"Das kleine Dänemark"

Sobald man erwähnt, dass man aus Dänemark kommt, beginnen Ausländer oft zu schmunzeln, auf eine Art, die die eigenen patriotischen Gefühle verletzt. Es scheint leider, als ob es im Ausland gebräuchlich geworden ist, den Namen unseres lieben Vaterlandes herabzuwürdigen, wenn man etwas über den ob seiner Winzigkeit komischen Staat erwähnen will – in der gleichen Art, in der wir bei uns zuhause selbst immer Nibe oder Æbeltoft verspotten, wenn wir auf etwas richtig Lächerliches, Kleinbürgerliches hindeuten wollen.

Auf verschiedenen europäischen Landkarten erscheint Dänemark bloß wie drei hübsche Erbsen, die wirr zwischen Ostsee und Nordsee umherschwimmen; und es bedarf sowohl eines guten Herzens als auch eines Augenpaars wie ein Mikroskop, um zu begreifen, dass diese drei kleinen Farbkleckse ein Land für sich selbst darstellen sollen.

In einer Gesellschaft von Süddeutschen konnte man einmal seine Heiterkeit nicht zügeln, als ich Dänemark beiläufig – und vielleicht mit ein wenig Stolz – als ein Königreich bezeichnete. Die lachlustigen und hoffentlich ungewöhnlich unwissenden Menschen erinnerten sich zwar daran, drei kleine Erbsen auf ihrer Landkarte gesehen zu haben. Aber dass diese ein selbstständiges Königreich ausmachen, war ihnen offenbar nicht eingefallen.

"Also haben Sie wirklich einen König?", fragte einer.

"Ja."

"Und eine Königin auch?"

"Jawohl."

"Aber haben Sie auch wirklich Platz dafür?"

Ich antwortete – etwas gekränkt – dass das Land so klein auch wieder nicht sei, dass das Volk sich nicht in angemessen ehrerbietigem Abstand von den Majestäten halten könne, was es in Wirklichkeit auch täte. Und ich fügte hinzu, dass die Bevölkerung in mehrere politische Parteien und diese wiederum in Unterparteien geteilt seien, die alle sehr hitzige Kämpfe rundherum auf allen Erbsen führten; – aber da glaubte die Gesellschaft augenscheinlich, dass ich scherzte, und lachte aus vollem Halse.

Trotzdem – wenn man bedenkt, dass z. B. das stehende dänische Heer nicht viel größer ist als die Garde, die der deutsche Kaiser während seines Aufenthalts in einer kleinen Stadt wie Potsdam um sich hat, oder wenn man hört, dass die jährlichen Haushaltsausgaben desselben Kaisers sich auf eine Summe belaufen, die nicht viel geringer ist als sämtliche Staatseinnahmen Dänemarks – so wagt man selbstverständlich nicht, darüber zu erzürnen, dass die Liliputhaftigkeit des Königreichs Dänemark einen etwas komischen Eindruck auf Fremde und einen etwas verstimmenden auf uns selbst macht.

Am stärksten habe ich dies allerdings empfunden, als ich neulich gelesen habe, dass der deutsche Kaiser an einem Tag – nach der Neujahrskur – allein von seinen preußischen Untertanen nicht weniger als ungefähr zweitausend ausgezeichnet hatte. Und ein solcher Ordensregen fällt in Preußen jedes Jahr im Januar.

Man denke sich in Dänemark zweitausend neue Auszeichnungen jährlich und eine entsprechende Anzahl neuer Titel! Es würde dann nach wenigen Jahren keinen Stadtboten geben, der nicht Kommandeur des Dannebrogordens wäre, und alle wären wir Konferenzräte, bevor wir konfirmiert würden.

Wenn man aber nicht gerade mit der Elle messen, mit dem Gewicht wiegen und mit den Zahlen zählen will, die für die Landkarte gebraucht werden, in Krambuden und auf dem Schlachtfeld – brauchen wir uns eigentlich nicht für unsere Unbedeutsamkeit zu schämen. Weit gefehlt! Selbst in der Hauptstadt des großen deutschen Weltreichs kann man sich als Däne den geistigen Genüssen, die von unseren Zeitgenossen geboten werden, ziemlich überlegen fühlen. Besucht man z. B. Berlins Nationalgalerie, die eine ausgewählte Sammlung moderner deutscher Kunst enthalten soll, findet man zwischen einzelnen guten Werken eine Sammlung ziemlich mittelmäßiger oder gar minderwertiger Gegenstände, gegen welche unsere heimische Malereisammlung ein wahrer Augenschmaus ist.

Oder wohnt man einer Vorstellung in einem von Berlins Theatern bei, selbst in einem von den besseren, bekommt man gelegentlich wirklich den Eindruck, eine Dilettantenkomödie in Nibe oder Æbeltoft zu sehen. Die Schauspieler – von einzelnen ausgezeichneten Ausnahmen abgesehen – spielen mit den gröbsten Effekten; das Publikum jubelt über die plumpsten Späße und weint mit naivster Sentimentalität. Sehnsüchtig denkt man während einer solchen Vorstellung zurück an die Raffinesse, die immer die Aufführungen an unserem Königlichen Theater prägt, auch wenn es an Kunst gelegentlich mangelt. Und unser heimisches Publikum? Unsere "fünfhundert Tanten mit Abonnement" haben oft harte Worte sowohl über ihr Lachen als auch über ihre Tränen ertragen müssen – aber ich ziehe sie trotzdem dem uniformierten Parkett in einem Berliner Theater vor.

Doch am allermeisten fühlt man sich den Deutschen überlegen, wenn man die derzeitige schöne Literatur ihres Landes betrachtet. Ich denke hierbei nicht an die oft genannte Tatsache, dass Deutschland im Augenblick keinen bedeutenden Dichter vorweisen kann. Wir sind ja gegenwärtig auch selbst nicht mit Genies überlastet. Aber ich denke an die Art, in der Publikum und Presse in schönem Einklang die Wegbereiter der neuen naturalistischen Literatur behandeln, die kurz vor dem Durchbruch stehen. Das Publikum buht deren Stücke in den Theatern aus, und die Zeitungen zerreißen deren Bücher in genau dem gleichen "Tonfall", mit dem vor zwanzig Jahren der Moderne Durchbruch bei uns empfangen wurde. Viele der Zeitungskritiken scheinen wortwörtlich nach bekannten Mustern der guten alten "Fædrelandet"1 und "Dit og Dat" übersetzt zu sein. Ist es nicht fast rührend, sich vorzustellen, dass Erik Bøgh vielleicht noch einmal zu Ehre und Würde kommen könnte – in Berlin. Und muss man nicht stolz darauf sein, dass selbst im großen Europa viele Orte noch nicht so "europäisch" geworden sind wie unser kleines Dänemark.

H.P.

 
[1] Fædrelandet: nationalliberale Zeitung, die von 1834-82 erschien. tilbage