Sommerbild

*) Das erste Kapitel einer neuen Erzählung, die zu Weihnachten im Andreas Schous Verlag erscheinen wird.

Vom Ufer aus schnitt sich eine breite, saftige Wiese zwischen hohe, trockene Heidekrauthügel westwärts ins Land.

Flach wie ein Gewässer lag sie zwischen den steilen Hängen und traf sie so scharf am Fuße wie der Boden die Wand. Aber die Hügel schossen rasch und nackt nach oben in die Luft und versperrten mit ihren dunkelbraunen Massen an drei Seiten den Himmel. An der vierten ging es hell und blau hinaus zum Meer. –

Seinerzeit musste das Meer selbst hier gewesen sein, oder das alte Bett eines mächtigen Flusses. Nun standen große, fette, blassbraune Ochsen Herde an Herde auf dem flachen Untergrund im Gras bis hoch über den Bauch, während ein jammernder kleiner Bach sich zwischen Schilf und gelben Blumen einen langsamen und krummen Weg nach Osten fand, hinaus aufs Meer; – und als der Wind herunter von den Höhen im Westen wehte und über das Tal strich, brachte er über das ganze Meer einen Duft von Heu und frisch gemähten Wiesen mit sich.

Nun lag hier ein kleines, gelbliches Dorf aus neuen, reichen Höfen und frohen, dicken Bauern, einer alten Feldsteinkirche und einer "volkstümlichen Freischule"1 mit wehender Fahne auf dem Dach.

Rundum standen die braunen Abhänge, kahl und friedlich. Hie und da zwischen dem Heidekraut wuchs ein dichtes, kriechendes Gestrüpp von ganz kleinen Sträuchern, Wacholder und Weißdorn, und an den leichten, blauen Sommertagen, wenn feine Dünste vom Heu in der Sonne hin und her trieben, erfüllte sich die Luft mit kleinen zarten unaufhörlichen Rufen und Antworten – von Gebüsch zu Gebüsch und quer durch das Tal, bis ein zorniger Ochse sie mit seiner groben Stimme von der Weide fegte.

Aber die Höhen selbst waren karg und leer und staubtrocken wie eine Wüste. – Eine stechende Sonne verschwand gerade weit entfernt in einem Dunst von Rot; und über die großen, schweigenden Ebenen von Bräunlich und fast Schwarz gingen nur ein paar kleine, runzlige Heideschafe mit riesig–langen Schatten im Heidekraut.

Stellenweise lag dort der unfruchtbarste, gelbe Sand ganz bloß im Wind. Und wo ein Hauch entlangstrich, wirbelte er den Sand zu einem feinen Schleier auf, der im Sonnenuntergang Teile des Himmels flammend rot färbte.

Weit draußen im Westen, von wo unaufhörlich schwere Wolken aus Sand und Staub aufstiegen, war man dabei, eine neue Bahnstrecke zwischen den Hügeln hinunter ins Tal zu bauen.

Hörte man genau hin, konnte man in der tiefen Wüstenstille das Geräusch von Rädern und klappernden Holzschuhen auf den Planken vernehmen. Schwächer hörte man die Hacken und Schaufeln im Sand, – und ganz schwach das ewige Summen von hundert müden Männern dort draußen in Staub und Schmutz. Mit der sengenden Sonne im Nacken kämpften sie mit schweren Schubkarren und großen Steinen.

Aber darüber hing die Lerche in der Luft und sang ihr altes, ausgelassenes Lied: wir spinnen nicht, wir ernten nicht. –

Unten im Tal begann alles dunkler zu werden. Die Luft zwischen den Hügeln lag schwer und würzig, ohne sich zu rühren; bloß erfüllt mit diesen kleinen, kläglichen Tönen, mit denen die Vögel einschlafen. Aber als zuletzt auch diese vollständig verstummten, war über dem gesamten Tal kein anderer Laut zu hören als die Wellen, die sich weit draußen im Meer wälzten.

Drei große, rote Zungen streckten sich von Westen aus über den Himmel, und der Abend kam langsam schleichend von Osten mit Dämmerung und feuchter Luft über die Wiesen.

Aber die ganze Zeit war es vollkommen still.

