Eine Randbemerkung

Wahrscheinlich werden sich Leser von Edvard Brandes' letztem Buch1 "Ein Politiker" etwas über die possierliche Unbeholfenheit gewundert haben, mit der der sonst so gewandte Autor uns in Leben und Gewohnheiten seiner Figuren eingeweiht hat. Die "Vorgeschichte" umfasst beinahe das halbe Buch. Bis zur Mitte des Buches hin geht die Erzählung einen stetigen Krebsgang.

Ein paar Mal beginnt der Verfasser zwar das Tempo der Erzählung zu steigern und die weiteren Folgen der Reichstagsrede, die die Einleitung der Erzählung bilden, auszumalen; Instinktiv begibt er sich jedoch sofort wieder wie ein Bergmann hinunter in die dunkle Vergangenheit und beleuchtet deren Mysterien mit der ruhigen, hell leuchtenden Fackel seiner Fantasie.

Viele haben dem Verfasser dieses fortwährende Vertiefen in vergangene Zeiten als einen Fehler vorgeworfen, einen Mangel an Technik, der vom Verfasser kaum gewollt sein kann, da er an ein paar Stellen kleine Versuche zu unternehmen scheint, ihn zu verstecken.

Ich sehe dennoch nicht ein, warum diese Erzählart weniger gut sein soll, als eine andere, ja es kommt mir sogar so vor, dass die zurückschreitende Erzählung – konsequent durchgeführt – sich sicherlich gerade zur kritischen Seelenanalyse eignet, woraus die modernen Romane ja hauptsächlich bestehen.

Man – der Leser – kommt mit dieser Methode nämlich dazu, dem Verfasser Schritt für Schritt auf dem gleichen Weg zu folgen, den er meist in seinen Untersuchungen selbst gegangen ist. Denn es ist wohl fast eine Regel, dass es das Ende der Erzählung ist, die Katastrophe selbst, die ihm als erstes klar vor Augen stand und ihn inspirierte. Von ihr aus hat er sich in das Leben seiner Figuren zurückversetzt, dem verborgenen Pfad geradewegs bis zum Ursprung folgend, sich in deren Charakter vertieft, deren Entwicklung, die Einflüsse, die sie geprägt haben, das Familienerbe, das ihnen im Blut liegt – bis er den Grund ihres Wesens ausgelotet, den menschlichen Urgrund selbst entblößt hat, über den sich im Laufe des Lebens so viele Schichten lagern.

Warum geht er eigentlich diesen entgegengesetzten Weg, wenn er die Ergebnisse seiner Untersuchungen darstellt? Es ist gewiss unnatürlich und trübt schnell das Verhältnis zwischen Dichter und Leser.

Wie der Wissenschaftler, der ein Naturphänomen erklären will, dieses als gegeben ansieht, und ausgehend von dessen Existenz und mit Hilfe von einmal aufgestellten Naturgesetzen Hinweis für Hinweis dessen geheime Ursachen beweist – so müssten auch die Seelenanalytiker ihr Referat mit dem Ausschlag menschlicher Seelenbewegungen beginnen, die zu erklären ihre Absicht ist, – mit dem Faktum, das sich von Anfang an selbst auftat, das letztliche Fazit, worauf sie doch all ihre Ausführungen aufbauten, und das sie immer im Sinn haben, wenn sie ihre Betrachtungen anstellen, weil nur aus diesem resultieren kann, was im vorhinein gegeben war.

Eigentlich basiert die nun gebräuchliche Erzählweise auf lauter Taschenspiel und Verstellung. Während das Ideal doch sein sollte, dass Verfasser und Leser stets wie eins sind, ist nun das Verhältnis dieses, dass der Autor die ganze Zeit mit einer Maske umhergehen und so tun muss, als ob er nicht mehr als der Leser wüsste, ihm Auflösungen vorenthalten, ja manchmal seine Auffassung geradezu auf einen Holzweg leiten muss – alles unter dem Vorwand, das Leben selbst darzustellen.

Aber es ist töricht, das Leben selbst darstellen zu wollen. Heutzutage sind es vor allem Laienprediger und Professoren des Varietétheaters in höherer Magie, die behaupten, Wunder wirken zu können. Ein Autor kann nur den stark begrenzten Eindruck darstellen, den das Leben auf ihn gemacht hat; nur zwei-drei Töne der unendlichen Symphonie des Lebens wiedergeben, mit der die Stränge seines Herzens im Einklang gestimmt sind.

Wofür aber sich anstellen, als ob man ein großes Orchester dirigiere, wenn man in Wirklichkeit nur eine bescheidene, kleine Flöte spielt? –

Viele werden vielleicht denken, dass das Interesse für ein Buch notwendigerweise abnimmt, wenn die Explosion, die Einem nun wie ein wohl präparierter Schlusseffekt serviert wird, auf die man sich während des gesamten Lesevorganges freuen kann, wenn das Pulver bereits im ersten Kapitel verschossen wird. Wenn man im vorhinein die Auflösung kennt, erweckt das Rätsel kaum mehr die Neugier.

Trotzdem fehlt uns ja im wirklichen Leben keineswegs das Interesse für Begebenheiten, die uns wie ein heftiger Guss überraschen. Im Gegenteil. Hören wir eines Morgens, dass sich unser Nachbar erhängt hat, pflegt es in höchstem Grade unsere äußerst natürliche und nützliche Wissbegier zu wecken.

Warum hat er das getan? Wie hat es sich ereignet? Was sagt die Frau? Hat er einen Brief hinterlassen? – es sprudeln die Fragen und wir sind erst zufrieden gestellt, wenn wir detaillierte Antworten auf alles bis hin zum Strick um seinen Hals bekommen haben.

Ich räume ein, dass die Spannung, die von Büchern mit einer auf die Schlusskatastrophe zugespitzten Handlung erzeugt werden kann, auf raffiniertere Weise reizend ist. Man hat während des Lesens eines solchen Buches ungefähr dasselbe Gefühl, wie wenn man um eine geladene Kanone herumgeht. Eigentlich sieht sie so friedlich aus – ein kaltes, schön geschliffenes Stück Stahl. Aber das Bewusstsein darüber, dass sie an der einen oder anderen Stelle den Sprengstoff verbirgt, der uns dazu bringen soll, zusammenzufahren, hält uns in beständiger Nervosität. Die Wirkung wird dadurch erhöht, dass wir selbst Zeugen sind, wie die Muskete geladen wird, ohne dass wir jedoch wissen, ob es Pulver oder Kugel oder leere Ladung ist.

Denn wie ein echter Taschenspieler vertraut uns der Verfasser nicht an, was die Absicht hinter seinen unterschiedlichen Mätzchen ist, z.B. ob eine Person, die er plötzlich einführt, die Lunte sein wird, oder ob es ein Liebesverhältnis ist, in das wir eingeweiht werden, das in die Luft gesprengt wird; – wir haben bis zum Schluss bloß eine Ahnung von der nervenaufreibenden Anhäufung brennbarer Stoffe und in jeder kleinen Wolke am Himmel ahnen wir den einschlagenden Blitz. Wir sitzen wie mit den Händen bereit, um sie mit einem Ausruf an die Ohren halten zu können, wenn der Knall kommt.

Aber all das mag doch bloß eine Reminiszenz dieser Zeit sein, in der es noch echte Kassenschlager gab. Und die sagt man ja, sei inzwischen vorbei.

Urbanus.

 
[1] Buch: En Politiker kam ein Monat zuvor heraus, in der Woche zwischen dem 13. und 19. September. tilbage