Kreuzbube

Ein Fragment. Mit Zeichnungen von H.A. Brendekilde.

Die Uhr über der Chiffonniere in der himmelblauen Wohnstube des Gemeindevorstehers Jensen schlug vier … ein bitterkalter Wintermorgen.

Auf dem Spieltisch waren die Kerzen – obwohl im Laufe der Nacht zweimal erneuert – wieder fast heruntergebrannt, und im Nebenzimmer, zu dem die Tür offen stand, glucksten die letzten Tropfen Öl in einer Hängelampe über einem reich gedeckten Tisch, hinter dem die Frau des Gemeindevorstehers – ein etwas missgestaltetes, herausgeputztes, eitles Geschöpf – in einem Wollumhang am Kachelofen nachtbleich kauerte.

Die vier Spieler – der Tierarzt, der Lehrer, der Kaufmann des Dorfes und der Gastgeber – fingen inzwischen an, mürbe zu werden. Die stickige Luft in der Stube, der Kohlenqualm aus dem Ofen und der dichte, blaue Tabakrauch, in dem sie nun seit siebzehn Stunden festsaßen, hatten schließlich dazu geführt, dass ihre Leidenschaft an Schwung verloren hatte.

Es wurde kein überflüssiges Wort gesprochen. Man spielte rein mechanisch, beinah wie in einem magnetischen Schlaf, die Karten aus, brachte seine Stiche nach Hause und gab von Neuem. Selbst die winzigen Stielaugen des Kaufmanns Villing, die sonst immer in Bewegung waren, um in die Karten seiner Mitspieler linsen zu können, hingen starr und blutunterlaufen in seinem breiten Gesicht wie bei einer toten Flunder, und man setzte das Spiel eigentlich nur fort, weil es sogar an der erforderlichen Kraft zum endgültigen Aufbruch fehlte.

Der Einzige, der sich immer noch tapfer hielt, war Lehrer Mortensen.

Denn dieser Mann war des Spielens keineswegs müde. Von jenem Moment an, als er seine langen Frackschöße gespreizt hatte, um am Spieltisch Platz zu nehmen, bis dahin, als man ihm offen zu verstehen gab, dass Schluss sein müsse, saß er kerzengerade und bischöflich da mit seinem weißhaarigen, ehrwürdigen Haupt und dem akkuraten Halstuch – hinter einem sanften, freundlichen Lächeln das schwelende Fieber verbergend, in das ihn der Anblick der Karten und des Geldes immer versetzte, während nur das leichte Zucken seiner Mundwinkel sowie das permanente Knirschen seiner alten, knochentrockenen Stiefel etwas von seiner Gemütsverfassung verrieten.

Ab und zu fuhr er sich mit einem Taschentuch feierlich über seine hohe, warme, feuchte Stirn, auf der sich in kritischen Momenten Schweißperlen bildeten wie bei einem echten Fieber. Vor sich hatte er seine 10- und 25-Öre-Münzen sorgfältig zu gleichmäßigen Stapeln zu je einer Krone aufgetürmt. Und wenn er "Frage" oder "Solo" sagte, schloss er gerne die Augen, als ob er im Stillen ein "In Jesu Namen!" hinzufügte.

Zu seiner Linken saß der Gemeindevorsteher und kämpfte verzweifelt gegen den Schlaf an, der ihn jede Minute zu übermannen drohte.

Er war ein kleiner, unbedeutender Wicht von einem Bauern mit dünnem, wassergekämmtem Haar, leicht schrägem Kopf und einer flachen Nase im bartlosen Gesicht, dessen rotumrandete Augen – wenn sie geöffnet waren – voll Bewunderung an jedem hingen, der das Wort führte, und dessen Stimme – wenn er sie dann einmal erhob – derart verzagt und unbeholfen klang, dass man sich nur schwer vorstellen konnte, den reichsten Mann der Gemeinde vor sich zu haben.

Das Spiel war relativ neu für ihn und er blätterte gemeinhin unschlüssig in den Karten, die er vorsichtig eine nach der anderen aufnahm, nachdem sie ausgeteilt worden waren. Wenn er gespielt oder gestochen hatte, blickte er regelmäßig in die Runde, als wollte er herausbekommen, ob er eine Dummheit begangen hatte; und wenn das Spiel zu Ende war, wusste er nur selten, ob er gewonnen oder verloren hatte.

