Eine Weihnachtsreise

Ein dänisches Weihnachtsfest greift nicht nur das religiöse Gefühl stark auf. Wie bei allen großen kirchlichen Festen bekommt auch der Magen reichlich seinen Teil der Freude ab, und es ist fraglich, ob es der liebe Gott oder der Speisekammerteufel ist, der an solchen Tagen die größte Ernte durch die Kraft der Tradition einfährt. Ich wüsste gerne mal, ob irgendwo auf der Welt so viel und so fett zu Ehren des Jesuskindes gegessen wird wie in Dänemark. All dieser Milchreis und Gänsebraten und die süßen Kuchenspeisen mögen vielleicht den Geist erbauen, aber sie lassen zweifellos die Verdauung zusammenbrechen. Selbst der frommste Magen wird schließlich stur wie ein geprügelter Esel.

Aus Angst vor der unvermeidlichen Weihnachtsübelkeit, stahl ich mich inmitten der Feierlichkeiten davon, packte einen Koffer und machte mich auf gut Glück auf den Weg.

Hier folgt ein Auszug aus dem Reisetagebuch:

Erster Halt: Kristiania, die Stadt, die immer auf eigene Kosten gelobt wird, ist zweifellos ohne herausragende Anmut oder Leben. Und doch ist sie nicht länger eine Kleinstadt. Hier wohnen nun zweihundertfünfzigtausend Menschen, neben drei königlichen Personen. Allerdings muss man sich fragen, wo all diese Leute hin sind. Besonders nun zur Weihnachtszeit herrscht überall gähnende Leere.

Also weiter:

Mit der neuen Hochbergbahn nach Bergen. In acht Stunden wird man über die Wolken in den ewigen Schnee gehoben. An einigen Stellen hält der Zug mitten in der weißen Wüste. Die Berghütten, die der Staat an allen exponierten Übergängen als Zufluchtsort für Reisende bei Stürmen errichtet hat, haben hier die Form von zwei großen, modern eingerichteten Hotels, und jetzt in den Ferien sind sie voll belegt. Insbesondere sind viele dieser jungen Kristiania-Damen zu sehen, für die sich der Wintersport in eine spezielle norwegische Form des Flirts entwickelt hat.

Die Skier, die Mütze und die übrige urtümliche männliche Bekleidung sind zu einer nationalen Koketterie geworden, in der selben Art wie der Fächer und Mantel in Spanien.

Es ist eine Art Winter-Vergnügungspark, man trifft hier viereinhalbtausend Fuß über dem Meeresspiegel mit arktischen Vergnügungen verschiedener Art zusammen. In einem der Hotels sind zwei eingereiste Lappen mit ihren Rentierschlitten stationiert. Eine Tour durch das Schneefeld in einem solchen "Pulk" ist ungefähr so abenteuerlich wie ein Wüstenritt auf einem Dromedar im Zoo.

Also weiter!

Bergen – Regenwetter. Die beiden Wörter gehören zusammen wie der Kirchendiener und sein Amen. Irgendwo in Frankreich muss es einen Talabschnitt geben, der im Volksmund als Kammertopf des Himmels bezeichnet wird. Aber es ist sicherlich eine Täuschung, diese Ehre muss Bergen zuteil werden. Die Stadt liegt am Boden eines tiefen Talkessels, und die regenschweren, tief treibenden Wolken vom Meer, die nicht über die Felswand gelangen können, entleeren ihren Inhalt hier mit einer erschreckenden Energie. Heute mischt sich Schnee zum Regen und die Straßen sind ein schlammiger Matsch. Unten auf dem berühmten Fischmarkt, wo einen überall riesige Kabeljauköpfe, Flundern und andere Seeungeheuer angaffen, hat man das Gefühl, sich auf dem Meeresgrund zu befinden. Für die Stadtbewohner gehört dieser Zustand offensichtlich zum Alltag. Sogar die jungen Burschen von der Straße sind in Südwester und Ölzeug gekleidet und tragen den Anzug wie eine zweite Haut.

