Otto Stoessl til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Matrasgasse 20, Wien. 29. september 1923

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Wien 29.9.23.

Verehrter Herr, ob Sie sich meiner noch errinnern, weiss ich nicht, wol aber gedenke ich der Freundlichkeit, mit der Sie vor ein paar Jahren meinen oesterreichischen Roman "Das Haus Erath" aufgenommen, der eingehenden und beachtenswerten Worte, die Sie mir darüber geschrieben haben. Musste ich daraus freilich entnehmen, wie schwer es ist, örtlich und historisch eng begrenzte Schicksale einer weiteren Welt und Zeit völlig begreiflich und als selbstverständlich notwendig zu insinuiren, so müsste mich gerade dieser Umstand aneifern, in meiner weiteren Arbeit das Allgemeine, Menschheitliche, Episch-Typische im gegebenen Oesterreichischen zu entwickeln und darzustellen und so durch das Örtliche und Zeitliche zum Europäischen hindurchzufinden. Ich möchte darum nicht unterlassen, Ihnen meinen neuen Roman1 vorzulegen, der das spezifisch oesterreichische und doch allgemeine Phaenomen des musikalischen Genius als epischen Gegenstand und Inhalt behandelt und Ihnen von seiner allgemeineren Natur her etwa das problematisch-oesterreichische besondre näher bringt, als damals meine Geschichte des untergehenden oesterreichischen Bürgertums von einst. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie Zeit und Lust fänden, das Buch zu lesen und mir ein paar Zeilen Ihres Urteils zu schreiben, ist doch die stille, wirksame Verbindung der schöpferischen Menschen, der bewussten Anschauenden und Gestaltenden der einzige Trost und Rückhalt in einer so entsetzlichen, unbewusst 2 wütenden und zeugenden Epoche, wie der unsrigen. Meine tiefste Überzeugung, der Grundgedanke und Trost auch dieses neuen Werkes ist ja, dass alle sittliche und menschliche Ordnung nur von den Schaffenden ausgehen kann. Sie allein bilden überhaupt den Begriff Menschheit.

Das Buch soll Ihnen direkt vom Verlage und zwar um die Mitte October d.J. zugehen, hoffentlich trifft es Sie bei bestem Wolsein. Bei den heutigen Verhältnissen, die unsereinem sogar den Kauf eines Buches unmöglich machen, aber auch Übersetzungen aus fremden Sprachen schier ausschliessen, habe ich seit Ihren früheren Büchern nicht Neues von Ihnen mehr gelesen und weiss nicht einmal, was Sie mit Hans im Glück, mit dem "alten Adam" etc. geschaffen haben, obschon von den neueren Werken des Nordens mir keines einen so nachhaltigen, urepischen Eindruck gemacht hat, wie Ihr "Hans im Glück", der das specifisch Dänische durchaus als allgemeines Menschliches darzustellen weiss. Einen Novellenband "Irrwege" der 1918 erschienen ist, habe ich Ihnen auch vom Verlage schicken lassen wollen, glaube aber, dass die Zusendung aus Achtlosigkeit trotz meinem Auftrage, unterblieben ist. Vielleich hätten Ihnen diese kurz zusammengefassten und zugespitzen, mehr weltgemässen, als örtlich beschränkten Motive zugesagt.

Verzeihen Sie jedenfalls diese Störung, die Sie nur meiner hohen Wertschätzung Ihrer Persönlichkeit und Ihres Werkes als entschuldbar zuschreiben mögen und erfreuen Sie, wenn es Ihnen irgend tunlich erscheint, durch eine Nachricht über das neue Buch Ihren dankbar ergebenen

Dr. Otto Stoessl

Wien XIII/7 Matrasgasse 20

 
[1] neuen Roman: formentlig kunstnerromanen Sonnenmelodie (1923). tilbage