An diesem Abend hatte er obendrein kein Glück und saß im Verlauf des Spiels zum zweiten Mal blank da. Doch er war es gewohnt, ausgenommen zu werden. Ja, in Wirklichkeit hatte man ihn überhaupt erst unter dieser stillschweigenden Übereinkunft in die Runde aufgenommen. Er selbst nahm dies jedoch gleichmütig hin und war von Herzen äußerst stolz und glücklich darüber, dieses edle und schwierige Spiel "Lummer"1 gelernt zu haben, was ihn in seinen Augen über seinesgleichen hinaushob, und er zahlte freudig diesen Tribut für den Triumph, am nächsten Tag überall im Dorf davon berichten zu können.

… Auf diese Weise zog sich das Spiel noch eine halbe Stunde hin.

Da begannen mit einem Mal die alten Stiefel des Lehrers Mortensen unter dem Tisch ein infernalisches Knirschkonzert, seine Gesichtsfarbe veränderte sich und sein Blick streifte unter den buschigen Augenbrauen unruhig zwischen den Karten und den vier dunklen 25-Öre-Münzen hin und her, auf die sich sein in einer Tasse befindlicher Einsatz inzwischen verringert hatte. Es war offenbar etwas Außerordentliches im Gange.

"Solo auf die Tasse", sagte er schließlich sehr ruhig und in einem demütigen Tonfall, als wollte er um die Gunst der Götter buhlen.

Die schlaftrunkenen Körper durchzog ein Ruck. Der Tierarzt, der in einem trägen, dunklen Grübeln versunken war, hob seinen schweren, zerzausten Kopf und fuhr sich mit zitternder Hand durch seinen dichten, ungekämmten, rotgrauen Bart.

"Welche Farbe?", murmelte er.

"Kreuz", entgegnete der Lehrer, beinah entschuldigend.

Es wurde schweigend gekauft. Mortensen hatte drei Matadore mit der Vier als Trumpf, dazu König, Dame, Herz-Drei sowie zwei niedrige Pik. Er hatte zudem Vorhand, und wie ein umsichtiger General schickte er zunächst die Herzdame ins Gefecht.

Der Tierarzt, der kein Kreuz auf der Hand hatte, überlegte ein wenig und sah forschend zu dem Spieler auf.

"Das ist bestimmt ein Pharisäer", brummte er und stach daraufhin mit einem Trumpf.

Auf der bleichen Stirn des Lehrers Mortensen traten bereits die ersten klaren Schweißperlen hervor.

Der Tierarzt spielte ein niedriges Pik. Der Gemeindevorsteher stach als erstes mit Karo, dann mit Trumpf und schließlich, als er auf den Fehler aufmerksam gemacht wurde, mit Pikkönig. Der Lehrer bediente.

Doch nun wurde vom Gemeindevorsteher – rein zufällig – erneut Herz gespielt. Mortensen wollte die Stiche verteilen und ging mit seinem niedrigen Herz darunter. Doch der Tierarzt stach wieder mit Trumpf und spielte danach die Pikdame aus.

Nun begriff Lehrer Mortensen, dass er verloren war. Das Knirschen seiner Stiefel hörte mit einem Mal auf und seine Hände zitterten.

Da ließ er unbemerkt ein niedriges Pik auf seinen Schoß fallen, zwischen den Knien zu Boden gleiten und dann stellte er geschickt seinen Fuß darauf. Und als diese kleine Regelwidrigkeit glücklich verlaufen war, stach er die Dame mit einem niedrigen Trumpf.

Nun wurden die drei Matadore rasch nacheinander auf den Tisch gelegt und zum Schluss der Herzkönig, woraufhin der Tierarzt seine Karten verärgert hinwarf und düster brummte: "Ach, … fahr zur Hölle!"

Damit war das Spiel endgültig vorbei.