Über den Einfluss des Klimas und der Umwelt auf das Temperament wurde bereits viel geschrieben. Dieser dunkle Kessel, dessen Wolkenschicht so selten angehoben wird, ist bekanntlich die Heimat des temperamentvollsten und selbstzufriedensten Teils des norwegischen Volkes. Hier wurde ja auch der hellste Kopf geboren, das fröhlichste Lachen, das der Norden hervorgebracht hat. Holbergs Statue steht zu vollem Recht auf einem der Plätze in der Stadt. Doch wie sie hier errichtet ist, scheint sie zumindest für einen Dänen seltsam. Diese überlegene Professorenfigur in der feinen Kleidung, die zwischen all diesen verschmierten Fischständen und alten hanseatischen Lagergiebeln so vertraut wirkt, vermittelt einen falschen Eindruck von Holbergs Beziehung zu seiner Heimatstadt. Hier wird man durch die norwegische Darstellung in die Irre geführt. Dieser geadelte Stadtsatyrikus würde nach Kopenhagen passen. Hier wiederum hätte er mit jungen Augen und einem zukunftsweisenden Lächeln stehen sollen – lebhaft und verschlagen wie ein Kormoran, der am Rand des Nestes steht und bereit ist zu fliegen.

Im Hafen lag ein Postschiff mit aufsteigendem Dampf. Es würde nordwärts zu allen Küstenstädten und bis zum Arktischen Ozean fahren. Ich ging mit meinem Koffer an Bord. In der Dämmerung verließen wir den Fjord. Der Himmel hörte nicht auf zu, nun ja, weinen. Das Wetter war ruhig, aber als sich das Schiff vorwärts bewegte, wurden auch Schnee und Regen auf den überdachten Teil des Decks geweht, und ich musste bald weiter unter das Dach kriechen. Es war Silvester, also gab es fast keine Passagiere. Und die wenigen, die dort waren, mieden einander offenbar unter dem Druck des Verdachtes, hier auf der Welt übriggeblieben zu sein, da man allein war und an einem so heiligen Abend reiste. Wir waren insgesamt vier Männer, die sich um acht Uhr um den Esstisch versammelten. Es fühlte sich wie eine Demütigung an und wirkte entmutigend, dass der Gastwirt des Schiffes sich bemüht hatte, der Tafel einen Hauch von Familientisch zu verleihen, unter anderem indem er dafür sorgte, dass niemand die heimischen Neujahrsköstlichkeiten vermisste: den Milchreis, den Schweinebraten und das Sauerkraut. Während der gesamten Mahlzeit wurde kein Wort gesprochen.

In der Tat ist so eine offene Tafel in Norwegen immer eine sehr ernste Angelegenheit. Vielleicht ist es norwegischer Tischbrauch, von Bauern geerbt, dass man beim Essen nicht spricht, aber eine gewisse soziale Unbeholfenheit verbirgt sich wahrscheinlich auch hinter dieser dunklen Stille. Diese wohlbeleibten norwegischen Männer, die sonst laut genug sein können, sitzen an einem table d'hôte mit einer Verlegenheit wie ein Konfirmand vor seinem ersten Abendmahl. Die Saucenschüssel geht mit aller Ernsthaftigkeit von Hand zu Hand, als wäre sie der Kelch in der Kirche. Es ist wohl auch von Bedeutung, dass selten Spirituosen zum Essen getrunken werden, höchstens ein Glas Bier. Selbst zum Abendessen trinken die meisten Wasser.

Nach dem Essen saß ich einige Stunden allein im Rauchsalon, ganz meinen eigenen Neujahrsüberlegungen überlassen. Ab und zu steckte der eine oder andere Mitreisende seinen Kopf hinein, zog ihn aber sofort wieder zurück, als er sah, dass besetzt war. Und als ich dort saß, gemieden wie ein Aussätziger, dachte ich mit ein wenig Bitterkeit an meine Flucht vor Weihnachten daheim und vor dem dortigen Familienglück.

