes Gericht, und der Gedanke an Lammfrikassee zum Heiligabend gefällt mir.

Jetzt, da Weihnachten vor der Tür steht, stelle ich das ernsthaft zur Debatte – unter anderem, weil ich finde, dass die Dummheit der Gans darin besteht, dass sie nur so wenig schmeckt.

Ich weiß ja, dass diese Ansicht nicht der Norm entspricht. Doch auf dem Gebiet des Geschmacks herrscht wie überall Aberglaube. Wenn die Leute für gewöhnlich einen fetten Gänsebraten für eine der größten Delikatessen halten, die dem menschlichen Gaumen geboten werden kann, dann einzig und allein, weil ihnen diese Lehre seit Jahrhunderten gepredigt wurde.

Würden die Leute sich nur einmal die Mühe machen, diesen Mastvogel eigenhändig zu untersuchen – dieses Schwein unter den Vögeln, das fett geworden ist, weil ihm das Fliegen verwehrt wurde, kämen sie zu dem Schluss, dass dieser Vogelspeck in Wirklichkeit scheußlich schmeckt. Um den Aberglauben zu feiern, ist die Gans daher ein überaus passender Vogel.

Aber die Rede war ja von Weihnachten und dem heiligen Martinsabend.

Urbanus.

 
[1] Æbleskiver: Traditionelles dänisches Weihnachtsgebäck ähnlich den norddeutschen Förtchen. tilbage