Zuhause bei zwei Dichtern

I.

Ein lang gehegter Wunsch sollte sich erfüllen, als ich kürzlich in Østerbro stand, um im Namen der Politiken unserem bereits angesehenen jungen Volksschriftsteller N.N. einen Besuch abzustatten.

In meinem Leben war es mir bisher nur einmal vergönnt gewesen, einem Dichter so nahe zu kommen, und dieses Glück hatte ich damals nicht meiner Eigenschaft als Interviewer zu verdanken.

Es liegt nämlich schon viele Jahre zurück. Eine alte Tante aus Jütland kam damals plötzlich auf die Idee, sich in Kopenhagen niederlassen zu wollen, und schrieb mir, der gerade mit dem Studium begonnen hatte, in diesem Zuge mit der Bitte, eine bestimmte Wohnung zu besichtigen, die in der Berlingske Tidende zur Miete beworben war.

Ich hatte immer schon einen dienstbereiten Charakter, weshalb ich ja auch Journalist geworden bin. Außerdem war meine Tante nicht mittellos und hatte zufälligerweise auch keine Kinder, weshalb ich ihr mit Freude jede Gefälligkeit erwies. Damals wusste ich nicht, wie zählebig alte Tanten aus Jütland für gewöhnlich sind.

Ich war erst achtzehn Jahre alt. Ich liebte die Poesie mehr als alles andere auf der Welt, versuchte mich im Stillen sogar selbst daran. Man stelle sich also meine Begeisterung vor, als ich aus dem Adressbuch erfuhr, dass die Wohnung, nach der meine Tante gefragt hatte, derzeit niemand geringeres als mein erklärter Lieblingsdichter bewohnte, unser berühmter, unvergesslicher Professor Æ.

Das ganze Treffen habe ich immer noch so deutlich vor Augen, als wäre es gestern gewesen.

Es war im Villenviertel von Frederiksberg, das damals wesentlich stiller, ländlicher und erfüllter von friedlichem Blumenduft war als heute. In der Annonce war angegeben, dass die Wohnung um zwölf Uhr besichtigt werden könne.

Zum Glockenschlag stand meine sorgsam herausgeputzte Wenigkeit vor der Tür, an der auf einer kleinen, unansehnlichen Porzellantafel der große, denkwürdige Name stand.

Ich weiß immer noch, wie mein Herz klopfte und meine Hand vor lauter Ehrfurcht und Aufregung zitterte, als ich nach langem Zögern endlich den Mut fand, ganz sachte an der Klingel zu ziehen. Was würde passieren? Würde der alte Dichter selbst sich mir offenbaren, in dem schwarzen Seidentalar, in dem er sich am liebsten abbilden ließ? Würde ich ihn sprechen hören? Vielleicht sogar die Hand schütteln, die diese unvergesslichen Strophen geschrieben hatte:

"Dafür sollte mein Glück reichen,
sang ich mit dem Vögelchen auf den Zweigen;
ich fing meine Hirschkuh, ich fing meine Hirschkuh,
ich fing meine Hirschkuh im Schleichen."

Eine hübsche ältere Dame mit vielen kleinen, silbergrauen Locken, die ihre Stirn einrahmten, und einer breiten, weißen Spitzenhalskrause, die ihr bis zu den Schultern reichte, – vermutlich die Ehefrau des Dichters – öffnete mir und verabschiedete sich gleichzeitig von einer anderen Dame, die augenscheinlich mit der gleichen Absicht wie ich hergekommen war.

Nachdem ich stammelnd und gewiss äußerst lückenhaft mein Anliegen hervorgebracht hatte, bat mich die Dichtergattin zuvorkommend herein und folgte mir dann selbst in die nicht allzu große, aber ungewöhnlich gemütliche, auf ihre Weise prachtvolle und mit feinstem künstlerischen Geschmack eingerichtete Wohnung.

Überall war es auffallend still. Nur ein Papagei saß in einem Käfig am Fenster und sprach in Versen. Die Frau selbst bewegte sich so außerordentlich still und leise, als wolle sie mich behutsam bitten, es ihr gleich zu tun, und ich begann zu denken, dass sich sicher ein Kranker im Haus befinden müsse. Wahrscheinlich hatte sie meine Verwunderung bemerkt; denn plötzlich sah sie mit einem unvergesslich reizenden Lächeln auf und sagte, halb entschuldigend, fast verschämt, aber mit einem kleinen, stolzen Seitenblick zu einer verschlossenen Tür in der Wohnzimmerwand, die ich bis dahin noch nicht bemerkt hatte:

"Der Professor dichtet."