Im selben Moment erklangen fünf kurze, eindringliche Schläge von der Uhr über der Chiffonniere. Und während Lehrer Mortensen fromm und abwesend lächelnd seine Geldstapel einsammelte und den reichlich gefüllten Lederbeutel in seine tiefe Hosentasche stopfte und sie sorgfältig zuknöpfte, lehnten sich die anderen schweigsam auf ihren Stühlen zurück und starrten mit einem dumpfen Gefühl der Scham in die dicke, blaue, rauchgeschwängerte Luft, die sie einhüllte.

Es wäre nun eigentlich vollkommen verzeihlich gewesen, wenn man einen Drang zur Feuerpause verspürt hätte; denn die letzten acht Tage waren selbst für diese vier Kämpfer, die sonst immer einen Strauß auszufechten wussten, eine größere Anstrengung als üblich gewesen. Am vergangenen Sonntag hatten sie sich zufällig beim Kaufmann getroffen, und nun hatten sie seitdem jeden Tag – mal bei dem einen, mal bei dem anderen – den Kampf von Neuem mit stets größerer Hitzköpfigkeit aufgenommen. Für gewöhnlich verlief es so, dass, hatten sie erst mal Blut geleckt, sie nichts mehr aufhalten konnte, und sie hörten selten auf, bevor ihnen sozusagen die Waffen vor Erschöpfung aus den Händen fielen.

Plötzlich stand der Tierarzt auf, stieß einen fürchterlichen Fluch aus und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Als er sich wieder hingesetzt hatte, fiel ihm die alte Kuh in Øverrød ein, nach der er hatte sehen sollen, und die bereits seit einigen Tagen auf seine Hilfe wartete. Als er sich gegen Mittag an den Spieltisch gesetzt hatte, geschah dies mit dem festen Vorsatz, vor Sonnenuntergang aufbrechen zu wollen, damit er vor Anbruch der Dunkelheit dort sein konnte. Doch dies war ihm im Verlauf des Spiels komplett entfallen.

Übrigens passierte dem Tierarzt Aggerbølle so etwas nicht selten.

Jeden Vormittag brach er in einem kleinen, dreckigen Einspänner mit einem alten, kurzohrigen Gaul von zu Hause auf und war mit Reisepelz, Schaffellmütze, Medizintasche und großen Fäustlingen ausgestattet, als ob er eine Fahrt zum Nordpol unternehmen wollte. Aber er kam selten über den ersten Hof hinaus, wo sich ihm die Möglichkeit für eine Partie Karten bot; und wenn er mit seinen schweren Kragenstiefeln, die säuerlich nach ranzigem Tran rochen, hereinstapfte, wussten die Leute, was die Stunde geschlagen hatte. Schafkopf, Quartett, Polnische Bank, Napoleon, Sechsundsechzig und L´Hombre2… das war ihm insgesamt gleich, solange nur Geld auf dem Tisch lag und alles leicht von der Hand ging, ohne allzu viel Aufhebens und Gerede. Er ging niemals ohne ein altes, abgegriffenes Kartenspiel in jeder Gesäßtasche vor die Haustür. Den Sommer verachtete er als trostlose Lethargie, die nur zur Plage der arbeitenden Bevölkerung geschaffen worden war; böse Zungen würden jedoch behaupten, dass er auch die Wintertage mehr zu Hause mit Glücksspiel verbrachte als mit seinem eigentlichen Beruf.

… In der Tür zum Nebenzimmer tauchte nun die Frau des Gemeindevorstehers auf und lud die Herren zu einer "kleinen Erfrischung" ein.

Man folgte der Aufforderung, obwohl keiner Lust zu essen hatte. Erst als sich Lehrer Mortensen mit dem gesunden Appetit eines guten Gewissens und seiner unerschütterlichen Gemütsverfassung über ein Stück gepökeltes Fleisch und ein paar Spiegeleier hermachte, meinte man, ihm anstandshalber Gesellschaft leisten zu müssen.

Ein paar geräucherte Heringe, ein Stück Fleischsülze, warmes Beefsteak, Bratwurst und etwas Rührei sowie einige Schnäpse und ein wenig Bier – das war alles.

