Eine Aufgabe

Wie allgemein bekannt, haben wir neulich hierzulande eine Touristenvereinigung gegründet. Dies geschah keinesfalls zu früh. Wir benötigen schon lange einen Rat von Männern, die sich mit einer gewissen Autorität unseren Reisebequemlichkeiten zu Land und zu Wasser annehmen und überhaupt dabei helfen würden, unser Reiseleben innerhalb der eigenen Grenzen zu fördern.

Könnte es ihnen gleichzeitig gelingen, die Augen unserer Nachbarn dafür zu öffnen, dass man auch hier in unserem Land ein paar seiner Urlaubswochen mit Gewinn verbringen kann, so wäre dies weder so übel noch so sinnlos, wie manche meinen.

Beängstigte Seelen haben mit heimatlicher Rücksicht ihre Furcht vor einer Überschwemmung ausgesprochen, namentlich von den Deutschen. Sie konnten bereits die Ausländer sehen, die sich wie Bramarbas1 jeden Sommer unseres Landes bemächtigen und es in ein riesiges Tivoli verwandeln, hörten schon Rufe wie "Heil dir im Siegeskranz"2 von den Anhöhen herunterschallen und sahen uns selbst im Dickicht unserer eigenen Wälder ruhelos umherirren.

Es gibt jedoch kaum einen Grund für solche Befürchtungen. So klein ist unser Land doch auch nicht, und so dick sind die Deutschen noch nicht, dass uns ein paar Tausend von ihnen "überschwemmen" könnten. Da bleibt sogar noch reichlich Platz für die von uns, die sich Einsamkeit und Frieden wünschen. Es wären höchstens vier, fünf Orte, die der größte Teil der Ausländer besuchen würde, und wenn es vielleicht auch unsere schönsten sind, so können wir uns doch damit trösten, dass wir sie selbst schon längst ihrer Jungfräulichkeit beraubt haben. Kein vernünftiger Mensch reist heutzutage noch zum Himmelberg3 oder an die Steilküste von Møn, um die Welt zu vergessen und in sommerlichen Träumereien zu versinken. Es entwickelt sich an diesen Orten bereits ein recht modernes Reiseleben. Wir könnten uns sogar überlegen, zu unserem eigenen Vergnügen die Seen bei Silkeborg mit illuminierten Booten zu besegeln und die Sommerspitze4 abends mit bengalischen Feuern zu erleuchten.

Und was wäre denn schon Schlimmes dabei? Es ist wahr, dass ein hübsches Mädchen meistens ohne allen Schmuck am bezauberndsten ist, ganz so wie die Natur sie geschaffen hat. Dennoch kann es zur Abwechslung recht verlockend sein, sie mit einer Rose an der Brust und einem kleinen Diamantenfeuerwerk im Haar zu sehen.

Selbst wenn aber einzelne Deutsche und andere Ausländer wirklich einmal auf die Idee kommen sollten, von diesen Zentren unseres Touristenlebens weg zu kommen und vielleicht sogar Gefallen daran fänden, sich jeden Sommer für eine kürzere Zeit in anderen, bisher weniger besuchten Orten niederzulassen, oder gar Anlass dazu geben sollten, mehr und größere Badeetablissements an der Nordseeküste zu eröffnen, – was könnte dies schon für schlimmere Folgen haben, als dass einige Menschen, die es wirklich nötig hätten, die Gelegenheit dazu bekämen, ihre Verhältnisse zu verbessern?

Man hat angeführt, dass solch eine stetige und intime Berührung mit Fremden allmählich unsere nationalen Eigenheiten auslöschen würde. Aber abgesehen davon, dass es doch solche nationalen Eigenheiten gibt, die es nicht wert sind, viel Geld dafür auszugeben, um sie zu erhalten, so lässt sich ja eben das für den Einzelnen außerordentlich Befruchtende hervorheben, was die lebendigen Beziehungen zu anders Denkenden und Sprechenden ausmacht. Warum sollte es sich denn anders verhalten mit dem Volk in seiner Gesamtheit? Die jütischen Bauern und die seeländischen Fischer würden sogar Nutzen davon haben, etwas von der europäischen Atmosphäre zu verspüren, und da sie nicht nach Europa kommen, kann man ja nur von Glück sprechen, wenn Europa zu ihnen kommt.

Jedoch sollte man die Kirche im Dorf lassen. Dänemark ist sicher ein hübsches, kleines Land mit Orten von hinreißender Schönheit; aber es besitzt eben nicht diese bemerkenswerten oder gigantischen Verlockungen, die den großen Touristenstrom anziehen. Eine Vereinigung mit der Absicht, das Reiseleben hierzulande zu fördern, wird sich daher doch vor allem den eigenen Landsleuten zuwenden und zunächst an deren Wohl denken müssen.

