Die gelbe Rose

Erzählung von Henrik Pontoppidan

Mit Zeichnungen von Knud Gamborg

I

Es war der 8. April, der Geburtstag des Königs.

Eine klare, festliche Frühlingssonne schien über der fahnengeschmückten Kleinstadt und schaute durch ein Eckfenster auch in Adjunkt1 Hammers kleine, gemütliche Junggesellenwohnung hinein. Sie streichelte eine prachtvolle, in ebendieser Nacht erblühte Teerose, die am Fensterrahmen stand, und breitete sich von dort über einen karierten Teppich am Boden aus, über zwei mit Büchern gefüllte Regale, eine Wand mit zwei großen Porträts der verstorbenen Eltern des Adjunkten, noch ein mit Büchern gefülltes Regal mit einem Globus auf dem obersten Fach, einen hübsch geschnitzten Schrank mit einer Sokrates-Büste und schließlich bis über die Ecke eines altmodischen Rosshaarsofas, auf dem der Adjunkt selbst in einer nachdenklichen Position mit der Wange auf die Hand gestützt saß und zu Boden blickte.

Alles in der Stube schien den Frühlingsanfang und den Geburtstag der Majestät zu feiern. Sogar die Bücher, bis zum Bersten mit Wissen gefüllt, sahen mit ihren sonnenbeschienenen Rücken so verlockend aus, als wären sie allesamt fesselnde Liebesromane. Die Teerose wirkte, als träumte sie zärtliche Jungfrauenträume, der große Globus war ein einziges Grinsen; der Teppich hatte durch den grauen Staub des Winters hindurch auf einmal seine ganze schillernde Farbenpracht entfaltet – wie ein Schmetterling, der sich plötzlich entpuppt –, ja, sogar der alte, sonst so melancholische Sokrates schien sich ein Lächeln von der Sonne zu leihen und aus dem Fenster zu schielen, als ob er Lust auf einen kleinen Spaziergang im Freien hätte.

Nur dem Adjunkten selbst hatte weder die Sonne noch der Geburtstag des Königs ein Sonntagsgesicht aufgesetzt. Über seinem schönen, etwas bleichen Gesicht mit der scharf geschliffenen Brille und dem hellen Vollbart lag ein gepeinigter und unruhiger Ausdruck, der eine weit fortgeschrittene Nervosität andeutete. Immer wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, warf sich mal auf die eine, mal auf die andere Seite des Sofas, beugte sich nach vorn und vergrub das Gesicht in den Händen oder lehnte sich mit einem müden Ausruf zurück, während die Arme in den Schoß sanken.

Ein paar Mal nahm er ein Buch von einem Tisch neben dem Sofa und schlug es aufs Geratewohl auf, um seine Nerven durchs Lesen zur Ruhe zu zwingen. Doch einen Augenblick später warf er das Buch verächtlich davon, erhob sich, murmelte ein paar Worte und ging mit einer so verzweifelten Miene in der Stube auf und ab, als wäre er mit sich selbst übereingekommen, dass das Dasein unerträglich sei.

II

In dieser nervenaufreibenden Unruhe hatte Adjunkt Hammer den ganzen Tag verbracht. Schon um sechs Uhr war er nach einer schlaflosen Nacht aufgestanden, hatte sich schnell angezogen und sich zur nächstbesten Landstraße aufgemacht. Er war über eine Meile aufs Land gegangen – mit großen Schritten und ganz der Nase nach –, hatte mit Bauern gesprochen, die pflügten, mit fahrenden Schlachtern, mit Männern, die am Grabenrand saßen und Stein behauten; hatte in einem Wirtshaus Kaffee getrunken, Zigarren bei einem Dorfhändler gekauft, einem kleinen Jungen eine Krone gegeben, einem kleinen Mädchen oder einem anderen Jungen – er wusste schon nicht mehr, wem – ein kleines Silbermesser geschenkt, das er seit seiner Kindheit gehabt hatte – all das, um den Gedanken zu entkommen, dem Bild, den Träumen, dem Wahnwitz, die ihn nun seit mehr als einem Monat verfolgten.

Doch alles vergebens. Je mehr er sich zu zwingen versuchte, desto schwächer wurde er gegenüber der Macht, die ihn gefangen genommen hatte, desto lauter rief die Stimme, die ihm all die Lieder ins Ohr sang, mal verführerisch, mal drohend, immer spöttisch.

Am Ende spürte er, dass er nachgeben musste. Er sagte sich, dass die Gewissheit – wie traurig sie auch sein würde – doch dieser endlosen Marter vorzuziehen sei. "Lieber sich vom spöttischen Gelächter der ganzen Stadt vertreiben lassen, als weiterhin durch diese Folter zu ächzen." Und er fügte hinzu, um sich zu beruhigen, dass ein Heiratsantrag in diesem Fall eigentlich nicht besonders viel Aufsehen erregen konnte. Bekam er ein Nein, teilte er ja nur das Schicksal mit den meisten anderen jungen Kavalieren der Stadt; denn es war nur allzu bekannt, dass fast alle von ihnen gut geflochtene Körbe von der Wohnung des Polizeidirektors nach Hause getragen hatten, etliche sogar mehrmals.

Mit dem "endgültigen, festen Entschluss", noch am selben Tag den Antrag zu machen, kehrte er in die Stadt zurück.

Doch gerade war er in sein Zimmer zurückgekommen, da übermannten ihn wieder die ganzen alten, furchtbaren Zweifel; sie spukten sozusagen aus allen Ecken der Stube hervor, krochen als kleine, graue Teufel aus Büchern und Gemälden, die um seinen Kopf flatterten und ihm ins Ohr schrien. Wo war denn seine Vernunft hin? riefen sie ihm zu. Wie konnte er auf die wahnwitzige Vorstellung kommen, dass sie – sie! – sich auch nur im Geringsten um ihn scherte. Was war das für ein Hochmut, der glauben ließ, dass sie, die so vornehm war, so hübsch und strahlend, und die haben konnte, auf wen auch immer sie zeigte – dass sie sich gerade in ihn verlieben sollte. Wer war er schon? Ein mickriger Adjunkt, ein armer Schuhmachersohn, der sich nur mit einer unbedeutenden Goldmedaille für eine Abhandlung über Ciceros Reden brüsten konnte – ein ungeschickter und langweiliger Schulmeister mit fünfzehnhundert Kronen im Jahr und einer breiten Kartoffelnase … Er stellte sich vor den Spiegel und betrachtete gründlich seine ganze Person. Wie er aussah! Er lachte höhnisch beim Gedanken daran, dass er sich zuvor wirklich für einen recht schönen Menschen gehalten hatte. Er fand sich furchterregend, anzusehen wie ein reiner Satyr … und er fasste erneut einen "endgültigen, bedeutenden Entschluss."

