Henrik Pontoppidans Hans im Glück

Aus Dänemark ist ein großer Roman zu uns gekommen, groß auch dem Umfang nach. Mit seinen tausend Seiten steht er recht einsam da unter den nordischen Büchern, die wir bisher kennen lernten. Das waren in der Regel kleine, schmächtige Bändchen, in denen man von vornherein keinen eigentlichen Romaninhalt vermuten durfte. Diese Bücher brachten keine Erzählung, keine Geschehnisse und redeten kaum von einer Außenwelt; sie gaben nur Innenleben. Ihr Inhalt war so geistig, so spinnewebenhaft fein, daß er ein robustes Ausleben in epischer Breite von vornherein ausschloß und von den drei Dimensionen der Körperwelt sich nur der Tiefe bemächtigen konnte. In diese wurde allerdings mit peinlichster Gewissenhaftigkeit geleuchtet, hinein in alle Winkel des Seelenlebens und hinaus über den Kreis des psychologisch Gekannten. Dieser Kunst gebrach es nicht an Anschauung, sie charakterisierte sich vielmehr dadurch, daß sie die abstraktesten Dinge anschaulich zu machen sich erkühnte; wohl aber fehlte ihr die Gegenständlichkeit. Und so minutiös genau war oft die künstlerische Arbeit, die das nicht Gewußte, nur Geahnte auszusprechen versuchte, so fein die Nachbildung von Stimmungen, Schwingungen, Instinkten durch das Wort, daß dem intensiv Lesenden, wenn er das Buch aus der Hand legte, in nervöser Erschöpfung zumute sein konnte, als hätte er anstrengende Pinzettenarbeit getan. Diese Bücher – man denke an Hallström, Söderberg, an Karin Michaëlis' Gyda, an Hjortø – ignorierten, soweit es irgend anging, alles Tatsächliche und beachteten 114 die Materie nur insoweit, als sie Anlaß zu seelischen Erscheinungen wurde, als Erregerin subjektiver Erlebnisse. Wir hören die Außenwelt nur als Echo in den Menschen, sie selbst sehen wir nicht. Infolgedessen wird eine Naturbeseelung getrieben, die von der Phantasie zur Phantasterei geht. Die Natur handelt, leidet und jubelt wie das feinstorganisierte nervöse Gemüt; kein Windhauch, der nicht menschlichen Laut trüge, keine Wolke, die nicht in schwermütiger Sehnsucht glitte. Diese Tendenzen führen von selbst eine gleichnisartige Sprache herauf; fast in jedem Satz steckt ein Bild, allerdings so prägnant und treffend, daß der Leser es kaum als solches empfindet. Klar ist, daß zu Objekten einer solchen Kunst sich nur sehr sensitive Persönlichkeiten eignen, und dies mag einer der Gründe sein, warum in fast jedem dänischen Buche Künstler – Schriftsteller und Maler – den Mittelpunkt bilden, Menschen mit umfangreicher Gefühlssphäre.

Ob wirklich der dänische Charakter seinen Ausdruck in dieser Kunst ohne Haut findet, oder ob der große, herrliche Niels Lyhne auf alle kleineren Talente so stark wirkte, daß sich eine ganze Epigonenkunst an ihm heranbilden konnte? –

"Hans im Glück" ist von anderer Art. Zwei Seiten genügen, um zu offenbaren, daß der Dichter das Objektive darstellt, zwei weitere, um die große Körperhaftigkeit und Plastik der Darstellung, fühlen zu lassen. Zeit, Ort und Lokalfarbe sind, bei der ersten Situation in aller Schärfe bestimmt, und der Pastor Sidenius, der erste, der aus der bunten Fülle der Persönlichkeiten vor uns erscheint lebt nach ein paar Worten in Fleisch und Blut. So geht es durch das ganze Buch. Es gibt kräftige Realitäten, ohne eigne Sympathien oder Antipathien 115 zu verraten, und der Leser folgt in dem Zwange des Erlebens, in dem alles wunderbar und alles zugleich so sonderbar natürlich ist. Kein Augenblick der Besorgnis tritt ein, daß die künstlerische Führung müde, unsicher würde oder gar vom richtigen Wege abirrte; wir fühlen, daß eine starke, männliche Hand die Feder hält, die Hand eines Dichters, der ein köstliches, ästhetisches Vertrauen einflößt: siehe, es wird alles gut werden.

Pontoppidan hat zwei Jahrzehnte an dem Roman gearbeitet. Dieser langen Zeit dankt er die schönsten künstlerischen Früchte, denn in ihr ist er Meister seines Stoffes geworden; Meister der großen Probleme, die aus ihm hervorquellen, ebensosehr wie des Details. In langsamem Reifen konnte auch die kleinste Ranke der Erzählung mit warmem Leben durchdrungen werden, so daß keine einzige tote Stelle in dem ganzen Buch zu finden ist.