Und beides könnte zurzeit wohl angebracht sein.

Besonders erfreulich wäre es, wenn die Bildung der genannten Vereinigung den Anstoß dazu geben könnte, dass unsere sportbegeisterte Jugend sich etwas von dieser müßigen und auf lange Sicht so verdummenden Ertüchtigung abwenden würde, die zum Beispiel darin besteht, mit der Hilfe von zwei Rädern ein Stück der Landstraße auf und ab zu fahren, oder jeden Sonntag in übertriebener Aufmachung auf einem Stück Holz von der Langelinie5 nach Klampenborg6 zu rudern und, nach einem anregenden Mittagessen in Bellevue, den gleichen Weg zurück anzutreten.

Wie völlig natürlich und ertragreich wäre es, sein Bündel zu schultern, den Wanderstock in die Hand zu nehmen und – wenn sich die einfache und preiswerte Gelegenheit dazu ergäbe, z.B. mit einem bequem eingerichteten Touristenschiff, das jeden Samstagabend von Kopenhagen irgendwohin, mal nach Jütland, mal zu den Inseln ginge, und am frühen Montagmorgen wieder zurückkäme – überall im Lande Ausflüge zu unternehmen, die seeländischen Wälder so zu durchstreifen wie die jütischen Täler und Heiden, sich mit fremden Menschen zu unterhalten, neue Gesichter zu sehen, Bauern zu besuchen, in die Wirtshäuser einzukehren und in die Højskoler7, Kirchen, Genossenschaftsmolkereien und Herrenhöfe hineinzuschauen.

Aber die jungen Damen müssen wir schon dabeihaben! Erst wenn wir diese Prüderie begraben haben, die es Männern und jungen Frauen verbietet, sich zu zweit oder in Gesellschaft ungeniert im Freien zu vergnügen, kann der rechte Ertrag und die dauerhafte Freude daraus entstehen. Was wäre es doch für ein Vergnügen, z.B. mitten in der jütischen Heide unerwartet auf eine andere muntere Gesellschaft zu treffen, mit der man sich für eine kleine Ruhepause zusammentun und eine Brotzeit im Heidekraut einnehmen könnte, um danach wieder die eigenen Wege zu gehen und sich wie die Zigeuner ein Lebewohl aus der Ferne zuzuwinken.

Und als Touristenland ist Dänemark eben besonders freundlich aufgrund seiner flachen Wellenform, die eine stetige und unterhaltsame Abwechslung mit sich bringt. Während man im Bergland tagelang mit dem gleichen Gipfel vor Augen und der gleichen Kluft unter seinen Füßen reist, wechseln die Eindrücke und Stimmungen in Dänemark beständig. Neue Bilder, neue Landschaften, neue Schönheiten ziehen unaufhörlich an einem vorbei. Sind es hier noch die Wälder, die einen mit ihrem Schatten und ihrer Kühle umhüllen, so sind es dort schon die breiten Äcker und die frischen Wiesen, die sich zu beiden Seiten des Weges mit Dörfern, Mühlen und duftenden Kleefeldern abwechseln, die den Wanderer gastfreundlich zu einem Schläfchen in der Mittagssonne einladen. Schließlich hat man fast überall die Aussicht auf das Meer, und wo diese fehlt, findet man doch immer irgendwo einen idyllischen See oder einen von Schilf eingesäumten Bach, in dem man sich erfrischen kann.

Soweit ist also alles gut. Gleiches betrifft hingegen nicht die Bequemlichkeiten der Reisenden, und in diesem Punkt hat die junge Vereinigung für das dänische Touristenleben ihre erste Aufgabe zu lösen.

Manche sind daher der Meinung, dass es zu einem richtig waghalsigen Reiseleben notwendigerweise dazugehört, die Nächte in stinkenden Wirtshäusern zu verbringen und ausschließlich von ranzigem Speck, saurem Bier und Dickmilch zu leben. Die meisten werden jedoch meinen, dass nach einem anstrengenden Tagesmarsch die Aussicht auf eine wohlschmeckende Mahlzeit und ein gutes Bett, in dem man sich mit Blick auf die Strapazen des nächsten Tages ausruhen kann, behaglicher ist. Das Leben, und so auch das Reiseleben, bringt immer schon genug kleine Unbequemlichkeiten mit sich, sodass man sich nicht unbedingt selbst noch weitere schaffen muss.

Aber die dänischen Dorfwirtshäuser zeichnen sich nicht durch Appetitlichkeit aus, und so ist es leicht nachvollziehbar, dass manch einer mit Grauen an eine Nacht unter der glühend heißen Decke denkt. Ja, wie viele wird es wohl geben, die sich noch nie von den altbekannten Wegen weggewagt haben, nur weil sich ihnen außerhalb dieser kein auch nur einigermaßen anständiger Ort der Rekreation bietet?