Er wollte zur Vernunft kommen. Er wollte sich – ohne sich lächerlich zu machen – mit all seiner Kraft diesem Zauber entreißen, von dem er gefangen worden war. Er wollte sich wieder in sein Studium stürzen, sich in die alten, klassischen Autoren vertiefen … vielleicht eine Doktorarbeit schreiben, die seinem Namen Glanz verleihen könnte. Er versuchte, sich einzureden, dass seine Liebe nur ein flüchtiger Rausch war, der von selbst vorübergehen würde, sobald er sich nicht mehr damit beschäftigte.

"Es ist mit der Liebe wie mit der Nervosität", sagte er sich. "Gibt man ihr nach, nimmt sie uns schnell Sinn und Verstand, und wir bilden uns ein, unheilbar zu sein. Aber wenn wir sie nur mit einem festen Tritt aus der Tür werfen und unsere Gedanken ernsthaften Angelegenheiten widmen, lässt uns das Ungeheuer bald in Frieden, und wir können danach gar nicht mehr begreifen, dass wir uns überhaupt von ihm haben stören – um nicht zu sagen beunruhigen – lassen."

Nachdem er zu dieser "festen Überzeugung" gekommen war, wähnte er sich schon ruhiger. Er begann sogar, über seinen Zustand zu spotten, und sagte sich:

"Ja, du bist wirklich ein Grünschnabel, mein lieber Peter Frederik Marcus Hammer! Du gehst doch nicht dorthin und machst dich vor der ganzen Stadt zum Narren, nur weil eine kleine Jungfrau Seidenschleppe dich einen Abend etwas milde angesehen und zum Kotillon gebeten hat! … Du solltest dich wirklich schämen, mein kleiner Freund! … Bist da aber auch in eine niedliche Freier-Kompanie eingetreten! Prokurist Larsen, Rittmeister Rosen, der ‚Evangelist Sørensen‘, unser strebsamer Kaplan … ganz zu schweigen vom armen Provisor Jespersen und weiteren Märtyrern!"

Er lachte über sich selbst und schwor sich, dass er schon am nächsten Tag Ciceros Reden vom Regal nehmen würde; und in acht Tagen, wenn die "Krankheit" ganz überstanden wäre, würde er ihre Kotillon-Schleife zur Abschreckung an die Wand nageln.

Er sprang vom Sofa auf und setzte sich, um sein Brot zu essen, das lange gewartet hatte. Er versuchte, sich einzureden, dass er Appetit hatte und das Essen ihm vortrefflich schmeckte, obwohl jeder Happen ihm in Wirklichkeit im Halse stecken blieb. "Ah! Es ist gut, etwas Richtiges in den Magen zu bekommen", sagte er. Daraufhin holte er eine Flasche Wein aus dem Schrank, schenkte sich ein, zwei Gläser ein … "Nune bibendum!", zitierte er, und nickte sich zu.

Er fühlte sich wirklich besser, und als ihm einfiel, dass die Garnison anlässlich des Geburtstags des Königs eine Truppenschau auf dem Marktplatz der Stadt hielt, entschloss er sich, nach dem Essen dorthin zu gehen. "Warum sollte ich das nicht tun? Wem sollte ich schon begegnen? … Außerdem habe ich die Bürger und Bürgerinnen der Stadt ja noch nicht meinen neuen Frühlingsmantel bewundern lassen – ein Prachtstück, meine verehrten Herren und Damen! – also … Andiamo!"

Er erhob sich und zog sich mit großer Sorgfalt an. Und als er vor dem Spiegel stand, seinen neuen, langen, hellgrauen Übermantel angezogen und den Zylinder auf dem Kopf, leicht parfümiert und im Begriff, ein Paar dunkle Glacéhandschuhe über die Hände zu ziehen, fand er, dass sein Aussehen doch nicht so schlecht war. "Weder affektiert noch spießbürgerlich!", sagte er. Ein moderner Wissenschaftler, der bei seinen klassischen Studien nicht den Anstand eines Mannes von Welt vergisst!

Zuletzt ging er zu einer Schublade und holte eine gute Havannazigarre heraus, die er von einer Abendgesellschaft aufgehoben hatte. Die hatte ausgerechnet beim Polizeidirektor stattgefunden, und während er nun sorgsam die Zigarre anzündete und sie zwischen seinen gespitzten Lippen kreisen ließ, murmelte er lächelnd zwischen den einzelnen Zügen:

"Mein lieber Polizeidirektor … Ihre Havannazigarren sind vortrefflich … Ihre Tochter … hm! … An der können sich andere verbrennen!"

III

Auf dem großen Marktplatz vor dem Rathaus hatte sich die Garnison der Stadt – ein Dragonerregiment – mit Blick zur Sonne aufgestellt. Die langen, schnurgeraden Reihen himmelblauer Reiter mit glänzenden Helmen und gezogenen Säbeln, die wiegenden Standarten, die Ausgehuniformen der Offiziere, die "Musik" mit ihren Schimmeln und blanken Messinginstrumenten – das Ganze gab ein prachtvolles Schauspiel ab.

Vor jeder Schwadron hielt ein Rittmeister an und warf einen letzten musternden Blick auf seine Schar. Denn der Oberst, auf den man bereits eine Weile gewartet hatte und der sich nicht zu beeilen pflegte, fehlte noch.

In jener Ecke des Marktplatzes, die von Polizist Raffenstein und drei Nachtwächtern mit Blechschilden vor der Brust für Publikum abgesperrt wurde, standen die Beamten der Stadt, die meisten in goldbestickten Uniformen, mit Degen und weißen Glacéhandschuhen. Dort waren der Bürgermeister, der Polizeidirektor, der Vogt, der Zollbeamte und viele andere. Am meisten Aufsehen erregte der beliebte Brandmeister Zeilau – normalerweise Schornsteinfegermeister – mit Schleppsäbel, heller Hose und einem mächtigen dreieckigen Hut aus der Zeit von Friedrich VI. – mitsamt dem alten, gekrümmten Stadthauptmann Hansen, ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, der es bei dieser Gelegenheit als seine Pflicht empfand, ständig seinen Rollstuhl zu verlassen, in dem er ansonsten das ganze Jahr über herumgeschoben wurde, und sich am Arm eines Laufburschen zum Festplatz transportieren zu lassen – in voller Ausgehuniform, der scharlachroten, hochgepolsterten Offizierskleidung der alten Bürgerwache, mit kurzen Schößchen und großen Rabatten.