Als sich der Zeiger meiner Uhr zwölf näherte, ging ich wieder aufs Deck. Es regnete nicht mehr, aber die Nacht war so schwarz, als segelten wir an den Ufern des Todes entlang. Kein anderes Licht war zu sehen als ab und zu der blutrote Schein eines rotierenden Leuchtfeuers, der den Weg in die Dunkelheit wies. Als das Auge jedoch empfindlicher wurde, ließ sich gelegentlich ein Umriss der hohen Felseninseln erahnen, zwischen denen wir segelten. Aber nur als Schatten waren sie zu sehen und verschwanden sofort wieder.

Plötzlich hörte ich ein Signal, das von der Kommandobrücke an den Maschinenraum gegeben wurde, und wenig später wurde ich mit einem langen Tuten gewarnt. Vor uns schien eine ganze Reihe heller Lichter entlang der Meeresoberfläche, und ich erinnerte mich nun daran, dass wir laut Zeitplan erst um Mitternacht unseren ersten Stopp erreichen sollten, einen größeren Handelsposten in den Schären. Als wir uns langsam näherten, ertönte von dort aus eine Kirchenglocke. Das alte Jahr wurde ausgeläutet. Es erschien völlig mysteriös, denn man konnte die Stadt überhaupt nicht sehen und erahnte nur die Umrisse des schwarzen Schattenberges, an dessen Fuße sie lag. Es gab offensichtlich keine Straßenbeleuchtung, und vom Ufer war kein anderes Geräusch zu hören als diese dumpfe Kirchenglocke. Aber da waren all diese vielen leuchtenden Fenster, die Lichtstrahlen ins klare Wasser senkten, und es sah so aus, als würde sich der Berg auf Feuersäulen erheben. Die Kirchenglocke schellte weiter. Es war, als ob das Geräusch tief in den Berg drang. Als es endlich still wurde, regte sich dort Leben, die Trolle riefen Hurra. Es war anscheinend einer von ihnen, der einen Freudenschrei ausgestoßen hatte. Jetzt ertönte auch noch ein Schuss. Es hallte ein Echo hoch oben in den Bergen. Und die Trolle johlten.

Wir kamen mitten im Fahrwasser zum Stehen. Ein Ruderschlag war zu hören, und ein Boot legte an der Seite des Schiffes an. Am Ruder saß ein alter graubärtiger Mann mit Pelzmütze. Das Leuchten einer Laterne, die er auf seinem Knie hielt, fiel über einige andere bärtige Männer mit Pelzmützen. Die Postsäcke wurden ausgetauscht und ein Passagier kam an Bord. Eine Frau mit einem Schal um den Kopf. Als sie auf der Treppe stand, wurde ihr vom Boot aus ein kleines Kind hochgereicht. Es erinnerte mich ein wenig an die Abschlussvignette in unseren Weihnachtsheften, in denen das neue Jahr in Form eines schönen Engelskindes in einem zu kurzen Hemd gezeigt wird. Aber das Bündel, das hier aus der Dunkelheit heraus bis zum Schiff hoch gehalten wurde, war geheimnisvoll und verschlossen wie die verrinnende Zeit. Es gab einen Moment, in dem das Leuchten der Laterne des alten Mannes wie ein Heiligenschein um den Kopf des Kindes leuchtete, bevor die Mutter es unter ihrem Schal versteckte. Ich werde es als glückliches Omen deuten!