Selbst die Ochsen auf den Wiesen schienen wie versteinert auf dem Fleck festgewachsen. Alle standen sie unerschütterlich mit dem Blick fest zum Dorf gerichtet, und einem Brüllen im Hals für den Fall, dass sie das kleinste Geräusch von Holzschuhen in den großen, gelben Höfen hören sollten.

Doch im gesamten Dorf war kein Schritt zu hören, keine Menschenseele zwischen den Straßen zu sehen, außer einer mageren Katze, die entlang der Steinmauern schlich und Kröten in sich hineinschlang. Und im Hof fand sich höchstens ein altes Mütterchen, das auf dem Winterplatz hinter dem Ofen saß und an die alten, pflichtbewussten Zeiten dachte.

Manchmal war von Osten her, zusammen mit dem Meer, das Geräusch schneller Axthiebe zu hören, welches direkt vom Fuße des "Hammerbakke"2 kam, von einer kleinen einzelnen Hütte, die dort stand – alt und müde, die Wände eingefallen – und mit kleinen zerbrochenen Fenstern hinausstarrte, wie in ihrer eigenen Welt.

Eine große, plumpe und schmutzige Frau stand hier in einer Art Misthaufen oder Garten und hackte Brennholz. Fünf oder sechs ruhige, blasse Kinder wühlten lautlos zwischen altem Stroh und Topfscherben herum. – –

Da setzte auf einmal Gesang ein; – ein starkes, gemeinsames Singen vieler froher Stimmen, das in der ruhigen Abendluft weit hinaus über die Wiesen klang.

Die Frau unter dem Hammerbakke hielt inne, als wolle sie lauschen, hob dann aber die Axt hoch in die Luft und hackte rasch weiter, sodass der Holzstumpf wegflog und die Axt in den Block fuhr. Sie hebelte sie ruhig heraus und schlug wieder zu, aber zügiger als zuvor; – und so fuhr sie fort, ruhig und zügig, sodass ihr die Brennholzstumpen um die Ohren flogen, und der Schweiß in großen, schwarzen Tropfen aus dem verfilzten Haar über die Wangen hinunterlief.

Die Kinder schienen all das zu kennen. Sobald sie die ersten Töne des Gesangs hörten, rückten sie still zusammen in einen Haufen blasser Gesichter, – und es ging wie ein Zittern durch den Haufen, als die Mutter plötzlich innehielt und aus voller Kehle in Richtung Haus rief:

"Nun, Boel! – wo bleibst du denn?"

Ein Paar Strümpfe lief drinnen über den Dachboden, die Treppe hinab, und war zu hören, als es unten in ein Paar Holzschuhe gesteckt wurde. Aus der Tür kam nun ein junges Mädchen in weißem Hemd; kleingewachsen und mit kreideweißem Scheitel im dunklen, spiegelglänzenden Haar.

Sie eilte zum Holzhaufen, wo sie begann, ihren Sack fleißig zu füllen, während sie fortwährend versuchte, ihr Gesicht zu verbergen. Sie hatte vom Weinen rote Augen und biss die Zähne gegen das Schluchzen zusammen, das aus ihrer Brust brechen wollte.

Die Mutter bemerkte das, sagte aber nichts, bevor Boel ihren Sack gefüllt hatte. Da sagte sie, jedoch ohne den Blick zu heben oder die Axt anzuhalten: "Leg nur oben drauf, Boel! – desto besser hält es!" – Und als Boel auch das getan hatte und schon mit dem Sack bei der Tür war, rief sie ihr nach, während sie selbst mit der Axt beschäftigt war:

"Hier müssen wir den Mund halten und anpacken, um etwas auf den Teller zu bekommen!"

Boel verstand es wohl. Sie eilte hinein, aber der Sack war groß und schwer, sie klein und zierlich, also hörte man, noch während sie auf der Treppe war, das Weinen, da ihr jeder Schritt die Kraft raubte, bis sie ganz oben ohne Widerstand losschluchzte. Und als sie zurückkam, war sie so erschöpft, dass sie fast über dem Brennholzhaufen zusammensank.

Aber da ergriff die Mutter grob ihr Handgelenk, drehte sie zu sich und sah sie an.

"Nimm dich in Acht, Boel!"