Diese drei Worte wirkten auf mich ganz magisch. Ich war also nicht nur durch eine sonderlich glückliche Fügung in einen dieser Tempel der Kunst eingelassen worden, etwas, um das sich so viele meiner Sehnsüchte gedreht hatten; ich war auch noch genau zu der feierlichen Stunde hier, in der die Muse ihren begnadeten Liebling besuchte, in der Poesie geboren wurde!

Von diesem Gedanken wurde ich so benommen, dass ich für einen Moment vergaß, weshalb ich eigentlich gekommen war. Mir war wie in einem Traum, während ich alles sah und die wohlwollenden Erklärungen der Frau zu der Wohnung hörte. Meine ganze gespannte Aufmerksamkeit war wie verzaubert auf diese Tür geheftet, hinter der das große Mysterium vor sich ging.

Das Herz schlug mir bis zum Hals und mir war fast schwindelig, als die Frau schließlich leise dorthin ging und vorsichtig an die Tür klopfte. Drinnen antwortete niemand. Dann klopfte sie noch einmal, etwas kräftiger; doch weil von innen noch immer kein Laut zu hören war, legte sie erst ihr Taschentuch, dann beide Hände behutsam auf das Schloss und öffnete die Tür lautlos zur Hälfte, während sie mir ein Zeichen gab, dass ich einen Blick hineinwerfen könnte.

Ich folgte ihrem Wink sofort.

Ich steckte den Kopf in ein stickiges Zimmer mit vielen kleinen Teppichen auf dem Boden, vielen in Gold gerahmten Studien an den Wänden, vielen schmuck eingebundenen Büchern, vielen Blumen, vielen hübsch bestickten Kissen und Schlummerrollen auf den Stühlen und dem Sofa, ein perfektes kleines Dichterzimmer, genau wie ich es mir immer vorgestellt hatte.

Am Fenster, das zu einem großen, sonnenbeschienenen Baum im Garten hinausging, saß der alte Dichter in seinem schwarzen Seidentalar, die Wange auf die Hand gestützt, und blickte nach draußen. Das Licht fiel klar und golden auf sein zartes, träumendes Antlitz. Er drehte sich nicht um und schien unsere Anwesenheit insgesamt überhaupt nicht zu bemerken. Ein halb beschriebener Bogen lag vor ihm auf der Fensterbank, und über seinem Kopf erhob sich eine mächtige, breitblättrige Araucaria1, vollständig besetzt mit diesen prachtvollen roten Blüten, die beim Aufblühen so berauschend duften, während man aus ihren Samen bekanntlich eines unserer gebräuchlichsten Brechmittel gewinnt.

Dann schloss die Hausherrin die Tür wieder, und der ganze Anblick währte wohl nur knapp eine Minute.

Aber dennoch ist noch heute jeder einzelne Teil dieser Offenbarung unauslöschlich in meinem Gedächtnis eingeprägt. Seither habe ich nicht den Namen des alten, mittlerweile verstorbenen Dichters hören oder eines seiner kleinen Bücher in die Hand nehmen können, ohne dass dieses ganze Bild, das sich in jener Minute entfaltete, um genauso jäh wieder zu verschwinden, mir wieder leibhaftig vor Augen tritt. Ich sehe die kleine, zarte, verträumte Greisengestalt mit den langen, grauen Haaren, die in Locken über die Schultern fielen, den schwarzen Talar, die bestickten Kissen, die vielen Bücher und die ganze feine, anmutige Gemütlichkeit. Vor allem aber sehe ich vor mir die große, blühende Araucaria, über die ich später hörte, dass er den Duft dieser Blume unbedingt in seinem Zimmer brauchte, wenn er dichtete.

Und – merkwürdigerweise! – jedes Mal, wenn ich heute eines seiner Gedichte zu lesen beginne, überkommt mich ein Gefühl von Übelkeit, und ich muss mich entfernen, um zu vomieren.