Ich habe bis lange ins neue Jahr geschlafen und bin erst an Deck gekommen, als wir morgens in einem Hafen angelegt haben. Es war eine mittelgroße Marktstadt irgendwo in den äußeren Schären. Hier spürte man, wir näherten uns neuen Ufern. Es lag eine frische Kälte in der Luft, die einem ein Gefühl von Nordland gab. Im Hafen lagen vereiste Boote, und die umliegenden Berge leuchteten in der Neujahrssonne und dem frisch gefallenen Schnee. Am Kai entlang machten die Einwohner der Stadt ihren Sonntagsspaziergang und traten vorsichtig auf die rutschige Straße. Alle begrüßten sich, alle wünschten ein frohes neues Jahr mit der etwas unzuverlässigen Freundlichkeit, die die stetige Grimasse an solchen Orten ist, an denen sich die Menschen nur allzu gut kennen. Vermutlich ein wirklich nettes kleines Tratschhausen!

Die Stadt ist treppenförmig am steilen Berghang gebaut. Die Schornsteine der Häuser in der unteren Reihe lassen den Geruch des Abendessens direkt durch die Haustür zu denen herein, die oberhalb wohnen, und diese können wiederum von ihren Fenstern aus wie von einem himmlischen Ort aus alles verfolgen, was selbst in den verborgensten Ecken der Innenhöfe vor sich geht. Bequemer hätte es nicht eingerichtet werden können.

Am späten Abend erreichten wir Trondheim. Hier war es eigentlich meine Absicht gewesen Halt zu machen, unter anderem wegen des Domes, an dem immer noch gebaut wird. Aber ich habe ihn schon zweimal vorher gesehen und je mehr an ihm gearbeitet wird, desto weniger interessiert er mich. Bei allem Respekt für die großartige Arbeit, die hier in aller Stille geleistet wird, und bei allem Verständnis, dass es für Norwegen zu einer nationalen Ehre geworden ist, dieses nordische Kirchengebäude wieder aufzubauen – es ist und bleibt eine unglückliche Leidenschaft, die guten und großen Taten der Vergangenheit wieder zu beleben. Eine solche alte Ruine sollte sakrosankt sein. Der Geist vergangener Zeiten kann nun mal nicht von den neuen Mauern mechanisch herein geblasen werden. Die Patina der Geschichte kann trotz aller Archäologie und aller modernen technischen Perfektion nicht nachgeahmt werden. Davon kann man sich an vielen Orten der Welt, auch zu Hause, überzeugen. Man stelle sich vor, dass ein amerikanischer Milliardär auf die Idee käme, Italien oder Griechenland ein paar hundert Millionen Dollar für den Wiederaufbau von Tempeln und Palästen des Forums oder des Parthenons anzubieten. Auf der ganzen Welt würde ein Schreckensschrei entstehen – außer vielleicht in Brygger Jacobsens Kopenhagen.

Also weiter!

Am nächsten Tag kamen wir an Rørvik vorbei, am übernächsten liefen wir in Bodø ein. Wir hatten jetzt den Polarkreis überschritten, uns von der Sonne verabschiedet, und glitten in die Polarnacht. Vorläufig war es jedoch überhaupt nicht dunkel. In den Mittagsstunden ruhte ein zärtlich vereintes Morgen- und Abendrot am südlichen Horizont, und danach segelten wir im Schein des magischen Nordlichts, das bis Mitternacht leuchtete. Danach kam der Sternenhimmel, der besonders am Morgen durch die frostige Luft strahlte, so dass es fast in den Augen wehtat.

Mehrmals am Tag hielten wir an einem Handelsposten an, holten Kisten mit kleinen Heringen an Bord und ließen im Gegenzug den Steg voller Petroleumfässer, Mehlsäcke und dergleichen zurück. Meine Mitreisenden – normale Geschäftsreisende – wechselten ständig, aber ihre Zahl blieb ungefähr gleich, zumindest war sie nicht gestiegen. Manchmal hatte ich das fürstliche Gefühl, eine Vergnügungsreise auf meinem eigenen Schiff zu machen.