"Oh, kleine Lone! – Aber Lone!" – erklang nun ein Wimmern von einer alten, zusammengesunkenen Frau, die sich zur Tür geschlichen hatte.

"Sei still, du Miststück! Du solltest sie das lehren, das solltest du. Ja, versuch's doch – versuch's doch!" – sagte sie und hackte weiter, sodass der Block erzitterte.

Die Alte stützte sich mit der einen Hand auf einen Stock, mit der anderen auf den Türrahmen, ihren großen, schweren Kopf tief zwischen den Schultern. Aber da sie rein gar nichts verstand, setzte sie sich stillschweigend auf die Steinfliesen, faltete die Hände über dem Stock und sah grübelnd hinaus über die Weide und das Dorf und hin zur "volkstümlichen Freischule" mit der wehenden Fahne auf dem Dach.

Denn von dort erklang das Lied. Hell und lebensfreudig, fast vergnügt schallte es weit in die ruhige Abendluft hinaus:

"Wir Vögel, frei sind wir,
und glücklich, wir, wir, wir!"

– – Unterdessen schritt der Abend voran. Die drei roten Himmelszungen schmolzen langsam zu einem langen, schmalen Glühen zusammen, das sich entlang der Hügelkämme im Westen legte, und schon dunkelte es über dem Meer.

Direkt über dem Kopf, wo der Himmel noch tiefblau war, schlug hie und da ein Stern das Auge auf, und sah gleichsam in sanfter Verwunderung hinab auf die Weide, die sich zur Nacht mit einem feinen, weißen Dunst bedeckte, der zuerst die Beine, dann die Körper und zuletzt selbst die Köpfe der zweihundertvierzehn ungeduldigen Ochsen versteckte. Aber bis zum Schluss standen sie alle miteinander, den Blick starr zum Dorf gewandt – bis das Ganze in einem rauchenden Nebel verschwand. –

Da kam ein Mann den Weg entlang. Er hatte eine Schaufel auf der Schulter und ging schweren, müden Schrittes – durch das leere Dorf hindurch und auf der anderen Seite wieder hinaus. Ein Hund erwachte in einem der Höfe; der Mann schreckte auf, er war wie im Schlaf unterwegs gewesen. Er kam von der Arbeit in den Hügeln.

Aber nun beschleunigte er seine Schritte in Richtung Hammerbakke, und als er zum kleinen Haus unter dem Hügelhang kam, stellte er die Schaufel neben der Tür ab und ging hinein. Wenig später wurde drinnen das Licht angezündet.

Es war ein großer, kalter Raum mit nacktem Boden und vier kahlen Wänden. Ein Licht flackerte im Luftzug der offenen Tür und warf einen fahlen Schein auf die Hälfte der Stube.

An der hinteren Wand, wo es fast dunkel war, schliefen die Kinder in zwei schmalen Betttruhen, und die Mutter stand ruhig über ihnen, legte die abgeworfenen Kleider in kleinen Bündeln zu den Füßen jedes Kindes zusammen.

Die alte Großmutter war längst in eine Art Alkoven, der einst ein Ofen gewesen war, gekrochen, und in die Stube drang dieses kurze, stoßweise Stöhnen, das den Schlaf der alten Leute auszeichnet.

Der Mann saß unter dem Licht, die Arme schwer und träge auf dem Tisch, und malmte langsam mit seinem dicken, breiten Mund. Die großen Lider fielen unterdessen immer weiter zu; aber als er noch einen Bissen nahm, blickte er ein wenig auf und sah hinüber zu Boel, die kränklich auf einer kleinen Bank am Ofen hockte, mit dem schweren Kopf an der Wand ruhend, die Augen im bleichen Gesicht geschlossen – halb bewusstlos vom üblen Geruch der anderen Kinder in der Stube, süßem Heu und Fett, das im Warmen ranzig geworden war.

Und draußen tönte unaufhörlich der Gesang durch die Nacht, – angeführt vom wohlbekannten, herrlichen Bass des Freischullehrers Povelsen. Und immerzu ging es um Licht und Glück und lebensechte Freude der Welt.

Schließlich wurde ihr ganz anders und sie eilte mit einem kurzen "Gute Nacht" – denn es sollte niemand etwas merken – in die kleine Kammer nebenan, die gleichzeitig die Küche und Boels Schlafplatz war.

