Paul Ernst til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Sonnenhofen, Post Königsdorf, Ober Bayern. 20. januar 1919

Sonnenhofen, Post Königsdorf, O. Bayern
20 Jan. 19

Sehr geehrter Herr,

anbei erlaube ich mir, Ihnen zwei soeben erschienene Bände meiner gesammelten Schriften zu übersenden, welche ich Sie bitte, als ein Zeichen meiner dankbaren und tiefen Verehrung für Sie annehmen zu wollen. Diejenigen Ihrer Werke, welche mir durch Übersetzung zugänglich waren, gehören zu den paar Büchern – die Finger der einen Hand genügen, um sie aufzuzählen – welche die Hoffnung geben, dass das geistige Europa, das Europa der deutschen klassischen Dichtung bis zu der russischen Dichtung von Tolstoi und Dostojewsky nicht ausgestorben ist.

Ich habe versucht, in dem einen Buch die Ursachen für das Unglück meines Vaterlandes darzustellen. Sie sind meinem Volke noch immer nicht klar geworden und der wahrscheinlich ungünstige Eindruck, den es heute auf die Aussenstehenden macht, rührt von diesem Umstand her. Der Krieg war für alle betheiligten Mächte ein Hazardspiel, das Unglück hätte auch unsere Gegner treffen können und hätte dann ähnliche, bei einigen vielleicht noch schlimmere Folgen gehabt. Sie sind in der glücklichen Lage, in einem kleinen Land zu leben, in welchem die Stimme der geistigen Führer des Volkes nicht durch das, was man "Organisation" nennt, nämlich durch das verwirrte Geräusch der grossen Masse, übertönt wird. Dass mein Volk noch immer nicht zur Selbstbesinnung kommt, das rührt nicht von einem Mangel an inneren Kräften her, sondern das kommet von dieser Massenhaftigkeit.

Hochvll und ergeben [Hochachtungsvoll und ergeben]
Dr. Paul Ernst