Vor der ersten Schwadron hielt der stadtbekannte Rittmeister Rosen, ein hübscher und eleganter Offizier, der vor allem zu Pferde einen stattlichen Eindruck machte. In letzter Zeit hatte man in verschiedenen Kreisen der Stadt immer häufiger seinen Namen in Verbindung mit der Tochter des Polizeidirektors gebracht, und obwohl man zu wissen glaubte, dass er sich von ihr schon einmal einen Korb hatte geben lassen, war man allgemein der Überzeugung, dass die unermüdliche Belagerung durch den attraktiven und geschmeidigen Krieger letztendlich mit einer Kapitulation belohnt werden würde.

Adjunkt Hammer hatte sich zwischen den Zuschauern versteckt, und als er dessen Gestalt sichtete, kamen all seine Verzweiflung, Eifersucht und Hoffnungslosigkeit trotz seines Widerstandes wieder aufs Neue hoch – und umso heftiger, weil er nicht vor sich selbst verbergen konnte, dass er selbst neben diesem Mann plump, gar bauernartig wirkte. Er glaubte, dass der Anblick dieser ranken, kräftigen Gestalt sie blenden und betören würde, falls sie in diesem Augenblick zugegen war … und sein Herz füllte sich mit Hass gegen diesen Menschen und gegen die ganze Welt, die sich förmlich dazu verschworen hatte, ihn lächerlich und unglücklich zu machen.

Endlich kam der Oberst, gefolgt von seinem Adjutanten. Sein Erscheinen rief unter den versammelten Straßenkindern eine recht respektlose Munterkeit hervor, woraufhin Polizist Raffenstein sich ihnen mit wütendem Blick zuwandte und flüsterte: "Ruhig, ihr Bengel!" Herr Oberst war nämlich, was seine Fülle anging, von solchen Dimensionen, dass sich nur mit Mühe ein Pferd finden ließ, das ihn tragen konnte. Dazu hatte er ein Gesicht von der Farbe eines Räucherschinkens, mit einem großen, gezwirbelten, geschwärzten Oberlippenbart, der an zwei Katzenschwänze erinnerte, eine goldene Brille und einen Wattebausch im Ohr.

Nachdem er die anwesenden Autoritäten begrüßt hatte, ritt er zur Vorderseite seines Regiments, zog seinen Säbel und brachte sodann mit sieben Worten und einer Stimme, als wollte er Tote erwecken, ein Hoch auf den König hervor, das mit taktfesten Hurras der Soldaten und weniger disziplinierten, aber nicht weniger begeisterten Hochrufen der übrigen Versammlung beantwortet wurde.

Danach trat der Bürgermeister der Stadt, ein kleiner, magerer, glattrasierter Mann mit langer Nase und scheuem Auftreten, in die Mitte des Marktplatzes, entblößte seinen winzigen, kahlen Kopf und begann mit einer Rede, von der niemand, nicht einmal diejenigen, die am nächsten standen, ein einziges Wort hören konnten. Die Leute vermuteten gemeinhin, dass er nun schon seit zwanzig Jahren die gleiche Rede fürs Vaterland zum gleichen Anlass hielt, aber einen besonderen Grund für die bescheidene Aufmerksamkeit, die dem Bürgermeister an diesem Tag sogar von den Autoritäten zuteilwurde, boten zwei zornige Hunde, die während der Rede in den abgesperrten Teil des Marktplatzes rasten und hier heulend und kläffend einen wilden Tanz aufführten. Auf einen Wink des Polizeirates hin schritt Bediensteter Raffenstein majestätisch über den Marktplatz, um die Streitenden zu trennen und zu entfernen, aber das verstärkte nur ihre Raserei. Sowie sich der eine im Nacken des anderen festbiss, jagten sie beide direkt in die erste Schwadron und brachten die Pferde zum Steigen und Schnauben, sodass es einen Augenblick lang sehr bedenklich aussah.

Der Bürgermeister war jedoch an seinem Platz stehen geblieben und hatte ungestört seine schier endlose Rede fortgesetzt. Etliche Zuhörer zogen sich bereits zurück, und zu diesen gehörte auch Adjunkt Hammer, der nicht länger den Anblick seines – wie es schien – siegessicheren Rivalen ertragen konnte.

Sowie er sich zum Gehen wandte, fuhr er zusammen und wurde leichenblass – kaum fünf Schritte entfernt, etwas abseits, standen zwei junge Damen, die eine dunkelhaarig und die andere blond, fast golden.

Letztere war Fräulein Ankersen, die Tochter des Polizeidirektors.

Der Adjunkt wollte mit einem stummen Gruß an ihr vorbeigehen, aber die dunkelhaarige Dame, das stets lachende und schlagfertige Fräulein Enevoldsen, hielt ihn an und sagte:

"Guten Tag, Herr Adjunkt … und einen frohen Festtag!"

Fräulein Ankersen, rot angelaufen, zerrte die Freundin am Arm und flüsterte: "Hast du den Verstand verloren, Thea!"

Doch das sah und hörte der Adjunkt nicht, ja, in seiner Verwirrung glaubte er sogar, dass die andere ihn angesprochen hatte, und antwortete mit reservierter Vornehmheit, um seine Unruhe zu verbergen:

"Gleichfalls, Fräulein Ankersen!"

"Wie bitte! Nennen Sie mich jetzt Fräulein Ankersen!", lachte die Dunkelhaarige. "Nein, wissen Sie was, Herr Adjunkt; obwohl gelehrte Herren ja die Erlaubnis haben, ein wenig zerstreut zu sein, ist man wirklich versucht, den alten Spruch zu benutzen, dass wes das Herz voll ist, und so weiter."