Hans im Glück, so heißt es im Märchen, zieht mit einem Goldklumpen aus und kehrt nach mancherlei Erlebnissen mit einem Mühlstein wieder heim. Die Geschichte klingt recht kläglich tragisch und hat doch ein glückseliges Ende, denn Hans meint ja nun erst seinen Namen mit Recht zu tragen, da er den beschwerlichen Goldklumpen los geworden ist. Dem neuen Hans im Glück aber geht es folgendermaßen: In dem Pfarrhause einer kleinen ostjütischen Provinzstadt inmitten einer großen Kinderschar wächst er auf. Sonnig ist sein Elternhaus nicht zu nennen. Eine anmutlose, teils durch Armut, teils durch geistlich-asketischen Sinn bedingte, Lebensführung herrscht in ihm vor; seine Häupter sind ein strenger, glaubenseifriger Theologe und eine arme, ängstliche Frau, die gewollt und ungewollt zu der Schar der Mühseligen und Beladenen 116 gehört. Während sich nun alle anderen Kinder in selbstverständlicher Pflichtmäßigkeit dem patriarchalischen Geist des Hauses unterordnen, erschreckt dieser eine Sohn die Eltern schon früh durch allerlei in ihrer Tendenz bedenklich erscheinende Streiche, vor allem aber durch einen aus der Art geschlagenen Sinn. In der Tat führt der Knabe ein Innenleben, das sich in bewußter Abkehr von dem seiner Umgebung und ihrem religiösen Leben bewegt. Er nährt mit Fleiß einen bitteren Haß gegen das licht- und freudlose Leben der Seinen und mißt bald mit überlegener Befriedigung die Kluft ab, die sich zwischen ihnen immer weiter auftut.

Schon in diesen jungen Jahren reift in ihn der Plan, sich so empfindlich wie möglich an seiner Familie zu rächen. Er will Ingenieur werden und seiner armen kleinen Vaterstadt zu dem allen Sideniussen im tiefsten Herzen verhaßten Reichtum verhelfen, indem er sie durch großartige Kanalregulierungen an das Meer anschließt. In seiner Kopenhagener Studienzeit arbeitet er unermüdlich an diesem Projekt, dessen Gestaltung immer gigantischer wird. Ganz Dänemark soll von einem großen Kanalnetz durchzogen werden und von überall nach überall Zugang zum Meere und damit zum Welthandel gewinnen. Dieser Plan soll sein Schild sein gegen die verhaßte Vergangenheit und soll sein Schwert werden für die Gewinnung der Zukunft. Aber er bedeutet doch weit mehr als eine persönliche Rache und Genugtuung: er will eine neue Weltanschauung und eine neue kulturelle und wirtschaftliche Lebensbasis für ein ganzes Volk, sein Volk, anbahnen.

Hans hat nun das Glück, fast überall durch seine Persönlichkeit für seine Pläne und Interessen 117 Stimmung zu erwecken. In kraftvoller Naivität tritt er auf, mit dem Glauben eines Menschen, der ein Märchenreich zu erobern die Gabe und die Pflicht hat. Der erste Schritt hinein führt in das Haus der reichen Braut. Sie ist die Tochter eines jüdischen Großhändlers, dessen Umgebung wir in allem Licht und Schatten kennen lernen. In der scharf umrissenen Figur der Jakobe hat Pontoppidan eine jener ernsten Frauen gezeichnet, wie sie bisweilen aus glänzenden äußeren Verhältnissen hervorgehen. Weil sie Verstand und Tiefe besitzen, können sie ein individuelles Seelenleben entwickeln, und weil ihnen Muße und reiches Bildungsmaterial zur Verfügung steht, vermögen ihre Anlagen voll auszureifen. Jakobes Verhältnis zu Hans ist ein höchst interessantes Dokument für ihn selber, denn ihre kluge Persönlichkeit benutzt der Dichter als den Spiegel, in dem Hansens Erscheinung aufgefangen wird. Der junge, unausstehlich arrogante Neuling der Gesellschaft ist ihr bis zu ihrer Verlobung ein Gegenstand der Irritation. Er ängstigt ihre sensitive Natur mit seiner bäurisch gesunden Männlichkeit, und sie empfindet ihn als ein Naturprodukt, das für den Kulturmenschen unzuträglich ist. Aber in einer Art paradoxen Seelenzustandes, in den seine dreiste Keckheit sie hinein hypnotisiert, und unter dem starken Druck von Empfindungen, die ihre orientalische Abstammung erklärt, schenkt sie ihm ihre Hand. Und bald finden denn auch ihre Instinkte ein ganz anderes Wesen aus ihm heraus, ein Wesen, das mit dem Schlagwort "der Mensch des 20. Jahrhunderts" charakterisiert werden könnte. So skrupellos gegenwartsfroh sieht das neue, tatenkräftige Geschlecht der Zukunft aus, so robust ist seine Seele! Zum Stil 118 eines solchen überkräftigen Menschen gehören Ungeschliffenheiten.