Dazu nahm man eine Tasse Kaffee mit ein paar Cognac und schließlich zum Abschied Portwein sowie Magenbitter mit Kandiszucker, woraufhin man sich schweigsam verabschiedete und jeder seiner Wege ging.

**
*

Als Lehrer Mortensen zu Hause im Bett lag, faltete er ruhig seine Hände über der Bettdecke und betete das Vaterunser.

Neben ihm lag seine Frau und drehte ihren schweren Körper im Halbschlaf herum, sodass das Bett unter ihr förmlich ächzte und stöhnte.

Schließlich wurde sie so weit wach, dass sie mit näselnder Stimme fragen konnte: "Mortensen, hast du was gewonnen?"

Mortensen betete ruhig und unbeirrt das Vaterunser zu Ende und sagte daraufhin: "Sechs Kronen – Liebste!"

Woraufhin er sanft und friedlich einschlummerte. –

Inzwischen war auch Kaufmann Villing zu Hause angekommen.

Er hatte auf dem Nachhauseweg mit offenen Augen geschlafen; doch als er nun die Tür zu seinem Laden öffnete und in seiner Nase den anheimelnden, herben Duft von Seife, Rosinen und altem Kautabak vernahm, war es, als erwachte ein Instinkt in ihm. Er richtete sein breites Gesicht auf, die Stielaugen zogen sich in ihre Höhlen zurück. Vorsichtig zog er die Stiefel aus, zündete auf dem Ladentisch ein Talglicht an und zählte lautlos in der Schublade die Kupferschillinge nach. Danach suchte er nach dem Kasten Dörrpflaumen und dem Glas brauner Zuckerstangen, klebte ein kleines Papierschild auf die Rosinen und schlich dann auf Zehnspitzen und mit der Hand vor dem Licht in den dunklen, feuchten Verschlag hinter dem Kramladen, wo der Lehrling, der "rotznäsige Lodevig", auf dem Rücken lag und laut schnarchte. Der Kaufmann durchsuchte dessen Verstecke, drehte die Hosentaschen nach außen und begab sich schließlich in den hintersten Gang, um an der Luke zum Dachboden zu lauschen und dann mit dem Licht in den Keller zu leuchten. – Erst als er sich auf diese Weise vergewissert hatte, dass nichts Verdächtiges vorlag, ging er durch den Laden ins Schlafzimmer, wo ihn seine junge Frau lächelnd erwartete.

Tierarzt Aggerbølle hatte es von allen am weitesten nach Hause. Er bewohnte ein kleines, heruntergekommenes Haus auf der anderen Seite des Dorfteichs mit einem zertrampelten Garten und einem kaputten Lattenzaun, dessen Pfosten wie eine düstere Geisterarmee aus dem Schnee ragten.

Je näher er dorthin kam, desto größer wurde das Spektrum an Kraftausdrücken, mit denen er sich auf dem gesamten Heimweg ununterbrochen selbst unterhalten hatte. Er hatte an diesem Abend so fest mit einem Gewinn gerechnet, um die alten Schulden zurückzahlen zu können, die Schuhmacher Ole unablässig zurückforderte, und er hatte versprochen, das an diesem Tag endlich abzuwickeln; aber anstelle des erwarteten Gewinns kam er nun mit lumpigen 75 Öre als gesamte Ausbeute nach Hause, während der Küster – dieser verdammte Heuchler! – sämtliche blanken Kronen des Gemeindevorstehers vor seiner Nase einkassiert hatte. In wenigen Stunden würde der Schuhmacher gewiss hier sein. Was sollte er ihm bloß sagen?

Als er ins Schlafzimmer trat, das voller Kinderbetten und einem halben Dutzend schlafender Kinder war, kam es ihm vor, als schlösse seine Frau im selben Moment ihre Lider. Doch als er ins Bett gestiegen war und flüsternd fragte, ob sie wach sei, antwortete sie nicht. Beruhigt drehte er sich daraufhin um und schlief augenblicklich ein.