Fräulein Ankersens Wangen erröteten; sie kniff ihrer Freundin in den Arm und wollte sie wegziehen. Als das jedoch nicht glückte, wandte sie sich dem immer verwirrteren Adjunkten zu und sagte:

"Sie müssen Fräulein Enevoldsen entschuldigen, Herr Hammer … Sie wissen vielleicht, dass der Anblick des Militärs sie immer in übermütige Stimmung versetzt?"

Der Adjunkt verbeugte sich, grüßte und setzte seinen Weg fort.

Fräulein Ankersen hatte sich vom Arm der Freundin gelöst; sie war beleidigt und sagte, während die Leute um sie herum nach der endlich abgeschlossenen Rede des Bürgermeisters Hurra riefen:

"Ich muss dir sagen, ich bin wütend auf dich, Thea … Ich verstehe nicht, warum du Herrn Hammer immer zum Narren halten musst … dafür ist er doch wirklich zu gut, finde ich."

"Und ich finde, dass du in letzter Zeit ein auffälliges Interesse für ebendiesen Herrn Hammer entwickelt hast, meine Liebe … Du bist nicht vielleicht ein wenig in ihn verschossen?"

"Ach, Unsinn … man kann wohl Interesse an einem Menschen haben, ohne gleich in ihn verliebt zu sein."

"Glaubst du?"

"Ja, glaubst du es denn nicht", antwortete die andere, immer noch ernst, und blickte zu ihrer Freundin.

"Ja, das kommt wohl darauf an, wofür genau man sich an Betreffendem interessiert."

"Ach, mit dir will ich gar nicht reden … Komm, lass uns gehen."

Die Dunkelhaarige lachte. Und als sie einschmeichelnd ihre Hand unter den Arm der Freundin schob und ihr lächelnd ins Gesicht sah, sagte sie:

"Darf ich dir etwas sagen?"

"Was willst du mir sagen?"

"Etwas … etwas sehr Vertrauliches!"

"Na, was ist es?"

"Ja, aber du darfst nicht wütend werden."

"Ach, red schon … sag mir einfach, was es ist."

"Es ist … wenn ich an deiner Stelle wäre, dann wüsste ich wohl, in wen ich mich verlieben würde."

"Ach so. In wen denn?"

In diesem Moment öffnete sich eine Kluft in der Menschenmasse, die Festlichkeiten waren vorbei, und bei lärmender Musik zogen die Soldaten vom Festplatz. Vor der ersten Schwadron ritt Rittmeister Rosen mit dem Ritterkreuz auf seiner breiten Brust.

"In ihn dort!", flüsterte Fräulein Enevoldsen und wies mit dem Kopf in seine Richtung.

Die schöne Gestalt der Tochter des Polizeidirektors durchfuhr ein heftiger Ruck.

"Lass uns gehen", sagte sie nahezu furchtsam, und wollte die Freundin mit sich ziehen.

"Nein, weißt du was, mein Lämmchen – jetzt wollen wir sie wirklich hier vorbeiziehen sehen. Das ist ein großartiger Anblick – oder!"

Einen Augenblick später ritt der Rittmeister an der Spitze seiner Abteilung an den beiden Damen vorbei. Mit einem verbindlichen Lächeln grüßte er mit der Klinge, während er seiner hellbraunen Stute die Sporen gab und sie so dazu brachte, grazil zu tanzen.

"Ist er nicht großartig!", flüsterte Fräulein Enevoldsen. "Das nenne ich einen Kavalier … Du musst doch zugeben, meine Liebe, dass er großartig ist."

Fräulein Ankersen antwortete nicht. Sie war wieder ganz rot geworden und setzte gedankenversunken ihren Weg an der Seite der Freundin fort.

IV

Adjunkt Hammer war nach Hause gegangen. Der Anblick des Objekts seiner Liebe hatte ihn irgendwie beruhigt, wobei die Unmöglichkeit, ein so kostbares Kleinod zu gewinnen, ihm nun noch mehr einleuchtete. Doch gleichzeitig hatte es ihn mit tiefer und schmerzlicher Wehmut erfüllt, einer Leere und Lebensmüdigkeit, die sogar die Sonne in seinen Augen schwarz werden ließ.

Diese Wehmut wurde noch zusätzlich verstärkt, als er seine Stube betrat und ihm die gelbe Rose ins Auge fiel, die hinter der Fensterscheibe im Sonnenschein badete. Er war bislang so verwirrt von seinen Gedanken gewesen, dass er überhaupt nicht bemerkt hatte, wie die Blume im Laufe der Nacht erblüht war – und als er es jetzt sah, bewegte es ihn so sehr, dass er gut hätte weinen können.

Diese Blume hatte nämlich eine besondere Bedeutung für Adjunkt Hammer. Es ist nicht zu viel gesagt, dass er sie – vor allem in letzter Zeit – mit einer solchen Liebe bedacht hatte, als wäre sie ein lebendiges Wesen, an das sein Glück geknüpft war. Sie hatte seinerzeit seiner Mutter gehört. Diese hatte sie während ihrer langen Krankheit immer bei sich gehabt, und die Blume hatte damals fast immer in voller Pracht gestanden und die Bewunderung aller geweckt. Als die Mutter starb, hatte er die Blume mit in seine Junggesellenwohnung genommen. Doch hier schien ihre Lebenskraft zu erlöschen. Trotz all seiner sorgfältigen Pflege siechte sie mehr und mehr dahin, und er hatte bereits den Glauben daran aufgegeben, dass er sie vor dem Absterben schützen konnte. Da – Ende Januar – begann sie zu seiner großen Überraschung und Freude wieder zu sprießen, und einen Monat später sah er die erste kleine Knospe zwischen ein paar hellgrünen Blättern hervorschießen.

Dieses Ereignis fiel jedoch gerade in die Zeit, da seine Liebe zur Tochter des Polizeidirektors in seinem Herzen zu sprießen begann; wie die Knospe zwischen den Blättern wuchs auch die Liebe in seiner Brust. Und er betrachtete es als Zeichen. Er hatte den Gedanken nicht verdrängen können, dass dieser Zufall sein Glück verhieß – und er hatte sich selbst versprochen, um Fräulein Ankersens Hand anzuhalten, bevor die Knospe zur Blüte wurde.

Und jetzt war die Knospe erblüht!

Er ließ sich schwerfällig in die Sofaecke fallen und versank in bitteren Gedanken.

Allerdings hatte er nicht lange gesessen, bevor er von einer Hand gestört wurde, die an seine Tür klopfte.