Das Treffen mit dem alten Dichter kam mir unwillkürlich wieder in Erinnerung, als ich kürzlich damit betraut wurde, den Lesern der Politiken eine kleine Schilderung vom Leben und Zuhause unseres erwähnten jungen Volksschriftstellers zu bieten.

Wenn man sich mit seinem Talent jahrelang in den niederen Gefilden des Journalismus bewegen musste, wenn man seine Fähigkeiten zugunsten niederer Vergnügungsetablissements, Bäckereien und anderer Verstecke des Verderbens nutzen musste, dann ist es nicht verwunderlich, dass man sich ein bisschen beklommen fühlt, wenn man zum ersten Mal eine so seriöse Aufgabe zugeteilt bekommt, wie die Presse bei einem der Genies unseres Landes zu vertreten; und ich will auch nicht leugnen, dass ich es vor meinen Debüt im höheren Journalismus als meine Pflicht ansah, mich mit den besten Beispielen dieses Genres vertraut zu machen, sowohl in der heimischen als auch in der ausländischen Presse.

Hier habe ich mir zuallererst die Regel eingeprägt, dass man vorne anfangen sollte, dass es förmlich darauf ankommt, eine Einleitung zu finden, die einen selbst in ein passendes, vorteilhaftes Licht stellen kann. Ein wohlerzogener Journalist fällt nicht mit der Tür ins Haus der Abonnenten. Er schickt erst seine Karte, sodass die Familie sehen kann, wen sie hereinlässt.

An ebendiese Regel gestatte ich mir nun, mich zu halten.

Anton.

II.

Es war Donnerstagabend.

Ich hatte eine Einladung der bekannten Millionärin Frau S. angenommen, die in ihren Salons Freunde und Bekannte zu wöchentlichen Treffen versammelt, bei denen die Gesellschaft so exklusiv wie die Veranstaltung festlich und eindrucksvoll ist.

Sowohl die Aristokratie des Landes als auch die Koryphäen aus Kunst und Wissenschaft sind stets zahlreich vertreten.

Einer ihrer Diener in der berühmten goldgesäumten Livree hatte mir die nach Heliotrop duftende Karte gebracht, und ich hatte versprechen müssen, mich einzufinden.

Zu Tisch führte ich die junge Botschaftersfrau Baronin Z., die der Allgemeinheit vor allem wegen des prächtigen fuchsroten Gespannes (im Wert von zwanzigtausend Österreichischen Gulden) bekannt ist, mit dem sie mit einem kühnen Liebreiz jeden Tag selbst die Langelinie2 entlangfährt.

Im Übrigen kann ich Ihnen anvertrauen, dass sie selbst bewundernswert hübsch ist, eine südländische Schönheit mit goldenem Teint, vollem schwarzen Haar, einer fein geschwungenen Nase und hinreißend vollen Lippen.

Es dauerte nicht lange, bis die Aufmerksamkeit der gesamten Gesellschaft auf uns gerichtet war.

Ich hatte gerade etwas eingebracht, das zum Gesprächsthema des ganzen Tisches geworden war, und mein Freund, Graf L., der mir genau gegenüber saß, nahm meine Aussage so hitzig auf, dass ich schließlich selbst ein kühlendes Wort einlegen musste.

Das Gespräch handelte von Literatur. Etliche Namen waren gefallen. Zum Schluss auch der des erwähnten jungen Volksschriftstellers, auf den sich meine Bemerkung eben bezogen hatte.

Meine hübsche Tischdame wandte sich zu mir und sagte mit ihrem reizenden Lächeln:

"Der Dichter, den Sie da nennen, wird sicher einmal Berühmtheit erlangen. Ich las neulich einige seiner Schriften, und ich muss sagen, dass ich sie wirklich interessant fand. Wissen Sie, dass mir danach eine Bitte an Sie in den Sinn gekommen ist?"

"Eine Bitte, Gnädige? An mich?"

"Sie werden sie doch erfüllen, oder? … Ich werde Sie königlich belohnen", sagte sie und hielt mir dabei schelmisch und leicht errötend mit ihren rosenroten Fingerspitzen eine kandierte Frucht am Stiel hin. "Also einverstanden", fügte sie hinzu, während sie die Frucht auf meinen Teller legte.

"Nun – und was ist Ihre Bitte, Gnädige?"

