Die Theater

Dagmartheater1: Grenzvolk2. Ein Volksschauspiel in drei Akten von Oscar Madsen. Inszenierung von P.A. Rosenberg.

Die Gesellschaft, die das Publikum im Dagmartheater gestern Abend zu sehen bekam, war nicht besonders vornehm. Ebenso wenig nüchtern. In allen drei Akten sitzen um eine stundenglasförmige Schnapsflasche herum die gleichen vier Trunkenbolde, deren mehr oder weniger amüsante Gespräche, Schwüre und Streitereien den wesentlichen Inhalt des Stückes auszeichnen. Natürlich gibt es auch eine Intrige; aber sie interessiert weniger, obwohl sich ein hinterhältiger Überfall und die Festnahme eines unschuldigen Verdächtigen ereignen. Dahingegen trägt einer der Schnapstrinker – Søren Rask, gespielt von Herrn Kornbech – im dritten Akt einen unvergleichlichen Sonntagshut, auf dem eine Weile alle Aufmerksamkeit lag, und Herr Emanuel Larsen erschien als alter Schurke mit dem Beinamen "Pip" so durchsetzt von altem Schmutz und Spiritus, dass man meinte, ihn förmlich bis in den Zuschauerraum riechen zu können.

Die Handlung ereignet sich bei einem rotnasigen Bahnwärter außerhalb Kopenhagens in einer Gegend zwischen Stadt und Land, einem Zufluchtsort für umherstreifende Existenzen aller Art. Einige Vertreter dieses "Grenzvolks" finden eine Bleibe bei diesem Bahnwärter. Gemeinsam mit seiner äußerst beschränkten Frau hat er eine Tochter, Henny, die Schauspielerin im Vorstadttheater ist. Das kann sich hören lassen. Umso schwieriger zu verstehen ist es, dass sie in dieser Position und mit der Erziehung, die ein solches Heim ihr mitgegeben haben muss, so unschuldig und rein bleiben konnte, wie sie selbst und die anderen ständig sagen, besonders da sie schön und sehr begehrt ist und ihre eigene Mutter diese Ehrbarkeit keineswegs würdigt, sondern sie ganz im Gegenteil in ihrer Einfältigkeit dringlichst dazu auffordert, sich mit den feinen Herren einzulassen. Und am allerschwierigsten ist es zu fassen, woher sie diese Würde hat, die sie in all ihrem Treiben zum Ausdruck bringt. Von ihren Freunden, den feinen3 Saufbrüdern, kann all das nicht kommen. – Doch wie auch immer, sie ist ein Engel, stolz, ehrsüchtig, feinfühlig, eine Halbschwester der Edith aus Verschrieben4 und den anderen "Frauen des Volkes" aus Drachmanns späterer Dichtung, die Grenzvolk nicht wenig beeinflusst hat. Besonders fühlte man sich während der Aufführung an Gaukler5 erinnert.

Der Liebhaber des Stückes ist ein junger, reicher Fabrikantensohn, der sich in die schöne Bühnensängerin verguckt hat, die jedoch nichts von seinen Bittstellungen hören will. Im ersten Akt sieht man die beiden eines schönen Sommerabends vor dem Gartentor des Schrankenhauses Abschied nehmen; und wie er sie mit einem langen Händedruck verlässt, merkt man, dass es nicht von Herzen kommt, wenn sie auf sein Werben mit Nein antwortet. Doch nun kommt die Katastrophe. Als der junge Mann sich auf den Heimweg begibt, wird er von einem Straßenräuber überfallen, ausgeraubt und von Herbeieilenden halbtot zum Bahnwärter gebracht. Doch wie das Unglück es will, treibt der sich gleichzeitig betrunken herum und kommt später mit einer blutigen Hand nach Hause getorkelt. Da sich außerdem herausstellt, dass er dem Fabrikantensohn kurz zuvor gedroht hat, weil der seiner Tochter nachläuft, wird er als Täter verdächtigt und vier Polizisten aus dem nördlichen Birk kommen anmarschiert, um ihn festzunehmen.

Diese Szene war recht wirkungsvoll und Herr Lindstrøm als Bahnwärter spielte mit einer Zurückhaltung, die ihm alle Ehre machte. Insgesamt war es nicht zuletzt Verdienst der Schauspieler, wenn das Stück Anklang fand. Herr Neiiendam als junger Liebhaber und besonders Fräulein Blad als freiheitsliebende Tochter des Bahnwärters spielten beide schön und verständig, auch wenn sie die Figur nicht glaubhafter machen konnte, als sie es aus der Feder des Autors ist. Eine breitere, derbere Spielweise, eine stärkere Betonung der Zigeunernatur in jenem stolzen Mädchen von "der Grenze", das zuletzt geraderaus die Hand des reichen Mannes ablehnt, weil sie ihre ungebundene Freiheit nicht loslassen will, hätte sicherlich einem Teil der Unglaubwürdigkeit Abhilfe verschaffen können.

Der letzte Akt wirkte am schwächsten. Als sich der Vorhang hebt, sitzt der Bahnwärter, noch am Ende des vorigen Aktes festgenommen, von jedem Verdacht befreit wieder am Branntweintisch. In diesem Stück sitzen die Knoten so locker, dass sie sich von selbst lösen. Das Publikum war von dieser schnellen Rechtsverfolgung sichtlich enttäuscht. Glücklicherweise rettete Herr Sofus Neumann die Situation, indem er in der letzten Szene des Stückes als höchst putziger Direktor eines Vorstadttheaters auftrat, und der Vorhang fiel unter lebhaftem Beifall.

Grenzvolk hat keinen literarischen Wert und erhebt auch kaum Anspruch darauf. Es ist aber ein harmloses Werk mit einigen zum Lachen bringenden Karikaturen und ein paar witzigen Wortwechseln. Dazu hat es den Vorteil, bloß zweieinhalb Stunden zu dauern.

H. P.

 
[1] Theater in Kopenhagen, 1937 geschlossen. tilbage
[2] Eigene Übersetzung des Originaltitels "Grænsefolk". Das Drama wurde nicht ins Deutsche übersetzt. tilbage
[3] Im Dänischen fine. Vermutlich ein Druckfehler der Zeitung für fire, die Zahl Vier. tilbage
[4] Ein Roman von Holger Drachmann, erschien in der Originalausgabe unter dem Titel "Forskrevet" 1890. Die deutsche Übersetzung erschien 1904. tilbage
[5] Eigene Übersetzung des Originaltitels "Gøglere", Drachmanns nie aufgeführtes Schauspiel von Dezember 1893. tilbage