Doch es wurde kein ruhiger Schlaf. Er wälzte sich ununterbrochen auf seinem Lager in hässlichen Träumen herum. Mal sah er das bleiche Abbild seiner Frau mit einem anklagenden Blick vorbeischweben, mal ein krankes Rotvieh, das nach ihm brüllte. Ein anderes Mal kam Schuhmacher Ole zur Tür herein mit seiner spitzen, roten Nase und der schmierigen Rechnung, – und dann wälzte er sich im Bett und schlug im Schlaf mit den Armen um sich. Aber meistens waren es Karten – immer Karten. Zuerst waren es nur zwei schwarze Asse, die ihn aus der Ferne anstarrten wie ein Paar boshafte Augen. Bald kamen aber Weitere hinzu, König, Dame, Zwei. – "Solo!", rief er im Schlaf – und zum Schluss war es der ganze Stapel, der einen wilden Veitstanz aufführte. Im Traum spielte er weiter, gab Karten, kaufte, scheffelte Geld und lachte – bis er schließlich am Vormittag mit einem Schrei aufwachte, schweißgebadet von diesem furchtbaren Nolo3 -Albtraum.

**
*

Es war schon mitten am Tag, als Tierarzt Aggerbølle – unvollständig bekleidet und in Pantoffeln – die Wohnstube betrat, wo die heitere Februarsonne durchs Fenster lugte und die Stopflöcher in den dünnen Baumwollvorhängen, die ausgefransten Kanten der verblassten Möbelbezüge und die Löcher in der Damasttischdecke, die wie eine trostlose Erinnerung an den verschwundenen Wohlstand den Tisch bedeckte, unbarmherzig zum Vorschein brachte, während auf dem Tisch geduldig der Kaffee auf ihn wartete.

Am Fenster saß seine Frau mit Brille und flickte die Kleidung der Kinder. Sie war ein kleines, mageres, verschlossenes und abgearbeitetes Geschöpf mit blassen, schwermütigen Zügen und einem ruhigen, durchdringenden Blick.

"Guten Morgen!", tönte er mit brüchiger Stimme, die möglichst unbefangen und zuversichtlich klingen sollte, während er verstohlen und scheu zu der schweigsamen, verwelkten Gestalt seiner Frau im Sonnenschein hinüberschielte. Sie bewegte gerade die Lippen, blickte jedoch nicht von ihrer Nadel auf.

"Ha, ha!", lachte er munter und knetete seine Hände, als er sich an den Tisch setzte. "Das zog sich letzte Nacht ziemlich lange hin – ha, ha! – Der gute Gemeindevorsteher musste ziemlich tief in die Tasche greifen! Nun – Gott sei Dank – er kann sich das leisten, im Großen und Ganzen ist er ein richtig angenehmer Bursche … Das ist wahr!", unterbrach er sich liebevoll selbst, da seine Frau immer noch schweigsam dasaß. "Wo sind die Kinder, mein Kätzchen? Wo sind die Kleinen?"

"Sie gucken den jungen Kerlen zu. Es ist doch heute Rosenmontag."

"Ach ja, gewiss!", antwortete Aggerbølle und schüttelte den Kopf. Bis zu diesem Moment hatte er tatsächlich geglaubt, dass es immer noch Samstag sei, und während er sich nachdenklich eine Scheibe Brot schmierte, verlor er sich in Gedanken über die Frage, wie in aller Welt die zwei Tage hatten verflogen sein können.

Schließlich ergriff seine Frau das Wort.

"Bernhard, ich muss dir noch sagen,", sagte sie ruhig und tonlos, "dass gestern Nachmittag ein Bote von Anders Jensen aus Øverrød angeritten kam. Du hattest versprochen, nach der kranken Kuh zu sehen."

"Ich!", stieß der Tierarzt aus und sah auf.

"Der Bote sollte bloß die Nachricht überbringen, dass es nun egal ist, denn die Kuh ist tot. Und du sollst dir auch in Zukunft keine Umstände machen, fügte er noch hinzu."

Das Gesicht des Tierarztes wurde knallrot. Plötzlich stand er auf, stellte den Stuhl hart auf den Boden und fing an – so wie es seine Gewohnheit war, wenn etwas in ihm brodelte – in der Wohnstube auf- und abzuwandern, den zerzausten Kopf zwischen die Schultern gezogen und die Hände tief in den Hosentaschen.