Der Vater sah ihr lange nach, aber als die Lider ganz hinabgesunken waren, nahm er die Gabel, begann in einem hohlen Backenzahn zu stochern und sagte schließlich:

"Es ist aber auch verdammt übel mit Boel!"

Lone antwortete nicht. Aber etwas später sprach der Mann weiter:

"Ich finde, du solltest sie es mal versuchen lassen."

"So, findest du das, Lavs." – sagte Lone, noch ziemlich ruhig. "Vielleicht sollten wir uns auch noch ein Katzenviech anschaffen, das sollten wir wohl! Oh ja, in der Tat!"

"Ja, ja, Lone – trotzdem –"

"Davon hast du keine Ahnung, Lavs! –" kam es nun so abrupt, dass Lavs die Gabel hinlegte und verstummte. Und da er fertiggegessen hatte, erhob er sich sofort, schlug die Decke auf dem breiten Bett unter dem Fenster zurück und begann sich zu entkleiden. Aber als er bei der Weste angekommen war, sagte er noch, halb zu sich selbst:

"Ja, ja, Lone! – Die Erhebung des Geistes!, wie der Pfarrer sagt – gute Bücher, sagt er – Literatur für das einfache Volk – trotzdem!"

Als Lone sich wenig später umdrehte, saß Lavs auf der Bettkante und schlief wie ein Stein mit der Hose in den Kniekehlen. Und ohne ihn groß zu wecken, entkleidete sie ihn ganz und wälzte ihn hinüber zur Wand.

Noch eine kurze Weile ging Lone leise in Strümpfen in der Stube umher, werkelte ein wenig hier und da, und lauschte zuletzt an Boels Tür. Und erst als ihr alles sicher und ruhig schien, ging sie hinaus, um die Haustür zu schließen. – Hier blieb sie aufrecht auf der Türschwelle stehen und sah hinaus.

Jetzt war da nichts als ein dichter, weißer, würziger Dampf, der das gesamte Tal bis zum Rand füllte; ein kochender Topf Heu, in dessen Mitte es spielte und tanzte wie ein unterirdisches Wichtelfolk – angeführt vom wohlbekannten, prächtigen Lachen des Freischullehrers Povelsen. Nur die alte Kirche in Sandinge erhob sich undeutlich von hier wie ein Nebelgeist, umgeben von ihrer weißen Mauer und ihrem kleinen, stillen Friedhof, wo sich die alten Sandinge–Bauern in ihren Gräbern umdrehten.

Denn es gab einmal eine Zeit, als hier zwischen den braunen Hügeln ein ganz anderes Volk lebte – ein ruhiges, besonnenes Volk, ohne viele Worte, geschweige denn Lieder, aber mit Fäusten wie Eisen.

Man kümmerte sich um sich selbst und um die Ochsen. Wenn es hochkam, gönnte man sich eine Runde "Per Bø"3, mit einem Schilling für vierzehn Striche4, wenn die Ochsenpreise gut waren. Aber die Taler, besonders die glänzenden, wurden behutsam in Rollen zusammengespart und unter der Bettdecke zwischen denen aus Vaters und Großvaters Zeit versteckt.

So geschah es eines Morgens vor über zwanzig Jahren, dass man den alten Gemeindepfarrer tot unter der Lampe in der stillen, verrauchten Giebelkammer fand, wo er das letzte halbe Jahrhundert einsam zwischen seinen Büchern gesessen hatte.

Sie fanden ihn sitzend vor, mit dem Kinn auf der Brust, eine Pfeife auf dem Boden und eine Schicht von nächtlichem Staub auf der kalten, erstarrten Glatze.

Sie beerdigten ihn; entfernte Verwandte kamen und nahmen, was nun ihnen gehörte; – und als den Leuten gesagt wurde, dass er nun an einem besseren Ort sei, widmeten sie sich wieder ihrer alltäglichen Arbeit – still und besonnen wie immer.

Aber eines Tages kurz danach – alle erinnerten sich noch deutlich daran, dass es ein warmer, schläfriger Sommertag war – wurden sie erneut aufgeschreckt, und diesmal schlimmer als je zuvor.