Wir waren fast ununterbrochen im Landesinneren gewesen, waren auf der windstillen Sunde vorwärts gefahren und hatten uns durch Engpässe gewunden, wo es war, als würden wir uns zwischen die hoch aufragenden Felswände drücken. Ich war einmal im Sommer hier gewesen, in der Mitternachtssonne, wenn alles voll Farbe und einem wilden Leuchten in diesem abenteuerlichen Archipel ist. Jetzt glitten die tausend Inseln schlaftrunken in ihrem weißem Schneefell an mir vorbei. Auf dem dunklen Wasser lagen große Herden schwarzhalsiger Eiderenten, die sich nicht bewegten, bis der Bug des Schiffes sie fast erreichte. Dann flatterten sie in einem so niedrigen Flug ein Stück weg, dass es aussah, als würden sie über die Meeresoberfläche rollen. Das Tier ist wegen seiner Daunen durch ein königliches Gesetz geschützt und zieht es daher vor, sich für nichts und niemanden zu rühren.

Tagsüber folgten dem Schiff Möwen, und als wir uns den äußeren, unteren Riffen näherten, wurde die Luft durch die aufgeschreckten Seevögel weiß. In den Fjorden und im ruhigen Bergwasser lauschte ich nach dem einsamen Seetaucher, nach seinem Kinderschrei, hörte ihn aber nicht. Diesmal habe ich auch keinen Wal erblickt, aber der Tag war auch so kurz.

Bei frischem Wetter und hohem Himmel gingen wir mit der berüchtigten Atlantikdünung über den Vestfjord. Wie eine Traumvision erschien das wilde Profil der Lofoten im Licht der Mittagsröte – einer schwimmenden Bergkette, die aus Norwegens gebogenem Nacken wie eine fliegende Mähne ins Meer geworfen wurde. Wir erreichten das schöne Svolvær, bevor es dunkel wurde, aber von Lødingen, Harstad und wie all diese wunderbaren Lofotenstädte heißen, sah ich nur die Lichter.

Nachts dampften wir durch den Tjeldsund.

Ich weiß nicht, ob es an der Unerklärlichkeit des Nordlichtes liegt, dass es ein wenig unheimlich wirken kann – genau wie Sonnenfinsternisse und ähnliche Phänomene in freier Natur. Wie ein grünlich-verblasster Regenbogen steht er am nördlichen Himmel und umrahmt eine völlig sternlose Dunkelheit. So ungefähr würde man sich den Niedergang zur Hölle vorstellen. Auch weil man hinter diesem bedrohlichen Tor eine ewige Unruhe spürt. Und über seinem Rand spielen seltsame Strahlen, und blasse Lichtdämpfe wandern über den Himmel, wo sie plötzlich Farbe annehmen, rot, schwefelblau oder gelb werden, wie in einem Widerschein des unauslöschlichen Feuers. Bei nüchterner Betrachtung sieht es so aus, als würde jemand am Nordpol den Weltraum mit einem riesigen elektrischen Scheinwerfer durchsuchen. Oder man kann sich eine mysteriöse Laterna Magica vorstellen, die ihre Lichteffekte zur Unterhaltung der Menschen hier oben in der langen Winternacht ausprobiert. Manchmal werden ganze Strahlenbündel auf die Sterne geschleudert und lösen sich im Nu im prächtigsten Farbwechsel auf.

Am nächsten Morgen erreichten wir Tromsø. Hier erhielten wir Nachricht über eine Sturmwarnung: Sturm nach Norden mit Niederschlag. Ich wusste, dass die Route von nun an im Wesentlichen außerhalb der Schären fallen würde, teilweise weit hinaus aufs Meer, und ein wenig feige, wie man mit den Jahren wird, beschloss ich, hier anzuhalten und das Wetter zu beobachten. Ich war schon einmal in einem Schneesturm über den Arktischen Ozean geschaukelt und hatte keine Lust auf eine Wiederholung.