Zum Schluss ging er auf seine Frau zu und haute wütend mit den Knöcheln auf den Tisch.

"Du kannst darauf Gift nehmen, mein Kätzchen – das hört jetzt auf. Mich soll der Teufel holen, von heute an wird alles anders. Ich habe genug von diesen Tölpeln … diesem Lumpenpack … diesen …"

"Möchtest du noch Kaffee?", fragte die Hausfrau unbeirrt.

"Du kannst dich darauf verlassen, mein Kätzchen … ich werde mir diese Kerle schon vom Leibe halten. Außerdem habe ich das seit Langem satt … weiß Gott, das ist wahr, mein Kätzchen! Aber es ist dieses lange Schlitzohr, dieses scheinheilige Aas, dieser feige Hund – ich werde – –", er ballte wütend die Faust und bleckte die Zähne wie eine Hyäne. "Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass er beim Spiel gemogelt und uns hinters Licht geführt hat! Aber ich werde ihn reinlegen, darauf kann er Gift nehmen. Ich werde … stell dir vor, er sitzt da mit einem Solo4 … Spadille, Manille, schwarze Dame, zwei Könige und keine weiteren Augen mehr. Villing hat das vierte Basta und Herzkönig, und ich habe in der Hinterhand …"

In diesem Moment wurde er von Musik und Hurrarufen unterbrochen, die vom Dorfteich hereindrangen.

Es waren die Fastnachtsburschen, die in einem prachtvollen Umzug mit flatternden Bändern und geschmückten Pferden in das schneebedeckte und von der Sonne beschienene Dorf einritten.

Vorneweg ritt ein eleganter Jüngling mit Goldborten an der Hose und einer großen Dannebrog-Fahne in der Hand. Ihm folgten zwei Bläser zu Fuß und dann kam – von Hundegebell und dem Jubel der Jugend begrüßt – die lange Reihe Reiter mit großen Knüppeln in den Händen und Masken vor den Gesichtern. Die meisten trugen weiße Hemden und lange Unterhosen, die mit roten Schleifen, Blumen aus Wollgarn oder Flitter behängt waren. Die Ärmsten unter ihnen trugen Islandpullover und Holzschuhe und hatten gerußte Gesichter. Nach einem gemeinsamen gediegenen Frühstück bei Kresten – Ei mit Sülze, Schnaps und eimerweise Biersuppe – wippten alle auf den Pferderücken gleichsam auf und ab, sie schwangen die Knüppel und brüllten heiser bei jedem Hof, an dem sie vorbeikamen. Als Erstes ritten sie zweimal um den vereisten Dorfteich und bogen daraufhin in eine Gasse ab, wo zwischen zwei Hausgiebeln ein Fass an einem Seil aufgehängt war.

Dann ging es los. Während die Musik spielte, die Jungen riefen und die Mädchen in die Hände klatschten und schallend lachten, jagten die verängstigten Pferde mit Schaum vor dem Maul davon, bäumten sich auf und zitterten vor Todesangst, jedes Mal, wenn die angetrunkenen Kerle sie mit Knüppelschlägen unter dem Fass hindurchtrieben.

Ein Knecht, der mit Haube und Schultertuch als Mädchen verkleidet war, rief besonders großen Jubel hervor, als er die Unterröcke über den Kopf zog und dann, in den Steigbügeln stehend, die Rückseite der weißen Unterhose zeigte, auf der mit schwarzen Buchstaben Ane Pers – der Name des Dorfliebchens – gemalt war. Ein anderer war als Pierrot mit einem hohen, spitzen Hut und einem großen Blashorn ausstaffiert, mit dem er alle paar Augenblicke die Reiter um einen alten Mann zusammenrief, der aus einer Holzflasche Branntwein ausschenkte.

So ging es ungefähr eine Stunde, und die Bauern, die in einer Gruppe etwas abseits gestanden und ängstlich ihre Pferde betrachtet hatten, zogen sich nun allmählich auf ein großes, rotes Gehöft am Dorfteich zurück, auf dessen Dach die Fahne wehte, und auf dem in diesem Jahr das große, fünftägige Bauernfest abgehalten werden sollte.