Oder – um ein anderes Beispiel zu nennen – was für ein Skandal ist die Brutalität, die die "Vereinigte Dampfschifffahrtgesellschaft" nun schon seit Jahrzehnten den dänischen Sommerreisenden zumutet? Wem wird nicht übel beim Gedanken an die nächtlichen Fahrten über den Kattegat unter der Ägide dieser renommierten Gesellschaft? Wie eine Herde Schafe werden die Passagiere auf den Schiffen zusammengepfercht, von denen nur ganz wenige die Anforderungen erfüllen, die man mit Recht an eine solche Gesellschaft stellen kann, die eigenmächtig sozusagen den ganzen Transport der Menschen zu See in Dänemark an sich gerissen hat. Obwohl die Fahrpreise keinesfalls niedrig sind, wird den Kabinenpassagieren in der Ferienzeit ohne Scham ein Nachtlager unter einem Tisch, an einer Treppe oder selbst auf dem offenen Deck zugemutet, und oft muss man schon dankbar sein, wenn man sich bloß ein paar Decken erkämpfen konnte und den Kopf auf die Stuhllehne eines anderen legen darf. Das Ganze erinnert an einen Sklaventransport, und nur die dänische Gutmütigkeit hat sich so lange und ohne Krieg mit einer solchen Barbarei abgefunden.

Mit diesen Zuständen vor Augen können die empfindlichen Patrioten ganz beruhigt sein. Unter solchen Umständen werden die Ausländer schon ausreichendend Abstand von unseren Gefilden halten.

Aber möglicherweise dürfen wir jetzt mit der Gründung der Touristenvereinigung besseren Zeiten entgegenblicken.

*

Am Sonntag wird die Touristenvereinigung ihren ersten gemeinsamen Ausflug außerhalb der Stadt unternehmen. Der Weg führt uns nach Jægerspris und entlang des schönen Strandes am Nordufer des Roskildefjords; die Fahrt ist mit dem Wagen von Frederikssund aus geplant, so dass auch die Ältesten ohne Beschwerden teilnehmen können.

Möglicherweise wäre es besser gewesen, wenn man es so eingerichtet hätte, dass die Jugend den Ausflug zu Fuß mit Ermäßigung machen könnte. Der Weg ist ja nicht lang und führt hauptsächlich durch Wälder. In jedem Fall sollte jeder, der einigermaßen gesunde Beine hat, es nicht versäumen, einmal den Pfad zu gehen, der dicht bei der Einfahrt in den Færgelund nach rechts abbiegt und hinauf zu einem Ort mit einer hinreißenden Aussicht über den Fjord führt, anstatt der Landstraße zu folgen. Zwischen den Kronen einiger alter Bäume, deren Rinde schon halb abgefallen ist, kreisen für gewöhnlich mächtige Krähenschwärme und geben ein Naturkonzert mit ohrenbetäubender Wirkung.

A. K.

 
[1] wie Bramarbas: Anspielung auf angeberisches, großtuerisches Auftreten in Bezug auf die Hauptfigur in der Komödie "Bramarbas oder der großsprechende Offizier" (dän. "Jacob von Tyboe") von Ludvig Holberg. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff "bramarbasieren" für "angeben" oder "großtun" verwendet. tilbage
[2] "Heil dir im Siegeskranz" war seit 1871 (und bis 1918) die deutsche Kaiserhymne. tilbage
[3] Der Himmelberg (dän. Himmelbjerget) ist ein 147m hoher Hügel in Mitteljütland zwischen den Orten Ry und Silkeborg. Auf seinem Gipfel befindet sich ein 25m hoher Aussichtsturm aus Ziegelsteinen. tilbage
[4] Als Sommerspitze (dän. Sommerspiret) wurde die markante Spitze eines Kalkfelsens auf Møn bezeichnet, bis sie am 13.01.1988 brach und ins Meer stürzte. tilbage
[5] Die Langelinie (dän. Langelinje) ist die Uferpromenade in Kopenhagen, wo sich auch die Hauptattraktion, die Bronzestatue Die kleine Meerjungfrau (dän. den lille havfrue), befindet. tilbage
[6] Klampenborg ist ein nördlicher, wohlhabender Stadtteil Kopenhagens. tilbage
[7] Højskoler (dt. Heimvolkshochschulen) sind freie Internatsschulen für alle Volksschichten und gehen auf die Ideen N.F.S Grundtvigs und der von ihm begründeten Heimvolkshochschulbewegung zurück. tilbage