Es war bereits zehn Uhr, als ich von Bord ging, aber immer noch ziemlich dunkel. Ich bat um eine Unterkunft und wurde zu einem Haus namens "Grand Hotel" geführt, das seinem Namen aber nicht gerecht wurde, von den Preisen mal abgesehen. Es hatte schon angefangen zu stürmen. Während der zwei oder drei Stunden, die der Tag dauerte, sammelten sich am Himmel schwere Wolken und es begann zu schneien.

Als ich nach einem Ausflug auf den Berg in mein Hotelzimmer zurückkam und die Lampe anmachte, schauderte es mich ein wenig bei dem Gedanken, dass ich jetzt für die nächsten einundzwanzig Stunden hilflos in der Dunkelheit gefangen war. Die Lampe war von der Art, mit der nur starke Augen lesen oder schreiben können. Ich war also ganz darauf angewiesen, mich selbst zu unterhalten. Das gelingt einem doch immer besser, als man am Anfang denkt. Und als ich dort vor dem Kachelofen saß und ins Feuer schaute, tauchte ein Name in meiner Erinnerung auf und damit ein Lebensschicksal, von dem ich einmal gelesen hatte.

Eine junge Schauspielerin aus Kristiania, des Nationaltheaters Ingenue, dessen stetige Braut. Auch zu Hause bei uns wegen ihrer Schönheit erwähnt. Ein Tanz auf Rosen und Lorbeeren und natürlich auch auf einem kleinen Dorn. In dieses Bühnenglück brach das Leben selbst plötzlich mit seiner Ernsthaftigkeit und seinem Zwang herein, und zwar in Form von Liebe. Als wahre Braut folgte sie einem Mann, der hier oben in einem der rauesten Fjorde der Finnmark eine Anstellung als Arzt hatte. Es geschah in der geheimen Hoffnung, dass das Exil nur eine Saison dauern würde, vielleicht zwei, höchstens drei Jahre. Sie blieb achtzehn Jahre hier oben. In einem fesselnden Buch*) hat sie später ihre Flitterwochen in der Arktis und zunächst ihre schwierige Eingewöhnungsphase unter den primitiven Bedingungen beschrieben. Auch in anderen Büchern hat sie sich an ihr Leben hier oben erinnert, an ihre langsam erworbene Vertrautheit mit der mächtigen Natur, mit der Kälte und der bitteren Einsamkeit. Bücher voller Sehnsucht und Schwärmerei. Neue, besonders eindrucksvolle Zeugnisse dieser wilden und kargen schneeweißen Zauberkraft über den menschlichen Geist.

Als ich dort am Kachelofen saß und der Wind in der Röhre brummte, dachte ich, dass ich selbst wahrscheinlich einmal leicht vom Zauberstab berührt worden bin. In diesem Fall war es über dreißig Jahre her, aber anscheinend spukte das polare Fieber immer noch in meinem Blut. Warum sonst saß ich hier? Was wollte ich überhaupt an diesem seltsamen Ort, in dieser unerbittlichen Dunkelheit? Ich begann mich unwohl zu fühlen. Ich dachte plötzlich, dass ich halb gegen meinen eigenen Willen hierher gekommen, Meile für Meile von einer dunklen Macht hierher gezogen worden war, die mir nichts Gutes wollte. Kürzlich hatte ich mich – trotz des Tumults des Sturms und meiner Feigheit – mit einer Art melancholischer Scham gewagt, an das Schiff zu denken, das ich verlassen hatte, um es in Gedanken auf seinem Weg immer weiter nach Norden zu verfolgen bis zur äußersten Schäre.

Ich besorgte mir den Zeitplan für die Schiffe der Hurtigruten und studierte ihn eifrig. Wann würde das erste Schiff nach Süden fahren? Am nächsten Tag war ich auf dem Heimweg.
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*) Aagot Gjems-Selmer: "Dengang –"1

 
[1] Dengang –: der komplette Titel lautet Dengang – af mit Livs Digt (dt.: Damals – aus dem Gedicht meines Lebens) tilbage