Es war seine Haushälterin, Madam Lumholdt, ein großes, fülliges Frauenzimmer, das mit einem gestärkten, weißen Stück Stoff in der offenen Hand hineinkam.

"Was ist das?", fragte der Adjunkt, verärgert über die Störung.

"Herrje, das ist doch Ihr Manschettenhemd, Herr Hammer … nun müssen Sie nur noch daran denken, es nicht schmutzig zu machen, bevor Sie auf den Ball gehen – nicht so, wie beim letzten Mal."

"Was für ein Ball? … Ach, der Vereinsball heute Abend."

"Ja – hat Herr Hammer das etwa vergessen? Heute ist doch der Geburtstag des Königs … Das wissen Sie doch wohl."

"Ja, natürlich", antwortete er zerstreut und winkte mit der Hand, um zu zeigen, dass er sich ungestört wünschte.

Doch Madam Lumholdt war schon lange beim Adjunkten im Dienst und tat so, als ob sie seinen Wink nicht verstand. Sie stellte sich ungeniert mitten ins Zimmer, die Hände in ihre drallen Seiten gestemmt, und lächelte verschmitzt.

"Ich habe Herrn Hammer heute draußen auf der Straße gesehen … ja, das habe ich wohl."

"Ach, haben Sie das, Madam Lumholdt – ja, das kann gut sein", antwortete er knapp und winkte sie wieder davon.

"Das war drüben beim Rathausplatz … ja, so war es. Ich wollte ja auch hin, um das Spektakel zu sehen. Und dann habe ich auch Herrn Hammer gesehen … Sie haben mit Fräulein Ankersen gesprochen. Ja, das haben Sie wohl."

Der Adjunkt bewegte sich unruhig auf seinem Platz.

"Ach ja – sehr schön, Madam Lumholdt –"

"Und dann habe ich da auch diesen Rittmeister Rosen gesehen, von dem die hier in der Stadt so viel reden", fuhr die Frau jedoch ungestört fort. "Ich finde nicht, dass er etwas Besonderes hat, und ich würde nie glauben, dass da was dran ist, was die Leute sagen, dass er und Fräulein Ankersen zusammenkommen sollten."

"Ach, das sagen die Leute – na dann – ja, sehr schön, Madam Lumholdt!"

"Also, wenn ich meine Meinung zu der Sache sagen soll, dann ist es wohl eher ein anderer, auf den Fräulein Ankersen ein Auge geworfen hat … und die Zeit wird schon zeigen, dass ich recht habe."

"Ach so. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Madam Lumholdt irgendeine Gelegenheit dazu haben könnte, Fräulein Ankersens Gefühle und Absichten zu erkunden."

"Na, das soll Herr Hammer nicht sagen … nein, sagen Sie das nicht. Denn wenn man täglich in einem Haus ein und aus geht, dann bekommt man da auch über solche Dinge immer etwas Klatsch mit … ja, so ist das."

"Was soll das heißen? Verkehrt Madam Lumholdt etwa im Hause des Polizeidirektors?"

"Gott bewahre … natürlich tue ich das. Ich habe ja vierzehn Jahre im Hause des Polizeidirektors gedient und das Fräulein getragen, seitdem es ganz klein war … ja, offen gesagt, Herr Hammer, ich bin die Amme des Fräuleins gewesen und nenne es noch – Gott verzeih es mir! – mein eigenes Kind, so fein und schön ist es geworden. Das Fräulein sagt auch selbst häufig, dass es mir nie vergessen wird, wie gut ich auf es aufgepasst habe … dabei hat es ja nie erfahren, was es bedeutet, eine Mutter zu haben, das arme Kind."

Adjunkt Hammer hatte sich in der Sofaecke aufgerichtet. Seine Augen waren hinter der Brille groß geworden.

"Aber ist das wirklich wahr? … Sind Sie Fräulein Ankersens Amme gewesen, Madam Lumholdt?"

"Ja, das war ich, Herr Hammer – und deshalb gehe ich dort ja noch wie früher ein und aus und bin auch richtig dankbar dafür, wie gut das Fräulein zu mir ist. Und deshalb kann ich auch sagen, wie ich sage, dass es nicht Rittmeister Rosen ist, sondern ein anderer, für den sie etwas übrig hat … ja, so ist das."

Adjunkt Hammer war bleich geworden und seine Stimme unsicher, als er seinen Blick versteckte und sagte:

"Ja, das könnte ja sein … aber hat Madam Lumholdt eigentlich einen besonderen Grund für diese Vermutung?"

"Ja, und ob –", sagte sie mit plötzlich gesenkter Stimme und trat einen Schritt näher an ihn heran. "Herrn Hammer wage ich es wohl zu sagen, denn Sie behalten es ja für sich … Denn sehen Sie, am Freitagabend, als ich drüben beim Polizeidirektor war, da kam das Fräulein wohl kurz nach Anbruch der Dunkelheit nach Hause und war so wortkarg und seltsam aufgelegt, setzte sich ans Fortepiano und spielte ein so trauriges Stück – so wie es die jungen Mädchen machen, wenn der Herzschlag in Unordnung ist, wie man sagt. Es war deutlich genug zu sehen, dass sie mit jemandem gesprochen hatte, um den ihre Gedanken kreisten … ja, so ist das. Sehen Sie, wer das nun war, das kann ich nicht sagen … aber Rittmeister Rosen war es nicht, das ist gewiss."

"Ja, woher … woher wissen Sie das so genau, Madam Lumholdt", stammelte der Adjunkt; er hatte sich nach vorn gebeugt, um sein Gesicht zu verbergen, aber man konnte an seiner Stimme hören, dass seine Lippen und sein ganzer Leib zitterten.

"Ja, das weiß ich … denn an dem Abend saß er die ganze Zeit im Verein und trank zusammen mit Großhändler Larsen und Prokurist Brandt … das hat mein Neffe erzählt, dem das Billard dort gehört. Also da kann man sehen, was für ein Gerede in der Stadt über ein junges Mädchen umgehen kann, ohne dass ein Körnchen Wahrheit dahintersteckt … Na, ich stehe lange genug hier und rede", unterbrach sie sich plötzlich selbst, und während sie den Adjunkten unter halbgeschlossenem Augenlid listig beobachtete und sich das gutmütige Lächeln wieder auf ihre Lippen stahl, fügte sie hinzu: "Ja, dann sollte Herr Hammer besser auf sein Manschettenhemd aufpassen, damit Sie nicht zu Schaden kommen wie zuletzt, und Tabaksaft darauf verschütten … Dann viel Vergnügen heute Abend, Herr Hammer!"

