Otto Stoessl til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Matrasgasse 20, Wien. 17. december 1920

Wien 17.12.20

Hochverehrter Herr, seit langem schon ein Bewunderer Ihrer grossen epischen Kunst, die mir, namentlich im "Hans im Glück"1 für die Ausbildung meiner eigenen erzälenden Form ein unerreichtes Vorbild bleibt, habe ich es bisher freilich nicht gewagt, Sie mit Briefen oder gar mit eigenen Büchern zu behelligen. Nun sagt mir aber mein Freund Paul Ernst, Sie interessierten sich für deutsche Litteratur und würden es wol auch für meinen letzten Roman2. So habe ich denn den Verlag beauftragt, Ihnen das Buch zu schicken und bitte Sie hiermit, es freundlich und als Zeichen meiner Bewunderung und Verehrung aufzunehmen. Ich würde mich freuen, wenn es Ihnen als Ganzes und in seinen Einzelheiten gefallen könnte. Ich habe darin den Versuch gemacht, im Schicksal einer Wiener Familie den Untergang der Wiener bürgerlichen Gesellschaft darzustellen, wie ich ihn schon seit etwa 20 Jahren allmählich herankommen gesehen habe. Der 2 Krieg war nur die äussere Katastrophe, die innere bestand längst. Und wenn ich auch andere Länder nicht so genau kenne, um ein bestimmtes Urteil abzugeben, so fürchte ich doch, es werde mit der eigentlich bürgerlichen Gesellschaft überall nicht viel anders gehen. Die Ursache sah ich von je in dem Aufgeben des Geistigen, das allein eine Ordnung von innenher erhalten kann. So konnte Geldansammlung zwar eine Art riesenhaften Grossbürgertums schaffen, die eigentlich productive und als Classe herrschende mittlere Schicht, der das Geld nur Mittel, nicht Zweck war, und die den Sinn der bisherigen Ordnung ausdrückte, aber auch die tatsächliche Herrschaft über die andern Schichten ausübte (z.B. in Oesterreich namentlich durch die Bürokratie sogar über den durch die Einzelnen sehr mächtigen Adel, auch über die Bauern etc), musste absterben, 3 als sie weder sich selbst, noch der Gesammtheit neue allgemeine Lebensziele und Ideen mehr vorzuhalten wusste. Das gegenwärtige und drohende Chaos scheint uns darum so traurig, weil ich auch bei den anderen Schichten keine besonderen Ideen und Schöpfer wahrnehme, wenigstens vorläufig.

Nun ist allerdings die Frage, ob diese geistigen Grundinhalte oder Inhaltslosigkeiten als Tragik des Unvermögens, als Tragik der untragischen Menschen in dem Roman eine Form, das Auseinanderfallen einer Klasse mit der eigentümlichen offenen Dissonanz als Schluss in der stofflichen Vereinzelung seinen allgemeinen Sinn bekommen hat. Wenn ein Meister wie Sie, das bejaht, will ich mich freigesprochen fühlen. Hebt doch jedes Werk gegen seinen Schöpfer auch eine Anklage, wenn er seine inneren 4 Möglichkeiten nicht bezwungen und bezwingend ausgeschöpft hat. Ich wäre Ihnen dankbar wenn Sie es nicht als allzugrosse Störung empfänden, mein Buch lesen zu müssen und mir darüber eine Zeile schrieben. Ich bin als Dichter in Deutschland und in meiner Heimat zwar nicht allgemein bekannt, aber ich weiss, dass ich bei manchen Menschen etwas gelte, die ich aufrichtig schätze. Über die Sprachgrenzen hinaus ist freilich nichts von mir gedrungen. Vielleicht ist es nicht allzu unbescheiden, wenn ich hiermit den ersten Versuch mache, einem grossen Meister eines künstlerisch so bedeutenden Nachbarvolkes mich zu nähern und ihm zu zeigen, was ich will und kann. Haben Sie Dank im Voraus für Ihre Güte von Ihrem verehrungsvoll ergebenen

Dr. Otto Stoessl

Wien XIII/7 Matrasgasse 20

 
[1] Hans im Glück: Mathilde Manns oversættelse af Lykke-Per udkom 1906. tilbage
[2] letzten Roman: Das Haus Erath der udkom 1920. tilbage