Ludwig Kornel til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Wipplingerstrasse 20, Wien. 22. maj 1925

ein kleines Feuilleton schreiben

Rechtsanwalt
Dr. Ludwig Kornel
Wien
I. Wipplingerstrasse 20

Wien, am 22.V.25.

An Herrn Henrik Pontoppidan,
Kopenhagen, Köpenhamn C
Overgaden Neden Vandet 15
Dänemark

Hochverehrter Herr!

Mit einer tiefen und aufrichtigen Freude, mit einer Begeisterung, wie sie eigentlich nur im frühen Jünglingsalter vorkommt, empfing ich Ihre sosehr geschätzten Zeilen1 und fühle mich glücklich, als ob ich mit einem male der Gottheit selbst nähergerückt wäre. Sie sehen, hochverehrter Meister, ich bin nicht imstande, backfischartigen Redewendungen aus dem Wege zu gehen! Aber vielleicht kommt es nicht sosehr auf die Geschicklichkeit des Ausdruckes, als auf die Tatsache einer echten Empfindung an.

Ich habe die Jünglingsjahre hinter mir, stehe im reifen Mannesalter – und bin dennoch entzückt wie ein achzehnjähriger, weil mir das Glück zuteil geworden ist, Ihre Handschrift in meinen Händen halten und Ihnen, hochverehrter Meister, im Geiste nahe sein zu können. Ich glaube nicht, dass ich mich dieser Empfindungen zu schämen brauche. Im Gegenteil – nichts scheint mir grösseres Bedürfnis, als jenes: mich vor dem Genie des überragenden Menschen und Künstlers zu beugen – und anzubeten. Der Glaube an Ihr Genie und Ihre Mission, erfüllt mich wie die Weihe einer grossen Gnade. Und so danke ich Ihnen, verehrter Meister, aus vollem Herzen und habe nur den einen Wunsch, dass es mir vergönnt 2 sein möge, diejenigen Worte zu finden, um auch anderen Menschen den Weg zu Ihren Werken zu erschliessen.

Ich habe die Absicht, vorerst ein kleines Feuilleton über Ihre drei Hauptwerke (Das gelobte Land, Hans im Glück, Totenreich) zu schreiben, dann aber auch jene Werke kennen zu lernen, welche in deutscher Sprache bisher nicht vorliegen. Das Feuilleton denke ich, in österreichischen und reichsdeutschen Tageszeitungen unterzubringen.

Gleichzeitig nehme ich mir vor, dänisch zu lernen, damit ich imstande bin, Ihre Werke im Urtext zu lesen.

Von den einzelnen Veröffentlichungen werde ich Ihnen Belegexemplare zugehen lassen.

Indem ich Sie bitte, hochverehrter Meister, nochmals meinen innigsten Dank entgegenzunehmen, bin ich mit dem Ausdrucke aufrichtiger Ehrfurcht und Ergebenheit

Ihr
L. Kornel

 
[1] Zeilen: brevet kendes ikke. tilbage