"Ich möchte, dass Sie uns ein Bild von dem Mann liefern, über den wir sprachen … ein Porträt."

"Ein Porträt?"

"Ja."

"Wie?"

"Nun –"

"Oh!"

"Sie verstehen?"

"Ja."

"Sie sollen natürlich zu ihm gehen. Ihm sagen, wer Sie sind. Sich seine Zimmer ansehen, seine Bücher, seine Frau und ihn selbst – und das alles für uns dann so beschreiben, wie nur Sie es wirklich verstehen. Ich lese Ihre Zeitung täglich und kenne Ihre Handschrift gut. Ich freue mich jetzt schon auf das Vergnügen, das es mir bereiten wird. Also: Sie verstehen?"

"Vollkommen!"

"Und Sie sind einverstanden?"

"Natürlich! – Aber die Belohnung, Gnädige?"

Wieder errötete sie leicht, während ein kleines Lächeln ihren Mund umspielte. Dann wurde sie wieder Herrin ihrer Gefühle, blickte rasch auf und sagte:

"An dem Tag, an dem Ihr Artikel in der Zeitung steht, kaufe ich zehntausend Exemplare davon, um – –"

"Um sie an die Armen zu verteilen?", unterbrach ich sie trocken.

Dieses bon mot sorgte für Heiterkeit an der ganzen Tafel, die gerade aufgehoben wurde.

Doch so kam es, dass ich mich neulich vor der Tür unseres erwähnten Volksdichters im vierten Stock in der Slagelsegade3 einfand, um den Wunsch meiner Freundin Baronin Z. zu erfüllen. –

Es öffnete mir ein niedlicher, fünfjähriger Knirps mit Pausbacken, der mich halb ängstlich, halb spitzbübisch durch die nur einen Spaltbreit geöffnete Tür musterte – die Kette war eingehängt –, während er etwas Unverständliches murmelte und schließlich versuchte, sein Gesicht zu einer grimmigen Miene zu verziehen.

Kurz darauf zeigte sich der Dichter jedoch selbst.

Alle kennen von den Porträts dieses distinguierte Äußere, dieses charakteristische, vielleicht etwas zu volle Gesicht, das doch ebenso viel Energie wie Intelligenz ausdrückt, diesen Blick, der durch die geschliffenen Brillengläser starrt, so ruhig und durchdringend wie die unbestechliche Gerechtigkeit selbst, die blanke Glatze, die von den Augenwinkeln bis drei Zoll über dem Nacken so nackt ist wie die Wahrheit selbst, diese dunklen, gestutzten Nackenhaare, die so kurz und knapp sind wie sein Schreibstil.

Er trug einen tintenbefleckten Schlafrock, eine abgetragene Weste und samtene Pantoffeln und hatte, als er vor mir stand, einen Stift hinter dem Ohr und einen zweiten im Mund.

Nachdem ich mich vorgestellt und mein Anliegen erläutert hatte, führte er mich in sein Zimmer, schüttelte meine Hand, sagte hastig eine Menge Worte darüber, dass es ihn freue, mich zu sehen, und drückte mich daraufhin – nach wie vor mit dem Stift im Mund – an den Schultern in einen großen, grünen Samtsessel, während er fortfuhr:

"Wenn Sie mir nur den Gefallen tun, einen Augenblick sitzen zu bleiben, mein Herr, dann bin ich unverzüglich bei Ihnen ... Gott, nein, Sie stören überhaupt nicht, keineswegs … Ich muss nur gerade ein Stück beenden und den Anfang einer Novelle schreiben, die müssen um drei Uhr in der Druckerei sein … ich stehe Ihnen dann sofort zu Diensten."

Ohne meine Einwände zu beachten, setzte er sich an den großen, mit Büchern, Papieren, Zeitungen und aufgerissenen Umschlägen bedeckten Schreibtisch, jagte den Stift in ein monströses Tintenfass – es war geradezu ein Topf – und begann direkt wieder zu schreiben, dass das Kratzen das ganze Zimmer erfüllte.

