Der Stein der Weisen

Es war einmal ein Jüngling; er hatte vom Stein der Weisen gehört, der alle Sorgen tilgte und alle Wunden heilte und alle Schmerzen linderte; – und als er Bartflaum bekam, zog er in die Welt hinaus, um ihn aufzusuchen.

Er suchte bei der Quelle der Liebe, zu der die hübschen Mädchen der Stadt jeden Abend kamen, um Wasser mit großen Lehmkrügen zu schöpfen. Er ging in Sack und Asche hinauf zum Glaubensberg und stieg hinab in die tiefsten Tiefen der Weisheit … aber nirgends fand er Trost für seine Sorgen oder Heilung für seine Wunden.

Da erfuhr er von einem Mann, der alleine mit einer Wölfin in der Wüste lebte. Dieser war ein verbannter König, der über alle Länder regiert hatte, vom Meer der Morgenröte bis hin zu den Ebenen der Abendsonne; der in einem Schloss gelebt hatte mit fünfhundert Goldzinnen und der die schönste Tochter der Erde zur Frau gehabt hatte. Jetzt lebte er wie ein Bettler in einer erbärmlichen Erdhütte, verraten von seinem Volk, verlassen von seiner Ehefrau, verhöhnt und verstoßen von seinen eigenen Söhnen, die ihm die Augen ausgestochen und ihn ins Elend getrieben hatten, um sich seines Thrones zu bemächtigen.

Als der Jüngling davon erfuhr, zog er aus in die Wüste, um diesen Mann aufzusuchen.

Er traf ihn an, als er auf einem Stein vor seiner Erdhöhle saß und mit fünf Wolfsjungen spielte, die auf dem Rücken lagen und um ihn herum im Sand zappelten. Sein Haar und sein Bart waren weiß, wie die eines alten Mannes, seine Riesengestalt war gebeugt und er hatte kaum genügend Lumpen, um seine Nacktheit zu bedecken.

Als er den Fremden sich durch den Sand nähern hörte, hob er seinen mächtigen Kopf – und über sein sonnengebräuntes Gesicht mit den tiefen, leeren Augenhöhlen breitete sich ein helles, fast verklärtes Lächeln aus.

Der junge Reisende wunderte sich sehr, und er sagte zu ihm:

"Bist du es, der König gewesen ist und über alle Länder regiert hat, vom Meer der Morgenröte bis zu den Ebenen der Abendsonne?"

"Ja, das bin ich."

"Und bist du es, der in einem Schloss gelebt hat mit fünfhundert Goldzinnen und der die schönste Tochter der Erde zur Frau gehabt hat?"

"Ja, das bin ich."

"Und bist du es, der von seinem Volk verraten wurde, von seiner Ehefrau verlassen, von seinen eigenen Söhnen verhöhnt und verstoßen, die ihm die Augen ausstachen und ihn in dieses Elend getrieben haben?"

"Ja, gewiss!"

"Und dennoch lächelst du!"

"Ja, – weshalb sollte ich denn nicht lächeln?"

Es traf den jungen Reisenden wie ein Blitz. Und er stieß hervor:

"Dann hast du also den Stein der Weisen gefunden, der alle Sorgen tilgt und alle Wunden heilt und alle Schmerzen lindert … Sag es mir! Hast du das?"

Der alte Mann stutzte.

"Den Stein der Weisen?", sagte er. "Nun, ja – du hast Recht. Das habe ich, mein Freund!"

"Aber wo ist er denn?"

"Hier drin!", antwortete der Alte und wies auf seine Brust.

"Was meinst du? … Was genau ist denn dann der Stein der Weisen, der alle Sorgen tilgt und alle Wunden heilt und alle Schmerzen lindert?"

Da erhob sich der stolze König, und er lächelte und sagte:

"Es ist die tiefe, stumme Menschenverachtung!"