Noch ein paar Randbemerkungen

Briefe von Landsleuten

(Veranlasst durch den Beitrag der Pastoren Andersen und Beyer in der dänischsprachigen Tageszeitung Flensborg Avis.)

[40] Unsere Pastoren sind ein wunderlich pingeliger Volksschlag. Jeden Sonntag eifern sie von der Kanzel gegen Andersdenkende – was sie ja auch sollen; und viele von ihnen schrecken in ihrem Ehrgeiz nicht davor zurück, jeder Abkehr von der reinen Lehre der Kirche die schmutzigsten Motive zu unterstellen. Aber sobald sie selbst ein wenig in die Kritik geraten, sind sie beleidigt und schreien auf, als ob ein Sakrileg begangen worden sei. Es ist wieder ein Beweis dafür, wie tief wir im unklaren Pharisäertum stecken, dass sich so viele sonst ehrwürdige Pastoren in einer solchen Situation sofort mit der Kirche in ihrem sakrosankten Alter identifizieren und somit den Anschein erwecken, dass der Angriff in Wahrheit dieser gelte.

Auf der anderen Seite wirkt es auch nicht immer besonders ansprechend, wenn ein milder Prediger seinem brüderlichen Mitgefühl für die Unglücklichen, die mit ihrer Abkehr in seinen Augen den Frieden und alles wahre Glück im Leben verwirkt haben, Ausdruck verleiht. So aufrichtig und wohlgemeint eine solche Rede auch sei, besitzt sie doch als notwendige Voraussetzung eine nicht geringe Portion pharisäische Selbsterhöhung. Die meisten derer, denen er auf diese Weise sein nachsichtiges Mitleid schenkt, wollen sich einzig aus diesem Grund davon befreit bitten. Und ist das verwunderlich? Lasst den Ungläubigen eine noch so geringe Person sein, er kann sich doch damit trösten, dass er auf jeden Fall davor gesichert ist, als ein Scheinheiliger in sein Grab zu gehen, und das ist doch immerhin etwas in einer Zeit und einer Gesellschaft, die derartig mit Heuchelei verseucht ist wie unsere. Wenn man es so betrachtet, ist es möglicherweise gar nicht so wenig. Für ihn ist dies vielleicht gerade das Entscheidende.

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[41] Natürlich ist nicht jeder richtende Pastor ein Pharisäer. Aber die Gefahr es zu werden lauert jedem Menschen auf, der glaubt, bloß ein klein bisschen besser als die allerschlimmsten Räuber zu sein.

Henrik Pontoppidan