Messias

Unter dieser stolzen Fahne hat Viggo Stuckenberg eine neue Erzählung in die Welt hinausgeschickt.

Der junge Dichter, der voriges Jahr als Prosaschriftsteller mit der feinen und stimmungsvollen Novelle "I Gennembrud"1 debütierte, hat seinen erwartungsvollen Lesern mit diesem Buch eine kleine Enttäuschung bereitet. Es ist eine Kampfschrift; aber es scheint, als ob die Schilderung des Streits ihm nicht so gut in der Feder liegt wie die des Friedens.

Man bemerkt in "Messias" eine unbändige Lust darauf, wie ein Schafsbock zuzustoßen. Aber vorläufig hat sich der Schriftsteller offenbar noch keine Hörner wachsen lassen, weshalb er ständig mit dem Kopf gegen die Wand läuft.

Der Hauptgedanke des Buches ist der, dass die Zeit einen Erlöser braucht, einen Messias, einen himmlischen Blitz, der die Luft reinigen kann. Dieser Messias ist offenbar – in Übereinstimmung mit der Tradition – als ein sehr ernsthafter Mann erdacht. In der Erzählung gibt es einen Mann namens Jansen, der scheinbar als Vorläufer für den erwarteten Erlöser verstanden, eine Art Johannes der Täufer, nach dessen Bilde der eigentliche Messias einmal geschaffen werden soll.

Dieser Jansen ist ein einsamer, düsterer und nachdenklicher Mensch, der das Scherzen seiner Mitmenschen nicht versteht und über deren fröhliches Lachen entrüstet ist. Sollte der kommende Erlöser zwangsläufig aus dem gleichen Stoff gefertigt sein? Betrachtet man die großen Reformatoren dieser Welt, wird man generell wohl feststellen, dass sie recht muntere Herren waren, die gewiss ihre Zeitgenossen mit Skorpionen peitschen konnten, aber dies oft mit einem Lächeln auf den Lippen taten. Luther beispielsweise war doch bei Weitem kein Kind von Traurigkeit. Ja, selbst der Religionsstifter, dessen Namen Stuckenbergs Erzählung trägt, der wahrlich gute alte Messias aus dem Judenland – ob er wirklich solch ein blutarmer Asket war, wie unsere Maler ihn gerne darstellen – mit langen Locken und einem autoritären Märtyrerblick? Ob er im Grunde nicht doch ein recht lustiger Herr war, der neben seiner Missionarstätigkeit mit seinen Anhängern die Freuden des Lebens unbefangen teilte? Absolut enthaltsam kann er beispielsweise nicht gewesen sein. Wir haben ja doch von seiner Hochzeit gelesen, bei der er, als es keinen Wein mehr gab, in der erhabenen Stimmung seine Allmacht darauf verwendete, das tote Wasser in perlenden Nektar zu verwandeln. Es ist ja ebenfalls bekannt, dass er sich gerne mit Frauen umgab. Deutet dies nicht darauf hin, dass er eine sprudelnde, lebensbejahende Natur war und nicht der gehobene Sonderling und der ewige Prediger, zu dem er häufig gemacht worden ist?

Es wäre lustig gewesen, hätte Stuckenberg uns ein Messias-Porträt erahnen lassen, das eben nicht den gängigen Vorstellungen entspräche. Der frische Ernst in den Spuren, die durch den Nebel seiner Erzählung schimmern, erinnert nicht ohne Unbehagen an die deutschen Christusbilder, die man zur Osterzeit in den Fenstern der Buchhandlungen ausgestellt sieht.

Nichtsdestoweniger – um auf das Buch zurückzukommen, wie es einmal ist – liest man es durchweg mit Interesse. Man findet, einzeln verstreut, viele gute und zutreffende Schilderungen, besonders das Porträt einer jungen Frau, das sehr einnehmend ist.

Wer die Entwicklung der jungen dänischen Literatur verfolgen will, sollte "Messias" nicht auslassen.

Urbanus.

 
[1] dt. wörtl. "Im Durchbruch" tilbage