Kaum war sie aus der Tür, sprang der Adjunkt vom Sofa auf. Denn derjenige, der am Freitagabend mit Fräulein Ankersen gesprochen hatte, war er selbst und konnte niemand anderer sein. Er hatte sie allein bei einem Spaziergang im Park getroffen, und sie hatte ihm erlaubt, sie durch den Garten und bis an den Stadtrand zu begleiten. Er hatte wie immer kein anderes Gesprächsthema als seine Studien und seine Stipendienreise ins Ausland gefunden. Mit Verzweiflung im Herz hatte er gemerkt, dass sie immer stiller wurde, denn er schloss daraus, dass er sie langweilte und sie ihn am liebsten loswerden wollte.

Doch sollte Madam Lumholdt tatsächlich recht haben … Gab es wirklich Hoffnung für ihn?

Er schlug sich mit geballter Faust an die Stirn.

"Weiß Gott!", rief er aus. "Jetzt geht es um alles oder nichts … jetzt will ich um ihre Hand anhalten … und das noch heute!"

V

Eine halbe Stunde später klingelte Adjunkt Hammer beim Polizeidirektor.

Ein Dienstmädchen machte auf.

Ob die Familie zugegen sei?

Ja – das Fräulein sei zu Hause. Wenn der Adjunkt so freundlich wäre, einzutreten.

Im großen, herrschaftlich eingerichteten Wohnzimmer saß Fräulein Ankersen an einem der Fenster und stickte – von Sonnenlicht übergossen, in einem dunklen Hauskleid und mit einem kleinen Veilchenbukett an der Brust. Sie erhob sich rasch – ziemlich bleich – und grüßte den Adjunkten stumm, gebot ihm mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen, und setzte sich daraufhin wieder an ihre Arbeit, deutlich unruhig, und ohne ihn auch nur ein einziges Mal anzusehen.

Adjunkt Hammer wurde augenblicklich klar, dass sie die Absicht seines Besuches erahnte. Ihm kam auch erst jetzt in den Sinn, wie auffällig ihr dieser Besuch vorkommen musste, da sie einander vor kaum zwei Stunden gegrüßt hatten, – und dieser Gedanke nahm ihm sogleich den Mut.

Zugleich machte ihn der Anblick des Veilchenbuketts an ihrer Brust sofort misstrauisch und weckte all seine Unsicherheit und Zweifel aufs Neue. Waren diese Blumen von einem Herrn? Und mussten sie in diesem Fall nicht von einem sein, den sie gernhatte, ja, dem sie dieses sichtbare Zeichen ihrer Gunst zeigen wollte? … Sie saß doch am Fenster. Vielleicht wurde der Auserkorene hier beim Vorbeigehen erwartet, und da sollte er das Bukett sehen? Vielleicht war es ein abgesprochenes Zeichen, eine Entscheidung zu einem Rendezvous, ausgedrückt in Blumensprache … Welchen gültigen Beweis hatte er im Grunde dafür, dass er der Bevorzugte war? Madam Lumholdt! Eine alte Tratschtante, die von Kaffeetasse zu Kaffeetasse lief, mit einem Strickkorb voller Stadtgeschwätz. Und auf solch einen dummen Unsinn hatte er all seine Hoffnungen gebaut …

Mehrere Minuten lang saßen die beiden jungen Leute auf ihren Stühlen und versteckten in peinlichster Stille die Blicke voreinander. Adjunkt Hammer konnte kein Wort über die Lippen bringen. Die Zunge klebte an seinem Gaumen, und sein Herz klopfte so sehr, dass er befürchtete, sie könnte es hören.

Unter diesen Umständen war es eine Erlösung, dass der Polizeidirektor hereinkam – noch in Ausgehuniform – und noch deutlich unter dem Einfluss einer angeheiterten Mahlzeit im Verein, wo die Honoratioren der Stadt nach den Feierlichkeiten auf dem Marktplatz versammelt gewesen waren, um dem Landesvater im engeren Kreis zu huldigen. Sein großer Kopf errötete, ja, dampfte fast vom Wein, seine Stimme dröhnte, und seine kleinen Augen saßen steif im Gesicht, wie zwei glänzende Knöpfe.

"Guten Tag, mein lieber Herr und so weiter!", rief er sofort aus und umarmte den Adjunkten. "Ach, hier sitzen Sie und umgarnen meine Tochter, während wir unsere Bürgerpflicht erfüllen, wie es sich für loyale Untertanen gehört. Ich hoffe doch, dass Sie heute Vormittag drüben auf dem Marktplatz waren, Herr Jespersen –"

"Hammer –" korrigierte die Tochter halblaut vom Fenster, deutlich beschämt über den Zustand des Vaters.

"Hammer, meine ich natürlich –", fuhr der Polizeidirektor fort und lachte. "Ich sage Ihnen, mein lieber Herr Hammer … es hätte mich aufrichtig geschmerzt, wenn Sie nicht das Vergnügen gehabt hätten, die Rede unseres verehrten Bürgermeistes für das Vaterland zu hören. Ein oratorisches Meisterwerk, Herr Hannover –"

"Hammer", korrigierte die Tochter wieder, diesmal ziemlich laut.

"Ja, natürlich – Hammer, meine ich. Es freut mich außerordentlich, Sie zu sehen, mein lieber Herr Hammer", fuhr der Polizeidirektor fort und schüttelte ihm noch einmal herzlich die Hand. "Ich hoffe doch, dass Sie sich für den Vereinsball heute Abend haben anmelden lassen. Ich sage Ihnen, das wird großartig … eine ganz außerordentliche Veranstaltung! … Aber nehmen Sie doch Platz … nehmen Sie doch Platz, mein lieber Herr!"

"Danke, ich wollte gerade gehen", antwortete der Adjunkt, den die ausgelassene Lebhaftigkeit und der unaufhörliche Wortschwall des Polizeidirektors noch wirrer machten. Er setzte sich dennoch für einen Augenblick und nahm am Gespräch über das Fest auf dem Marktplatz und den bevorstehenden Ball teil – woraufhin er schnell aufstand und sich verabschiedete.