Von den Hügeln im Westen stob eine lange Kolonne mit voller Geschwindigkeit ins Tal hinab. Vorne schwangen drei–vier Ladungen Umzugsgut, und hinterher holperte nach bestem Vermögen eine alte grünliche Kutsche mit großen Koffern und wohl zwanzig Gesichtern in den Fenstern. Auf dem Bock beim Kutscher saßen noch drei Jungen in Kadettenhosen, mit einer Fahne zwischen sich und riefen Hurra für jeden Hof, den sie passierten.

Auf den Weiden standen die besonnenen Leute und starrten, ihre Augen voller Erstaunen. Und als die Kolonne mit dreifachem Hurra und winkenden Taschentüchern in den großen leeren Pfarrhof einschwenkte, sahen sie sich über die Gräben hinweg an.

Die erste Amtshandlung des neuen Pfarrers bestand darin, einen großen Platz in dem völlig überwucherten Garten zu räumen, und hier begann er nun, zu "Volksversammlung mit Gesang und Vortrag" einzuladen, was in dem kleinen Ort völlige Verwirrung stiftete, – hier, wo man seit Jahrhunderten keine andere Versammlung kannte als die in der Kirche an Sonntagen.

Einige fanden schließlich heraus, dass es sich um eine Art Bibellesung handeln musste, und trafen sich in frommer Andacht mit dem Testament im Taschentuch. Andere, die weder ein noch aus wussten, griffen sowohl zum Lehrbuch als auch zur "Kleinen Postille für alle"5. Wieder andere steckten die Spielkarten in aller Stille in die Gesäßtaschen, da man nie wissen konnte, worauf das hinauslaufen würde. –

So hielt Pastor Momme vor etwa zwanzig Jahren Einzug in die Gemeinde, die er mit Gottes Gnade über das tägliche irdische Mühsal erheben sollte.

Er war ein kurzgeratener Mann mit drolligen Bewegungen und einem kleinen spähenden Gesicht. Seine ebenso kleinen, fröhlichen Augen lächelten stets schräg über seine Brille, und mit den Händen klopfte er den Leuten gerne auf die Schulter oder auf beide Seiten des Bauches – nicht zuletzt, wenn er auf seine lustige Art von der Zeit erzählte, in der er sich mit den alten, zähen Sandingern anlegen musste.

Damals zeigte sich auch, welch reiche Fähigkeiten im Freischullehrer Povelsen schlummerten. Dieser Mann war ursprünglich ein ganz einfacher Schuster gewesen. Ältere Leute konnten sich noch an ihn erinnern als einen merkwürdigen, hungrigen Menschen, der mit seinen Pechdrähten hinterm Ohr am offenen Fenster saß und den ganzen Tag lang sonderbar verzerrte Lieder sang, die keine Menschenseele verstand.

Aber Pastor Momme sah bald, dass hier ein echter Diamant verborgen lag. Er fand für ihn mithilfe von guten Freunden einen Platz in einem Pfarrerseminar, und nach einiger Zeit kam ein bedachter Mann zurück mit einem dicken Polster um die Glieder, einem großen, breiten Hut und mit einem göttlichen rotbraunen Bart über der Brust gesegnet.

Der Hamburger Kautabak, der immer wie ein Geschwür hinter seinem linken Ohr gesessen hatte, selbst wenn er schlief, war ganz verschwunden. Aber wenn man eine kleine Wolke langsam die Landstraße hinabwandern oder auf dem Sofa liegen sah, war es Povelsen mit seiner dicken Holzpfeife, in deren Kopf das dänische Reichswappen geritzt war.

Außerdem sprach er mit einem gewissen poetischen Schwung, der die reiche Tochter des Gemeindevorstehers, Maren, nach nur zwei Tagen mit Kusshand zuschlagen ließ, obwohl jeder wusste, wie wählerisch sie immer gewesen war – und die Verlobung wurde unter Jubel der ganzen Gemeinde und rührenden Reden des Pfarrers gefeiert.

Was aber niemand wusste und auch nie erfuhr, war, dass, als Povelsen an diesem Abend im Glücksrausch nach Hause kam und durch die Tür treten wollte, auf der Steinplatte ein großes Mädchen mit kräftigen Schultern und kreideweißem Scheitel im dunklen, spiegelglänzenden Haar stand und ihm den Weg versperrte. Zuerst sah sie ihn an, dann spuckte sie ihm wortlos ins Gesicht.

