Paul Ernst til Henrik Pontoppidan
Sendt fra Sonnenhofen, Post Königsdorf, Ober Bayern. 12. september 1922

Sonnenhofen, Post Königsdorf, O. Bay.
12 Spt 22

Sehr geehrter Herr Pontoppidan,

der Litteraturhistoriker Prof. Dr. Soergel1, dessen Buch2 Sie gewiss auch kennen, will mich für den Nobel Preis vorschlagen und sammelt zur Unterstützung Gutachten von einigen der im Ausland bekanntesten Gelehrten über meine Werke. Er schreibt mir nun, dass es sehr gut sein würde, wenn auch einige Stimmen aus dem Ausland dazu kämen.

Ich habe vor dem Kriege den Eindruck gehabt, dass einige hervorragende Männer in England und namentlich in Frankreich meine Werke schätzten; aber zwei von ihnen sind inzwischen gestorben, eine neue Beziehung habe ich nicht gefunden, und der noch Überlebende, ein Franzose, denkt heute vielleicht anders – und wenn auch nicht, so möchte ich doch einem Angehörigen einer meinem Volk so feindlichen Nation nicht verbunden sein. Nun dachte ich, dass Sie vielleicht geneigt wären, den Antrag zu unterstützen, und ich nehme an, dass Ihr Wort sehr in die Wagschale fallen würde.

Ich komme mit der Bitte zu Ihnen in der Überzeugung, dass Sie sie nicht missverstehen werden. Das Urteil über zeitgenössische Dichtung ist immer schwankend, und man darf Niemandem übel nehmen, wenn er sich zurückhält. Sollten Sie sagen, dass Sie sich nicht äussern mögen, so würde ich das ganz verstehen; 2 sollten Sie sich aber entschliessen, den Antrag zu unterstützen, so werd ich das – abgesehen von allem Anderen – als die höchste Ehrung betrachten, die meinen Arbeiten zu Teil werden könnte.

In diesem Fall wäre Nichts weiter nötig, als dass Sie Herrn Prof. Dr. Soergel (Chemnitz, Helenenstr. 11) oder mir selber auf einer Karte schreiben, dass Sie den Antrag unterstützen wollen.

Es werdensind√ noch andere meiner Dramen, die zur Zeit vergriffen sind, im Rahmen meiner Gesammelten Schriften mit gedruckt, und ich dachte, Ihnen 2 Bände übersenden zu können, die insgesamt 8 Dramen enthalten. Aber ich habe immer noch keine Exemplare zur Verfügung erhalten. Sie können sich gewiss vorstellen, wie wirr alle Zustände werden müssen in einem Land, in dem Alles zusammengebrochen ist, die Kulturschicht vernichtet wird, die Hungersnoth bevorsteht und der Bürgerkrieg jeden Augenblick ausbrechen kann. Ich merke ja auf meinem einsamen Bauernhof unmittelbar nicht Viel von dem furchtbaren Unglück, aber mittelbar doch durch meine Kinder, die draussen in der Welt sind und bitter kämpfen müssen. Mein Sohn kommt jetzt von einer Fahrt nach Amerika zurück, die er als Arbeiter auf einem Schiff gemacht hat, um sich das Geld für ein Semester Studium zu verdienen. Wenn ich an die friedlichen und schönen Stunden denke, die ich bei Ihnen verleben durfte, dann wird mir wehmüthig ums Herz. Seit dem einen 3 Jahr ist es furchtbar mit meinem Volk bergabgegangen, und die letzte Tiefe des Unglücks ist noch nicht erreicht.

Bitte, empfehlen Sie mich doch herzlich Ihrer gütigen Gattin. Meine Frau schliesst sich unbekannter Weise an

Hochvll Ihr erbn
Paul Ernst

 
[1] Soergel: Wilhelm Albert Soergel (1880-1958) professor i Chemnitz 1920-45. tilbage
[2] Buch: formentlig Dichtung und Dichter der Zeit: eine Schilderung der deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte, 1911 (20. opl. 1928). tilbage