Fast stürzte er die Treppe hinunter, und als er mit großen Schritten die Straße eilte, drehten sich viele Leute nach ihm um. Es war, als ob er vor sich selbst weglaufen wollte, vor seiner Scham und seiner Niederlage. Er begriff nicht, wie es sich zutragen konnte, dass er, dem es doch ansonsten nie an Mut gefehlt hatte, der sogar die Dreistigkeit besessen hatte, die Beredsamkeit von Cicero selbst zu kritisieren – dass er seine Fassung so ganz verlor und mit Stummheit geschlagen wurde, sobald er diesem jungen Mädchen gegenüberstand und die Wärme ihrer kornblumenblauen Augen und den Schimmer ihres goldenen Haars förmlich spüren konnte.

So ging es nicht mehr weiter – er musste den mündlichen Versuch aufgeben und die Feder sprechen lassen. Noch heute wollte er ihr einen Brief schreiben, denn er fühlte, dass er es nicht aushalten konnte, noch einen einzigen Tag ohne Gewissheit zu leben.

Sobald er in seine Stube trat und ihm die erblühte Teerose am Fenster wieder ins Auge fiel, kam ihm ein Gedanke in den Sinn. Diese Blume, sein kleines Liebesorakel, das ihm so eng an alles geknüpft schien, was er im letzten Monat gedacht und gefühlt hatte – sie sollte auch seine Botin und Vermittlerin sein.

Schnell nahm er eine Schere vom Schreibtisch und schnitt die Blume ab. In einer Schublade fand er eine Schachtel aus Pappe, die er zur Hälfte mit Baumwolle füllte. Er legte die Blume hinein, bespritzte sie mit ein wenig Wasser, schob den Deckel darüber, band ihn mit einer Schnur fest und verschloss sie … alles in atemloser Hast, als dürfte er keine Zeit verlieren.

Daraufhin setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb schnell und ohne innezuhalten den Brief, der beigefügt werden sollte.

Als er mit dem Brief fertig war und ihn durchlas, wunderte er sich darüber, wie gut und natürlich ihm die Worte von der Hand gegangen waren. Hunderte lange Liebesbriefe hatte er in letzter Zeit gedanklich an Fräulein Ankersen komponiert, bald sorgfältige Darlegungen seiner Verhältnisse und Zukunftsaussichten, bald fast schwärmerische Ausbrüche mit Anrufungen ihrer Barmherzigkeit, ein paar sogar in Reimen … aber alles hatte er verworfen. Dieser Brief hingegen war gerade so kurz, klar und gleichzeitig so aufrichtig, wie er es wünschte. Er lautete:

"Fräulein Eleonora Ankersen!

Ich liege wohl kaum falsch, wenn ich vermute, dass Sie die Absicht meines heutigen Besuches begriffen haben. Ich glaube auch annehmen zu dürfen, dass Sie verstanden haben, warum ich nicht ausdrücken konnte, was ich Ihnen zu sagen wünschte. Ich fürchtete Ihren Zorn; mir fehlte der Mut, Ihrer Zurückweisung ins Auge zu sehen.

Erlauben Sie mir, mit diesen Zeilen die Frage fortzusetzen, über die ich schwieg. Ich habe mir die Freiheit genommen, diesem Brief eine Blume beizulegen, eine Rose, und bitte Sie, Fräulein, mir mit dieser zu antworten. Es ist die Blüte einer Pflanze, die meiner Mutter gehörte, mein einziges Erbstück von ihr. Wenn ich Ihnen nicht ganz gleichgültig bin, Fräulein – würden Sie dann diese Rose heute Abend an Ihrem Kostüm tragen? Habe ich Ihre Freundlichkeit und Nachsicht hingegen falsch verstanden, bitte ich Sie, die Blume sowie diesen Brief zu vernichten."

Herr Hammer nickte sich selbst zu, versiegelte den Brief rasch und rief nach Madam Lumholdt.

"Seien Sie so gut, Madam Lumholdt, und bringen Sie diesen Brief und diese Schachtel zu Fräulein Ankersen … aber schnell. Das ist nur eine altertümliche Handschrift, die das Fräulein zu sehen wünschte … aber mir wäre es am liebsten, dass Sie sie dem Fräulein höchstpersönlich übergeben."

"So soll es sein, Herr Hammer", sagte Madam Lumholdt, während sich das verschmitzte Lächeln wieder über ihr ganzes fülliges Gesicht ausbreitete. "So soll es sein … und ich bin ganz überzeugt davon, dass Fräulein Ankersen sich sehr darüber freuen wird, Herr Hammers alte Handschrift zu sehen."

VI

Es ist fast überflüssig zu sagen, dass Adjunkt Hammer als einer der allerersten Gäste beim Vereinsball ankam. Mit einem Chapeau bas unter dem Arm trat er fiebrig in den großen, gebohnerten Ballsaal und setzte sich rasch in eine Ecke ganz nah am Eingang, wo er – mit deutlichen Anzeichen höchster Beklemmung – sitzen blieb und Wache hielt, während die vornehmsten Bürger der Stadt hereinströmten.

Jedes Mal, wenn die Tür sich öffnete, wurde er bleich, und ein nervöses Zucken durchfuhr ihn, als würde ihm schwindeln. Mehrmals kamen Bekannte vorbei und grüßten ihn. Dann stand er auf, aber antwortete zerstreut, und ohne seinen Ärger über die Störung verbergen zu können.

Es war schon nach neun Uhr –, und Fräulein Ankersen war noch nicht da.

Endlich erschien sie am Arm des Vaters auf der Treppe, die zum Saal führte. Sie trug ein weißes Kleid mit einem breiten, blauen Band und vielen kleinen, blauen Schleifen auf der Brust, über den Schultern und auf der Vorderseite des Rocks.

Adjunkt Hammer war aufgesprungen. Mit aufgerissenen Augen sah er durch die Brille nach seiner Rose. Er suchte an ihrem Haar, auf ihrem Busen, in ihrer Hand, auf ihrem Kleid … doch sie war nirgends zu finden.

Im gleichen Moment rauschten die ersten Musiktöne von der anderen Seite des Saals herbei und stifteten wilde Verwirrung in der lärmenden Menschenmenge. Adjunkt Hammer nahm sich gerade die Zeit, zu sehen, wie ein Schwarm von Herren – und darunter Rittmeister Rosen – rasch Fräulein Ankersen umringte, um sie zum Tanz aufzufordern. Dann verließ er seine Ecke und schlich still die Treppe hinauf.

