Ludwig Kornel til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Wipplingerstrasse 20, Wien. 28. april 1925

über Sie und Ihr Leben zu schreiben

Rechtsanwalt
Dr. Ludwig Kornel
Wien
I. Wipplingerstrasse 20

Wien, am 28.IV.25.

An Herrn Henrik Pontoppidan,
Kopenhagen
Köpenhamn C
Overgaden Neden Vandet 15

Hochverehrter Meister!

Seitdem ich Ihre beiden grossen Romane "Hans im Glück" und "Totenreich" gelesen habe, zähle ich zu Ihren Bewunderern. Diese beiden Bücher haben wie das Evangelium einer Offenbarung auf mich gewirkt. Ich glaube, dass sie mehr als alles, was jemals geschrieben wurde, zur Versöhnung der Menschen und Völker beitragen könnten, ich glaube, dass sich eine neue Religion der Erlösung in ihnen ankündigt. Verzeihen Sie, hochverehrter Meister, wenn ich mich vielleicht in etwas aufdringlicher und plumper Art ausdrücke: Es drängt mich, Ihnen zu sagen, dass ich Sie für einen der bedeutendsten Repräsentanten des Jahrhunderts halte und in Ihnen einen Schöpfer verehre, der mit Dostojewsky und Romain Rolland in eine Reihe zu stellen ist.

Ich dürfte es nicht wagen, meine Bewunderung für Sie in so rückhaltsloser Form auszusprechen, wenn ich befürchten müsste, missverstanden und für einen Schmeichler gehalten zu werden. Sicherlich gibt es sehr viele Menschen in allen Ländern, wo Ihre Bücher erschienen sind, die ähnlich denken wie ich. Umsomehr schmerzt es mich, dass Ihr Name in den Gegenden deutscher Zunge noch immer nicht jenen 2 vertrauten Klang besitzt, der ihm nach der Bedeutung seines Trägers zukommt. Ich empfinde es als edle Aufgabe, ja beinahe als Pflicht, meine bescheidene Kraft dafür einzusetzen, dass Ihre Werke, hochverehrter Herr, in den weitesten Kreisen bekannt werden. Seit langem trage ich den Wunsch in mir, über Sie und Ihr Leben zu schreiben. Leider gelang es mir nicht, ausser den dürftigen biographischen Andeutungen, welche Sie in Ihrer Novelle "Das hohe Lied" geben, irgend welche Quellen über Ihr Leben und Schaffen aufzutreiben.

So ist mir nun der Gedanke gekommen, mich an Sie, hochverehrter Meister, persönlich zu wenden und Sie zu bitten, mir einige Daten zur Verfügung zu stellen. Insbesondere würden mich diejenigen Ihrer Werke interessieren, welche bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurden, wo und wann dieselben erschienen sind, was sie behandeln u.s.w.

Ich würde es als grosse Ehre und als besondere Auszeichnung empfinden, wenn Sie, hochverehrter Herr, meine Bitte erfüllen wollten. Ich bin Rechtsanwalt, betätige mich aber in meiner freien Zeit auch ein wenig schriftstellerisch. Um nun jedwedem Missverständnis vorzubeugen, möchte ich erwähnen, dass ich nicht in meiner Eigenschaft als Rechtsanwalt, sondern lediglich als Privatperson mit literarischen Neigungen an Sie schreibe, als Mensch, dessen Enthusiasmus für Ihre Kunst, vielleicht zu unbeherrscht ist, um vor einer kleinen Aufdringlichkeit zurückzuscheuen.

Hochverehrter Meister, bitte, fassen sie dieses Schreiben nicht ungünstig auf. Verzeihen Sie, dass ich mich der deutschen Sprache bedienen muss, da ich leider keine skandinavische Sprache beherrsche. Und wenn Sie mich nicht für ganz unwürdig halten, antworten Sie mir, womöglich in deutscher, französischer oder 3 englischer Sprache.

Mit dem Ausdrucke dankbarer Verehrung und Bewunderung

Ihr ganz ergebener

L. Kornel