Bis hierhin trägt Hans sicher und stark seinen Goldklumpen und ist, ohne sich umzusehen, auf seinem Wege gradeaus geschritten. Wenn Stimmen aus der Vergangenheit hinter ihm her riefen, achtete er ihrer nicht. Da führt der Tod des Vaters ihn in das Elternhaus, an das er sich mit keinerlei Fäden mehr gebunden glaubte, zurück. Dem Eindruck dieses würdigen Sterbens kann er sich nicht entziehen, und er nimmt aus jenen Tagen etwas mit, das seine Seele belastet. In der großen Einsamkeit des Gebirgsdorfes, in dem er dann den Winter zubringt, befällt ihn ein fremdes Grübeln, so stark, daß er, der bisher wie ein Stier auf sein Ziel zurannte und nur fachmännische Schriften las, anfängt, sich mit philosophischen und theologischen Büchern zu beschäftigen. Und zum erstenmal klopft bei ihm die Frage an, welche Weltanschauung hat denn eigentlich recht? Aber indem er die Gegner mit Hilfe der redegewandten Bücher in die Enge zu treiben sucht, scheint er sich mehr und mehr in allerlei dunklen Gängen zu verwirren.

Unterdessen hat sein Projekt angefangen, sich durchzusetzen, und das Glück streckt beide Hände nach ihm aus, ihm Erfolg und Berühmtheit zu schenken. Aber was hemmt die Energie seiner Natur? Unsichtbare Dämonen, deren Wesen er selbst noch nicht erkennt, scheinen ihre Zauberringe um ihn zu ziehen, so daß die kraftheischende Wirklichkeit oft merkwürdig schemenhaft und unbedeutend wird, das Übersinnliche aber ihm nahe rückt.

Dazu kommt eine abermalige Seelenerschütterung. Die Mutter stirbt und soll auf einem Schiff nach 119 der alten Heimat gebracht werden. Wie der Sarg der alten, müden Frau verladen wird, eine Kiste unter anderm Frachtgut – die Szene ist erschütternd und greift an das Herz. Hans beobachtet alles heimlich von einem Hafenkaffe aus, und am Abend begibt er sich selbst auf das Schiff, das die tote Mutter tragt, und begleitet sie auf ihrer stillen Nachtfahrt durch den Sund. In diesen Stunden schmerzlichen Grübelns, wo die Vergangenheit gespensterhaft lebendig wird und die Gegenwart entschwindet, wird ihm klar, daß das Gemütserbe seiner Eltern und seiner theologischen Vorfahren ihm doch überkommen ist, wie sehr er es auch gehaßt und bekämpft hat. Ihre Glaubensnöte, ihre seelischen Askesen, ihre Unfähigkeit, die Erde fröhlich zu lieben, ohne ins Jenseits zu schielen, die ganze Last dieser seelischen Traditionen ist ja auch ihm eigen und fängt an, aus dem Grunde seines Wesens aufzutauchen, allmählich, aber nur allzu wirksam in ihrer Zersetzungsarbeit. Vergeblich ists, dieser angeborenen Vergangenheit entfliehen zu wollen, sie wird ihn, den Parvenu des Lebensgenusses aus der orthodoxen Kinderstube, doch einholen. Da läßt er den Kampfplatz weltlichen Ruhmes und Reichtums, da läßt er Braut und Zukunftshoffnung in dem Augenblick im Stich, als er sich, vom Erfolg verfolgt, am lebendigsten auf ihm tummelte. –