Die jungen Männer blieben noch einen Moment, obwohl sie, wie auch die Pferde, schließlich so erschöpft waren, dass sie keuchten. Einige verließen ihren Platz in der Formation und ritten zwischen den Mädchen oder saßen von den Tieren ab. Die große Flasche mit Branntwein wurde geleert, und die Frauensperson war immer zärtlicheren Annäherungen ausgesetzt, bis der Pierrot "sie" vom Pferd zog, in den Schnee warf und unter mannigfaltigem Geschrei und Rufen eine Szene zum Besten gab, die nur die Allerkleinsten nicht verstanden.

Da war mit einem Mal ein lustiges Spektakel vom Festgehöft her zu hören. Alle Bauern – selbst die ergrauten – kamen lachend und rufend aus dem Tor gestürmt, der Vorderste mit einem langen Seil in der Hand und ganz hinten sogar der alte Lars Larsen mit seinem wackelnden Krückstock und einem mümmelnden Lächeln auf seinem unrasierten Gespenstergesicht.

Es war der Hof des jungen Jens Kristian, dem der Zug galt; und schon bald wurde in der Menge getuschelt, dass der junge Jens Kristian noch nicht zum Fest gekommen war, und deshalb sollte er einem alten Brauch zufolge mit einem Seil geholt werden.

Vier Bauern postierten sich rund um das Gehöft, zwei bewachten das Tor, während drei mit gezogenen Knüppeln dort eindrangen.

Kurz darauf kamen sie unter Hurrarufen wieder heraus – mit dem Sünder in das lange Seil gewickelt, genauso wie sie ihn angetroffen hatten: barhäuptig, noch nicht komplett angezogen, mit einem Rasierspiegel in der Hand und einer Wange voll Seifenschaum … und nun ging es fröhlich zurück zum Festgehöft.

– Von seinen Fenstern aus überblickte der Tierarzt den Dorfteich und die umliegenden Höfe und hatte die Szene beobachtet und herzlich gelacht, … bis er plötzlich meinte, den braunen Plüschhut des Lehrers Mortensen mitten im Menschenschwarm wiederzuerkennen. Da schoss das Blut in seine Wangen, und seine Augen wurden rot wie die eines Stiers. Er konnte den Anblick dieses Mannes nicht mehr ertragen, der ihn jedes Mal um seinen Gewinn brachte, ohne dass seine Finger wie bei einem Höllenfeuer juckten, nachdem er auf einen Schlag neun große Nolo-Stiche machte und sein Gesicht wie eine Kerze erbleichen ließ. Und selbst als er sah, dass er sich geirrt hatte, murmelte er weiter düster vor sich hin: "Ja, warte nur, du Heuchler – du Teufel – du …"

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und ein kleines, schmutziges, zerlumptes und blaugefrorenes Dienstmädchen steckte ihren Kopf herein.

"Schuhmacher Ole ist draußen", sagte sie. "Er sagt, er muss mit Ihnen sprechen."

"Das dürfte für dich sein, Bernhard!", sagte Frau Aggerbølle, die immer noch am Fenster saß.

"Für mich? … Weiß Gott, was kann er von mir wollen?", murmelte er, beinah wie zu sich selbst, bevor er bleich die Stube verließ.

Henrik Pontoppidan

 
[1] Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei "Lummer" um eine Bezeichnung des aus Spanien stammenden Kartenspiels L´Hombre, das im 19. Jahrhundert in Dänemark äußerst populär war. Es wurde in Dänemark auch "Lomber" oder "Lombre" genannt. tilbage
[2] Verschiedene Kartenglücksspiele. tilbage
[3] Nolo ist eine Ansage beim Kartenspiel L´Hombre; man versucht keinen Stich oder so wenig Stiche wie möglich zu bekommen. tilbage
[4] Solo: Es wird aus der Hand gespielt, d.h. es werden keine Karten vom Stapel aufgenommen. – Spadille (Pik-Ass): ist der höchste Trumpf. – Manille: ist eine schwarze Zwei oder eine rote Sieben, je nach Farbe des Trumpfs. – Basta: ist das Treff-Ass. tilbage