Die Theater

Dagmarteatret1: Angelo, Tyrann von Padua, Drama in 5 Akten von Victor Hugo, in der Übersetzung von P.A. Rosenberg.

Jedem, der beabsichtigt, Victor Hugos fünfaktiges Drama zu sehen, sei empfohlen, seine Nerven ein wenig darauf vorzubereiten. Denn im Leben wie im Theater sind wir dieser Tage wohl einen derart todeseisigen Hauch aus dem Reich der wildesten Schrecken kaum gewohnt, der selbst einem Glatzköpfigen die Haare zu Berge stehen lässt. Man würde sogar gut daran tun, vorab eine Nacht in seinem Kohlenkeller oder auf einem Friedhof zu verbringen und ein paar frische Studien im Schlachtstall des Kvægtorvets2 zu unternehmen.

Schon im ersten Akt von Angelo bedarf es aller Nervenstärke. Es riecht nach Blut und Gift. Man ahnt den Hinterhalt und die Verkleidung, hört von geheimen Gängen und heimlichen Falltüren – kurzum: man merkt sofort, dass es sich um ein Drama im großen Stil handelt. Und man wird nicht enttäuscht.

Von Szene zu Szene steigern sich im Laufe aller fünf Akte Schrecken und Spannung, bis sich in der Schlussszene die Toten aus dem Grab erheben, und das Kruzifix mit dem Opferblut eines Freudenmädchens benetzt wird. Was will man mehr.

Ja, nun ist gerade das Unglück, dass man trotzdem nicht befriedigt ist. Es ist die Schwäche der Schreckensdramen, dass sie, wenn sie einmal unseren Blutdurst geweckt haben, dennoch diesen nicht stillen können. Wir gewöhnen uns so schnell an das Grauen, dass die Handlung nicht mitkommt. Schon im dritten Akt gehen uns die Morde zu langsam vor sich.

Wir finden, dass zu lange über sie gesprochen wird. Einzig der Anblick des Scharfrichters mit der entblößten Axt, gefolgt vom Abdecker mit seinem Korb vermögen letztlich unser Interesse zu fangen. So war es auch hier. Die ungeteilte Sympathie des Publikums gewannen zum Schluss die zwei kaltblütigen Banditen, die davon leben, die Leichen aus dem Fluss zu fischen und im Übrigen in Heiterkeit für einen Golddukaten bereit sind, alle sieben Todsünden gewissenlos zu begehen.

Doch das ist wirklich bedauerlich. Denn besonders gegen Ende birgt das Stück ein paar sehr schöne Szenen zwischen den Liebenden, deren Poesie man vor Gemütserregung nun nicht mehr genießen konnte. Der Sinn mag wohl gewesen sein, dass der Atem reiner, tiefer und heiliger Liebe inmitten des vielen bluttriefenden Hasses, giftiger Arglist, verdorbener Laster doppelt wohltuend wirken sollte.

Den Romantikern war ja sehr daran gelegen, durch Gegensätze Wirkung zu erzielen, aber nicht immer war ihnen bewusst, dass man dabei riskiert, die Eindrücke ebenso oft zu vermindern wie zu verstärken. In Angelo tritt der Engel zu oft aus der einen Tür hinaus, während der Teufel vor der anderen auf sein Stichwort wartet.

Es ist kaum möglich, zu später Abendstunde die vielschichtige Intrige des Stückes nachzuerzählen. Die Vorstellung zog sich bis halb Zwölf hin und sollte meines Erachtens gekürzt werden. Deswegen bloß ein paar Worte zu den Schauspielern. Im zweiten Akt gab es eine Reihe Szenen, die Dank Frau Riis' tatkräftigem Schauspiel, von großer Wirkung waren. Sie spielte Thisbe, die Schauspielerin, das Freudenmädchen, das Rudolf liebt und eines Nachts durch Verrat die Gelegenheit bekommt, diesen bei seiner Geliebten zu überraschen, die keine geringere ist als die Gemahlin des Podestas Angelo Malepieri, dem Tyrannen von Padua.

Man befindet sich in dessen Schlafzimmer. Zur einen Seite ist die Tür zum Schlafgemach des Bluthundes, zur anderen [Seite] die zum Betstübchen der Gattin, in dem Rudolf zuvor versteckt wurde. Eine recht spannende Situation also. Noch spannender wird es, weil Thisbe, von demselben Tyrannen geliebt und begehrt, diesen nun in ihrer Wut wecken und hineinrufen will, um sich zu rächen. Diese rachedurstige Furie, die das Blut ihrer glücklichen Nebenbuhlerin sehen will, spielte Frau Riis mit einer Leidenschaft, die wirklich überzeugend wirkte und das Publikum zu großem Applaus hinriss.

Alles in allem gaben die vielen stürmischen Szenen reichlich Gelegenheit zu einem kühnen Sichhingeben – das aber machte sich nicht jeder zunutze, am wenigsten Fräulein Blad als Herzogin, und am allerwenigsten Herr Vilhelm Wiehe. Ihm fehlte der rechte Stil, die Maske war gut; doch verbarg sich hinter dieser alles und nichts.

Herr Emanuel Larsen hingegen verdient großes Lob für seinen Homodero, auch wenn er sich in dieser Rolle von keiner neuen Seite zeigte. Der Schurke war schon immer sein Fach. Hingegen war Herr Neiiendam nicht ganz so trefflich, wie es diesem äußerst begabten Schauspieler für gewöhnlich gelingt. Etwas Krampfhaftes prägte seine letzte große Mordszene, zu viel Komödiantisches, zu viele Gesten. Alles in allem glaubte man ihm den ganzen Abend über nicht recht.

Abgesehen davon kam das Stück gewiss gut an. Aber es wirkte – wie schon erwähnt – zu lang. Dennoch wurde eifrig applaudiert, als es endete und die Schauspieler hervorgerufen wurden.

Henrik Pontoppidan.

 
[1] Dagmarteatret: Bis zu seiner Schließung 1937 Theater in Kopenhagen. tilbage
[2] Kvægtorvet: Marktplatz in Kopenhagen, der 1879 eröffnet wurde und als Viehmarkt diente. tilbage