Er wischte sich ruhig mit seinem Taschentuch ab, während er hineineilte – man würde es seinem Gesicht nie ansehen, das nun seit zwanzig Jahren mit demselben sanften Glanz und in diesem vollen, lebendigen Gleichgewicht mit der Welt erstrahlte, dessen Anblick vielen Menschen so guttat. – – –

– – Als Lone wieder in die Stube hineinkam, hörte sie jemanden mit einem erstickten Laut klagen und jammern wie unter einer Decke. Zuerst verstand sie das Geräusch nicht; aber als sie hörte, dass es aus Boels Zimmer kam, begann sie sofort am ganzen Körper zu zittern und stürzte zur Tür. Dort hielt sie jedoch inne, bedachte sich, und öffnete die Tür nur einen Spalt weit.

"Schläfst du, Boel?"

"Ja."

Lone wollte die Tür wieder schließen. Aber nach kurzem Zögern ging sie hinein und setzte sich ruhig auf Boels Bettkante.

Boel lag steif und reglos da. Aber als die Mutter anfing, im Dunkeln nach ihrem Handgelenk zu tasten, sprang sie mit einem Schrei auf – und stand sogleich wie an die Wand geklebt da, mit ausgestreckten Armen und wildem Blick.

"Boel!" sagte die Mutter heiser und mit zitternder Stimme. "Boel! – Ich möchte mit dir reden – hörst du? – Es ist gelogen, das, was sie singen – hörst du? – Es ist gelogen!"

Aber im selben Moment gaben Boels Beine nach; mit einem dumpfen Schlag und einem Knall fiel sie auf den Boden.

Nun erwachten sie im Wohnzimmer – die Kinder, eins nach dem anderen, unter Tränen und Geheul. Das Zweitälteste, ein kleines zwölfjähriges Mädchen in dünnem Leinentuch, kam hereingestürzt, blieb aber mit einem Schrei an der Tür stehen und starrte seine Mutter an; und sogar die alte Großmutter kam wimmernd und schlurfend in ihrem Lumpenhemd dazu.

Lavs jedoch lag ungestört tief unter der Bettdecke und träumte von Versprechen und guten Büchern. Und draußen in der Nacht klang es hell, heiter, halb vergnügt:

"Wir Vögel, frei sind wir
und glücklich wir, wir, wir!"

 
[1] dän. folkelig friskole. Das dänische "Freischulgesetz" von 1855 ersetzte die bis dahin bestehende staatliche Schulpflicht für Kinder durch eine Unterrichtspflicht und ermöglichte so den Betrieb von Privatschulen. Die Pädagogik dieser "Freischulen" beruhte meist auf den Konzepten von N.F.S. Gruntvig (1783–1872) und Christen Kold (1816–1870). tilbage
[2] Hammerbakke: Der Name eines isolierten Hügels am Roskilde–Fjord, den man auf dem Weg von Østby (wo Pontoppidans Schwiegereltern lebten) zur Fähre nach Jyllinge passierte. Von dort führte eine Landstraße nach Hjørlunde, wo Pontoppidan damals wohnte. Der Rest der Beschreibung der Gemeinde passt schlecht zu Østby–Sønderby; die Kirche lag außerhalb des Ortes, und die erste Eisenbahn wurde in der Gegend erst im Jahre 1928 verlegt. Der Name Hammerbakke kommt in der Ausgabe von 1903 nicht vor. tilbage
[3] Per Bø: vermutlich handelt es sich hierbei um ein Kartenspiel. tilbage
[4] vierzehn Striche auf dem Schilling: ein Kartenspiel hieß "Drei Karten und fünfzehn Striche" (dän. "Trekort og femten streger"). Für jeden Stich gab es einen Strich, und der erste Spieler, der fünfzehn Striche hatte, bekam einen vereinbarten Betrag, z.B. einen Schilling, von jedem der Mitspieler. tilbage
[5] die Kleine Postille: Eine Sammlung von Predigten; ein religiöses Erbauungsbuch. tilbage