Ich hatte nun ausreichend Gelegenheit, mich umzusehen. Es war ein großes, helles Zimmer, das teils einem eleganten Salon glich, teils aussah wie ein Buchladen. Überall lagen Stapel von Büchern, Papier und Zeitungen. Aber zwischen all dem sah man kostbare, vorzugsweise moderne Kunstgegenstände. So stand in einer Ecke eine lebensgroße Kopie der naturalistischen Frauenstatue Kolerine4 des schon jetzt berühmten, jungen französischen Bildhauers Monnier, ein wahrhaft hervorragendes Kunstwerk mit einer Aura von echter Wirklichkeitstreue, ein charakteristischer Ausdruck des Drangsals einer jungen, hervorbrechenden Künstlerseele.

Im Raum nebenan tummelten sich die Kinder. Doch der schreibende Dichter schien sich daran kein bisschen zu stören. Hin und wieder stürmte der eine oder andere der rotbäckigen, blauäugigen und braungelockten kleinen Jungen zu ihm herein und beklagte sich weinend über ein Ärgernis oder erzählte freudestrahlend von seinen Triumphen. Und ohne den Stift vom Papier zu nehmen oder den Faden der Entwicklung zu verlieren, die er gerade mit seinem Stift unsterblich machte, gab der geschäftige Vater ihnen seine Zustimmung oder sein Missfallen zu erkennen, nannte sie bei realistischen Kosenamen wie "meine Rosenkartoffel", "mein kleiner Druckfehler", "Bist du das, du kleiner Albertinenfrosch", und blickte lachend oder drohend mit einem Auge zu ihnen hinunter, während er mit dem anderen unablässlich dem Sturmritt des Stiftes auf dem Papier folgte.

In einem Moment, in dem wir allein waren, drehte er sich plötzlich zu mir um und sagte:

"Erinnern Sie sich, mein Herr, an einen Mann namens Weihe oder Wiehe oder so ähnlich, der im Dyrehavsbakken5 als Professor und königlicher Fußmaler aufgetreten ist? Er wurde ohne Arme geboren, aber er saß auf einem Tisch und schrieb und zeichnete mit dem Fuß genauso gut wie wir anderen mit den Händen. Den Mann habe ich oft um seine Kunst beneidet. Stellen Sie sich vor, man könnte mit der Hand eine Novelle schreiben und gleichzeitig mit dem Fuß unter dem Tisch ein Drama oder einen Zeitungsartikel! Die modernen Schriftsteller sollten das sogar noch weiter entwickeln, sodass sie am Ende, so wie ein anderer Schausteller, den ich mal gesehen habe, der mit seinen Händen, Füßen, Ellenbogen, Mund, Knien und Nacken gleichzeitig eine halbe Stiege Instrumente spielen konnte, wie ein ganzes Orchester … ich meine, mein Herr, dass wir modernen Schriftsteller genauso auch allmählich unsere Fertigkeiten zu entwickeln versuchen sollten. Zum Beispiel schreibt man Novellen mit der rechten Hand, Kritiken mit der linken, Lyrik mit dem Hintern usw. … Verstehen Sie, ha, ha! Ich will einen Artikel darüber schreiben. In zwei Minuten bin ich bei Ihnen, mein Herr!"

Ein wenig später stand er dann auch auf. Er warf sich in einen Sessel mir gegenüber. Wir zündeten Zigarren an; und als ein Mann, der es gewohnt ist, interviewt zu werden, und der aus Erfahrung weiß, worauf es in dieser Hinsicht ankommt, fing er dann auch gleich ohne eine Aufforderung meinerseits an, von sich selbst zu erzählen, von seinem Leben, seiner Kindheit, seinen Reisen, seiner Vermögenssituation, seinen Werken und seiner Arbeitsweise.

Ich hatte mein Notizbuch gezückt. Bei der Vollendung eines jeden Abschnitts machte er eine kleine Pause, um mir Zeit zu geben, meine Aufzeichnungen zu vervollständigen, fragte mich daraufhin, ob ich "das hätte", und setzte seine Schilderungen nach meiner bejahenden Antwort fort.

Ich werde an dieser Stelle darauf verzichten, die höchst interessanten, fast abenteuerlichen Auskünfte, die ich über die Kindheit, Jugend usw. unseres Dichters in die Hände bekam, wiederzugeben, um sie möglicherweise ein andermal zu verwenden, und gleich zu dem kommen, das meine Leser doch vermutlich am meisten zufriedenstellen wird, nämlich Ihnen einen kleinen Einblick in den Alltag und die Gewohnheiten des beliebten Dichters zu geben.