Nach ein paar Jahren ist er in recht bürgerlich-glückliche Verhältnisse gekommen. Er hat eine blonde Pfarrerstochter heimgeführt und findet in seinem Hause allezeit fröhliches Kinderlachen und das Behagen der Ordnung und Sauberkeit. Aber eine innere Friedlosigkeit läßt ihn zu keinem Lebensgenuß kommen, denn die Vinetaglocken seiner Jugendträume wollen nicht schweigen. 120 So pflegt er in trüber Schwermut an seinem Schreibtisch zu sitzen, ein stiller Mann, in dem das Beste, was er hatte, zerbrach. Nein, glücklich ist er nicht! Es ist also doch ein böser Dämon gewesen, der ihn von dem Wege der Lebensfrohen fortlockend, der Schar der blutlosen Gedankenspinner züführte. Waren die Lebens- und Kraftgeister wirklich aus dem Sideniusschen Blute gewichen, nachdem sie generationenlang in ihm Tyrannei hatten erdulden müssen? Als er einmal in der Zeitung von dem großen Projekt liest, das jetzt in ganz Dänemark Aufsehen erregt, und die einst so geliebten Jugendpläne, die nun ein anderer wiederaufgenommen hat, darin erkennt, da scheint der Stachel stark genug, ihn aus seiner, ländlichen Verborgenheit herauszutreiben. Er reist nach Kopenhagen, um sich um eine bessere Stellung zu bewerben, aber die Reise bedeutet ein äußeres und inneres Fiasko, den Zusammenbruch des kümmerlichen Restes seiner Illusionen. In dem Jagen und Rennen dieses lärmenden Großstadtlebens fühlt er genau, daß er sich nicht mehr am Wettbewerb beteiligen kann. Während der langen Jahre der Zurückgezogenheit hat sein Seelenleben überhand genommen. Er ist mit seiner Tiefe zu schwer geworden für den bunten Tanz der Welt und nicht nur ohnmächtig dafür, wie er bisher gemeint, sondern auch ohnwillig. Aber ist er nicht sogar für das Glück des häuslichen Herdes ungeeignet? Legt er nicht seinem Weibe Lasten auf in ihrem sorglosen Schreiten? Er weiß es, und weil er es nicht aus dem heimatlichen Boden reißen will, der ihm keine Arbeit mehr bietet, und weil er sie einer glücklicheren Zukunft schenken möchte, scheidet er sich freiwillig von ihr und übernimmt den kleinen Posten eines Wegebauassistenten 121 an der unwirtlichen Westküste, um den sich wohl schwerlich ein anderer beworben hätte. Hier lebt und stirbt er einsam, nicht jung mehr und noch nicht alt.

So verrinnt dieses Leben, das mit so kühnem Anlauf begann, und seine Geschichte mutet tragisch genüg an. Der Mann, dessen Genie die kulturelle Umgestaltung eines Landes nicht zu schwierig schien, beschließt seine Laufbahn auf dem bescheidenen Posten eines Subalternbeamten, als eine völlig unbekannte, für die Welt bedeutungslose Existenz. Seine Jugend galt ausschließlich der Unterjochung der Natur, damit die Erde ein behagliches Wohnhaus für den Menschen würde – nun wohnt er in einer Gegend, wo das unablässig stürmende Meer und der rauhe Seewind so sehr die Herrschaft haben, daß der Mensch sie flieht. –

Wo liegt das tragische Problem dieses verklungenen Lebens? Liegts nicht in der Klage des greisen Faust eingeschlossen: "Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen"? Hans scheint zuerst ganz frei von ihr zu sein. Er ist einem Stück Naturkraft vergleichbar, wie er in brutaler Selbstverständlichkeit das Wirkliche anpackt, wo es brauchbar für ihn ist. Brauchbar war ihm Jakobe, deshalb freite er um sie, untauglich Kunst, Wissenschaft und die Natur als ästhetischer Erquickungsborn, so läßt er sie gänzlich unbeachtet. Weil er von keinerlei Pietätsgefühl beschwert ist, vermag er so frische und voraussetzungslose Ideale für sich und die Menschheit zu bilden, wie sie in seinem Projekte ruhen. Denn hierin sieht er ja seine Bedeutung, daß es einen gefährlichen Angriff gegen die verhaßte Weltanschauung der Theologen, gegen alle Jenseitskandidaten und unfruchtbaren 122 Idealisten, auch gegen die so übermäßig geschätzten Künstler bedeutet.