Im angrenzenden Zimmer traf er einen seiner Kollegen aus der Schule.

"Aber lieber Hammer!", rief dieser aus. "Was ist los, Sie sehen ja aus … sind Sie krank?"

"Nein, nicht wirklich … ich glaube, ich gehe nach Hause."

"Ach, Papperlapapp … kommen Sie herein und nehmen Sie ein Glas Portwein, dann geht es bestimmt vorüber."

"Nein danke … ich glaube, ich gehe."

"Nein, bloß nicht, so weit kommt es noch", sagte der andere und zog ihn trotz seines Widerstands mit ins Lokal.

Dort blieb Adjunkt Hammer eine Stunde lang und trank ein Glas nach dem anderen, um seinen Schmerz zu betäuben. Als er mit seinem Kollegen eine Halbe Flasche geleert hatte, erhob er sich und sagte mit einem plötzlichen Trotz, der den anderen stutzen ließ:

"Hören Sie, lassen Sie uns heruntergehen und tanzen … jetzt geht es mir wieder besser. Ich will mir einen richtig schönen Abend machen … Prost, Kollege!"

Sie tranken ihre Gläser aus und gingen zum Ballsaal, wo fast alle Paare auf dem Parkett einen Tanz mit "gewöhnlicher Inklination" vollführten.

Hier hatte es jedoch etwas Aufmerksamkeit erweckt, dass Fräulein Ankersen an diesem Abend – anders als sonst – sehr zerstreut und ernst wirkte. Sogar während des ersten Tanzes, als Rittmeister Rosen ihr wie ein Kavalier Gesellschaft geleistet und sich offensichtlich mit all seinen Fähigkeiten bemüht hatte, unterhaltsam zu sein, saß sie stumm da, mit zusammengepressten Lippen, und blickte sich ängstlich im Saal um, als ob sie jemanden suchte. Es erregte daher doppeltes Aufsehen, dass sie, gerade als sie inklinieren sollte und Adjunkt Hammer sich auf der Treppe zeigte, rasch zu ihm ging und sich verneigte.

Sie hatte sehr rote Wangen und blickte nicht auf. Er stand einen Augenblick unschlüssig da – verbeugte sich dann sehr steif und begann mit ihr zu tanzen.

Lange schwieg er, obwohl er ihr Herz heftig pochen spürte. Erst beim zweiten Durchgang sagte er:

"Sagen Sie mir, Fräulein Ankersen … Tun Sie das aus Mitleid?"

"Ich weiß nicht, was Sie meinen", stammelte sie, kaum hörbar.

"Ich meine … forderten sie mich zum Tanz auf, um mich zu trösten?"

"Nein."

"Aber, wenn ich fragen darf, Fräulein … haben Sie keinen Brief von mir bekommen?"

"Doch."

"Und eine Blume?"

"Ja."

"Aber dann verstehe ich nicht – –"

Er wurde vom Tanzmeister unterbrochen, der in die Hände klatschte und rief: "Große Runde … für den Schneckentanz!"

Die Paare nahmen sich an den Händen und bildeten entlang der Wände eine lange Kette. Unter der Führung des Tanzmeisters wurde diese hundertgliedrige Menschenschlange die Treppe hinaufgeführt und mit stürmischer Munterkeit durch alle Vereinsräume gezogen, sowohl im ersten als auch im zweiten Stock, ja, bis nach ganz unten ins Parterre, um von hier zurück in den Ballsaal geführt zu werden.

Adjunkt Hammer und Fräulein Ankersen bildeten eine Art Schluss oder Schwanz. Als sie während des wilden Andrangs in ein kleines Zimmer kamen, das im Augenblick leer war, ließ Herr Hammer das Paar vor ihm plötzlich los und befreite damit sowohl sich selbst als auch seine Dame von dem lärmenden Menschenzug.

"Aber Herr Hammer! Was machen Sie?", rief die junge Frau bang.

"Fräulein Ankersen!", stammelte der Adjunkt und griff nach ihren Händen. "Ich halte diesen Zustand nicht aus … Sie müssen mir sagen, was Sie für mich empfinden … bin ich Ihnen ganz … ganz gleichgültig?"

Sie drehte sich weg und antwortete nicht.

"Nein", flüsterte sie dann, als sie merkte, dass er gehen wollte.

"Ist es möglich? Sagen Sie die Wahrheit? … Kann es wirklich … ist es wirklich wahr, dass Sie mich ein wenig gernhaben? … Nein, nein, es ist nicht wahr … Sie sagen es nur, um mich zu trösten … Warum tragen Sie sonst nicht meine Rose, wie ich Sie gebeten habe?"

Sie hob den Kopf und sagte schnell:

"Sie dürfen nicht wütend sein, – aber das konnte ich nicht …" Und kurz danach fügte sie hinzu, mit dem Anflug eines Lächelns und unter Tränen: "Ich konnte doch keine gelbe Rose zu meinen blauen Bändern tragen."

"Ach herrje! Daran habe ich nicht gedacht! Und das ist der wahre Grund … Sie haben mich wirklich gern? … Sie wollen mir Ihre Hand geben … Sie wollen meine Ehefrau werden … wollen Sie? … Wollen Sie?"

"Ja", flüsterte sie, senkte den Kopf und reichte ihm mit einer scheuen Bewegung ihre Hand.

In diesem Augenblick tauchte Rittmeister Rosen in der Tür auf.

"Oh! – Entschuldigung! – Ich störe wohl!", rief er, offenbar sehr bestürzt, und wollte wieder gehen.

Doch der Adjunkt rief ihn zurück. Strahlend vor Glück sagte er:

"Herr Rittmeister! Darf ich Ihnen Fräulein Ankersen vorstellen – meine Verlobte."

Der geschlagene Rivale fing sich in seiner Verwirrung rasch und elegant wie ein erprobter Krieger. Er trat einen Schritt näher und sagte:

"Herr Adjunkt! Erlauben Sie mir, Sie zu beglückwünschen. Wirklich! Jetzt haben Sie wahrhaftig die große Goldmedaille gewonnen!"

 
[1] "Adjunkt" ist im Dänischen die Berufsbezeichnung für einen Gymnasial- oder Universitätslehrer, der noch am Anfang seiner beruflichen Laufbahn steht. tilbage