Er steht jeden Morgen um exakt neun Uhr auf, macht eine umfangreiche Toilette, alles während er den Plan für die Arbeiten des Tages erstellt, und nach einem leichten Frühstück setzt er sich gleich an den Schreibtisch und arbeitet ohne Unterbrechung bis zwölf Uhr.

Dann nimmt er ein leichtes Mittagessen zu sich.

Im Großen und Ganzen kann er, wenn er arbeiten muss, nur kleine leicht verdauliche Mahlzeiten einnehmen, wie Fisch und gebratenes Wild, wohingegen Gemüse und besonders Mehlspeisen die Funktion seines Gehirns beeinträchtigen. Am besten dichtet er auf gepökelter Ente mit Spargel in Rahmsoße. Schildkröte und geröstete Koteletts geben auch gute Novellen ab.

Vielleicht amüsiert es diejenigen, die eine Art Warze oder Verdickung an seiner linken Wange bemerkt haben, zu erfahren, wie diese entstanden ist. Er hat nämlich die Angewohnheit, beim Schreiben mit zwei Fingerspitzen seiner linken Hand an eben dieser Stelle zu reiben, und je stärker er reibt, desto eifriger arbeitet sein Gehirn. Er scherzt selbst darüber und nennt die Hautverdickung sein "Arbeitsthermometer", denn am Abend kann er aus dem Grad der Schmerzen an dieser Stelle einigermaßen schlussfolgern, wie viele Zeilen er im Laufe des Tages geschrieben hat.

Als er an seinem großen Roman Skarnkisten6 schrieb, bei dem er siebenundsechzig Kapitel in weniger als drei Monaten ausarbeitete, erlitt er wegen dieser Angewohnheit enorme Schmerzen. Doch er konnte keine einzige Zeile zu Papier bringen, wenn er sich zu zügeln versuchte.

Dass er ein ganz außergewöhnliches Arbeitstalent besitzt, beweist die lange Reihe an Werken, die aus seiner Hand bereits hervorgegangen sind. Regelmäßig schreibt er zehn bis zwölf Stunden am Tag, ohne zu ermüden. Er ist ein großer Tabakliebhaber, und vielleicht erheitert es meine Leser zu erfahren, dass er täglich sieben bis acht Zigarren nebst einer Packung Zigaretten raucht.

Zum Schluss stellte ich ihm verschiedene Fragen zu den dringenden Problemen der heutigen Zeit, die er alle sehr freundlich beantwortete. Aber da ich annehme, dass die meisten Leser der Politiken seine Meinung zu diesen Themen bereits kennen, werde ich mich damit nicht länger aufhalten.

Das Ziel dieser Zeilen war ja lediglich ein kleiner häuslicher Einblick. Wir saßen noch eine Weile beisammen und plauderten vertraulich, woraufhin ich mit dem Gefühl aufstand, nie eine behaglichere und unterhaltsamere Stunde verbracht zu haben.

Anton.

 
[1] Araucaria: Affenbaum, ein Nadelbaum. Pontoppidan verwechselt diese Pflanze möglicherweise mit Ouragoga ipecacuanha aus der artenreichen Gattung der psychotria (Brechsträucher), einem ursprünglich brasilianischer Halbstrauch mit roten Blüten und breiten Blättern (siehe Bild). Tatsächlich werden nicht die Samen, sondern die Wurzeln als Brechmittel verwendet. tilbage
[2] Langelinie: Kai und Promenade mit angrenzendem Park in Kopenhagen und seit Jahrhunderten beliebtes Ausflugsziel. Heutzutage ist die Langelinie als Standort der Statue der Kleinen Meerjungfrau bekannt. tilbage
[3] Slagelsegade: Seitenstraße der Østerbrogade, der größten Einkaufsmeile im Kopenhagener Stadtteil Østerbro. tilbage
[4] Kolerine: (frz. cholérine, Diminutiv von choléra), Sommerdiarrhö; nicht ansteckende Darmentzündung. tilbage
[5] Dyrehavsbakken: 1583 eröffneter Freizeitpark bei Kopenhagen. tilbage
[6] Skarnkisten: Wortspiel mit skarnkassen (dt. Mülltonne). Ein Jahr später taucht der Titel in "Dichterleben" wieder auf. tilbage