Er steht wirklich, ein Mann allein, vor der Natur, und darin liegt das Neue und Imponierende seiner Erscheinung und zugleich das Unsympathische, das seine Mitmenschen und den Leser ihm gegenüber gleicherweise ergreift. Er ist bis hierhin ja nur Naturwesen und völlig seelenlos. In demselben Zeitmaß aber, wo er sich eine Seele erwirbt, weicht auch das heidnische Glück von ihm, das sich so rätselhaft zu ihm hingezogen zeigte, und er verfällt den Gewalten der Magie, die in christlichem Gewände ihn früh schon hatten zu sich reißen wollen. Sie saugen ihm als Reflexionen das frische Mark aus den Knochen, sie kommen als Erinnerungen mit langen Fingern hinter ihm her und hemmen seinen Gang. Ganz leise bröckelt dabei ein Stück seines furchtlosen Wesens nach dem andern ab oder verändert sich unmerklich. Es fällt ihn auf seinen Reisen etwas von der Art historischen Sinnes an, den Nietzsche entnervend nennt; es schadet seiner Einheitlichkeit auch der Umgang mit den vielen Menschen, denn sie tragen ihm fortwährend fremde Worte zu, die er nachempfindet und kritisiert. Im Vergleichen aber nimmt er seiner eigenen Anschauungsweise schon von ihrer kräftigen Ursprünglichkeit. Die tiefste Ursache seines Scheiterns aber ist das Hervorbrechen jenes metaphysische gerichteten Sinnes, für den der Lorbeer oder das Gold nicht so viel Reiz hat, daß sie ins Schlachtgetümmel reißen. Im Grunde versagt nicht sein Können, sondern sein Wünschen und Wollen. Freiwillig tauscht er den symbolischen Mühlstein in seinen Besitz, und damit rückt das Märchen in eine neue Beleuchtung.

123 Seit Hans sich in die Öde jener Küstensiedelung begeben, ist eine wundervolle Ruhe über ihn gekommen. Er ist glücklich und ist auch wohlberechtigt, sich so zu nennen, denn er besaß den Mut und die Fahigkeit, das Glück mit eigenen Augen zu sehen, und hat durch sie erkannt, daß es für ihn in Einsamkeit und stiller Resignation, ja in einem gewissen schmerzlichen Zustande läge. Nach langen Kämpfen hatte er diese seine Natur gefunden. Sie war unter vielen Schichten so verborgen gewesen, daß er sich in seiner Jugend über sie getäuscht hatte, und nur nach und nach hatten die Erlebnisse so viel abgeschliffen, daß sie erst wie dünne Adern an die Oberfläche drang. Nun war aschenartig alles Fremdartige von ihm abgefallen, und er stand zum zweiten Mal ein Mann vor der Natur allein und hatte die Magie, vor der er einst zu entfliehen versuchte, nun in mutigem Kampf zu besiegen vermocht. Er hatte sich ins Freie gekämpft, was er, der eine eigne Moral kannte, so nennen konnte, und so erscheint er uns schließlich in der Erhabenheit, die einer abgeschlossenen, zu ruhiger Einheit zusammengefaßten Persönlichkeit eignen kann.

Es könnte den Anschein haben, als hätte Pontoppidan in Hans' Schicksal christliche Weltabgeschiedenheit doch als die zuletzt alleinseligmachende Lebensführung hingestellt, aber wir erfahren ausdrücklich, daß der einsiedlerische Mann niemals Trost in der Religion gesucht habe. Gewichtiger noch spricht der Geist des Buches dagegen. Seine Tendenz, wenn man einmal von einer solchen reden will, ist viel eher in dem Preise einer hohen persönlichen Moral zu suchen, die alle angelernten und angeerbten Gesetze weit unter sich läßt, aber Ehrfurcht kennt vor jeder andern, wenn ehrlich errungenen.

124 Hansens Schicksal und Persönlichkeit dominieren vollständig in dem Roman, aber es umgibt und begleitet ihn ein Gedränge anderer Gestalten, von denen jede ihr volles Recht bekam, manche dadurch, daß sie im Schatten blieb. Auch allerlei bekannte und berühmte Persönlichkeiten erscheinen in leichter Verkappung.

Das Werk wurzelt mit jeder Faser in seinem dänischen Heimatboden. Das ist bei seinem großen Stil, der über alle Zufälligkeiten der Lokalisation erhaben ist, ein Vorzug für den ausländischen Leser, denn er vermittelt zugleich die Kenntnis einer fremden Kultur, deren Manifestationen auf sozialem, ästhetischem und kirchlichem Gebiet in breiten Strömungen und engeren Milieus, vergehend und werdend, geschildert sind. Da muß es auffallen, welche Rolle nach Pontoppidan der Journalismus in diesem Lande spielt, und in engem Zusammenhang hiermit erhebt sich die Frage: Spricht der klarblickende Dichter vielleicht selbst aus seinem Helden, wenn dieser meint, daß Dänemark sich dem Phantasieleben zuwende und Bücherschreiber und Künstler über alle Maßen verhätschele, weil es den realen Zielen und Aufgaben der modernen Weltentwicklung gleichgültig gegenüberstände? Sieht er ihn, den Versagenden, wie Niels Lyhne und seine Wesensverwandten etwa mit banger Besorgnis als dänische Nationaltypen an?