Aus einem Brief aus Nordseeland

– – Trostlos sehen die Felder hier aus. Überall droht die Saat im Wasser zu ertrinken, und gerade die Gersten- und Haferernte, die so viel "trinkt", beginnt bereits in den aufgestellten Diemen1 schwarz zu werden. Seit Menschengedenken hat man so eine Ernte noch nicht erlebt, und man versteht allmählich die Geschichten, die wir von unseren Eltern gehört haben, und die uns damals wie Märchen oder Sagen erschienen. Sie berichteten nämlich von der Zeit, als man das Korn auf den Feldern noch bis Weihnachten liegen ließ, ja, es mitunter überhaupt nie ins Haus holte. Sollte dieses Wetter noch eine Weile anhalten, könnten wir in diesem seltsamen Jubiläumsjahr2 wieder etwas Ähnliches erleben. Doch selbst wenn sich endlich alle guten Mächte unserer erbarmen, kann es immer noch düster aussehen. Die Tage sind nun schon kürzer, und der Tau ist dieses Jahr wegen der aufgeweichten Erde noch dichter als jemals zuvor im September. Bis Mittag bedeckt er die Felder, falls nicht gleichzeitig auch ein beharrlicher Ostwind aufzieht, der die Diemen durchbläst.

Diese unglückliche Ernte zieht alle Aufmerksamkeit derartig auf sich, dass sie alles andere in den Schatten stellt. Selbst die Delegiertenversammlung3 scheint den Menschen nicht wichtig genug, um sich in Ruhe damit zu beschäftigen. Aber wir in Nordseeland sind ja auch dafür bekannt, schlechte Politiker zu sein. Jede noch so kleine Veränderung des Barometers, der Wolken und des Windes scheint uns wichtiger zu sein als irgendeine Grundgesetzexplosion4. Von den achtjährigen Knaben bis hin zu den Greisen in den Altenteilzimmern, die seit vielen Jahren kein Werkzeug mehr in der Hand hatten, halten sich alle bereit, um sofort loszuziehen, sobald es bloß der Himmel erlaubt. Und gerade unter diesen Umständen mussten wir unsere besten Männer in die Kasernen5 schicken! Die feinen Herren, die das so klug eingefädelt haben, müssten einmal erfahren, was eine derartige Verringerung der Arbeitskraft in einer Zeit bedeutet, in der man jede Fuhre zwischen den Regenschauern sicherstellen und die Arbeit eines ganzen Tages in der einen Stunde Mittagssonne verrichten muss. Vielleicht ist das aber zu viel verlangt.

Erstaunlicherweise ist es zur Abwechslung den Gottesfürchtigsten am schlechtesten ergangen. Vergangenen Sonntag lichteten sich die Wolken, und am Vormittag brannte die Sonne bereits mit einer Hitze, die schnell die diesmal weniger feuchten Garben trocknete. Aber nur wenige wagten es, den Frieden des heiligen Tages zu stören, und das weckte große Missgunst unter den Kirchengängern, die die Kornfuhren auf der Straße erblickten. "Beten hält die Arbeit nicht auf," hörte man von vielen. Aber vor allem soll unser Pfarrer fuchsteufelswild geworden sein und so heftig gegen die Willensschwachen gewettert haben, dass er mitten in einem Satz sein Gebiss verlor. Trotzdem haben die Willensschwachen ihre Untaten nicht bereut, denn tags darauf verhüllte der Himmel erneut sein Gesicht, und die Sonne hat ihr Licht seitdem nicht mehr scheinen lassen – weder über den Gerechten, noch den Ungerechten. Die ersten beweinen nun still ihre zerstörte Ernte. Und schenkt uns der Himmel barmherzigerweise noch einen solchen Sonntag, wird der Pfarrer gewiss vor leeren Bänken predigen, falls er es nicht zeitgemäßer finden sollte, selbst den Talar hochzukrempeln und an der Spitze seiner Gemeinde mit einer Heugabel in der Hand voranzuschreiten.

L

 
[1] Diemen: zum Trocknen aufgestellte Garben, zusammengebundenes, abgeerntetes Getreide. tilbage
[2] Hundert Jahre seit der Aufhebung der Erbuntertänigkeit (auch Grundherrschaft). tilbage
[3] Der große Parteitag vom 29. bis 30. September 1888 in Kopenhagen, wo die "Organisation Venstre" gegründet wurde. tilbage
[4] Damit wird auf die provisorische Gesetzgebung der konservativen Højre-Regierung hingewiesen, die von der Opposition als grundgesetzwidrig angesehen wurde. tilbage
[5] Die Herbstmanöver wurden vom 6. bis 8. Oktober 1888 in Aarhus durchgeführt tilbage