Faultiere

Die Altersversorgung der Armen ist im Moment eine brennende Angelegenheit. Das wurde auch Zeit. Viel zu lange haben wir alte, rechtschaffene, erschöpfte Arbeiter mit Vagabunden, Trunkenbolden und Verbrechern gemischt und sie in Kasernen untergebracht – den auf dem Land sogenannten "Arbeitshäuser" – wo sie ihre letzten Tage unter solch Zucht und strenger Disziplin verleben, als gälte es eine Kompanie Soldaten zu erziehen.

Man kann sich nur schwer übertriebene Vorstellungen von dem Schrecken machen, der sich im Gesicht eines armen Hausmanns abzeichnet, erwähnt man bloß das "Arbeitshaus". Dies ist für ihn das große, unvermeidliche Gespenst, in dessen unbarmherzigen Knochenarmen er einmal den Tod finden soll.

Jedoch kann man nicht leugnen, dass ebenso oft, wie man Gelegenheit hat, sich im Namen der Menschheit über die mehr als stiefmütterliche Behandlung alter, rechtschaffener Arbeiter durch die Gesellschaft zu schämen – man sich ebenso oft über die Humanitätsduselei ärgert, die gegenüber Faultieren und Trunkenbolden gezeigt wird.

In Kopenhagen hat man die Versorgungsberechtigten wohl ungefähr ermittelt. Es gibt "Almindeligheden"1 für die Schwachen, "Ladegaarden"2 für die Vagabunden. Aber ich glaube – vielleicht zu Unrecht – dass die meisten den Aufenthalt in Letzterem dem Dasein in Ersterem vorziehen würden.

Auf dem Land hat man Schafe und Böcke in dieselbe Hölle gesteckt. Aber diese ist für letztere nicht annähernd so heiß wie für erstere. Von den Alten und Schwächlichen weiß man in den Arbeitsanstalten, dass man sie den Rest ihres Lebens hat, und man unternimmt keine übertriebenen Anstrengungen, diese Lebenszeit über angemessene Grenzen hinaus zu verlängern. Im Gegenteil. Die Faultiere hingegen – bei diesen hat man immer die Hoffnung, dass sie einmal in sich gehen und den Kampf ums Dasein ernsthaft aufnehmen. Es gilt daher, ihnen nicht durch zu strenge Behandlung den Mut dazu zu nehmen. Auch müssen sie stets in einem passenden kräftigen Arbeitszustand gehalten werden, damit die Lust sich zu betätigen in ihnen erwachen kann. Während die alten Leute den ganzen Tag im Haus Schilfmatten binden, harken die Faultiere deshalb im Garten Pfade, tragen Wasser, helfen den Dienstmädchen und beschäftigen sich mit allerlei angenehmen Topfguckertätigkeiten.

Ich kannte einmal einen jungen Landarbeiter. Niemand hätte ihn vom Aussehen her für ein Faultier gehalten. Er war groß, blond, mit einem schönen, ziemlich wachsamen Gesicht und flinken Manieren. Aber arbeiten wollte er nicht. Ein paar Jahre nach seiner Hochzeit meldete er sich mit Frau und drei Kindern im Arbeitshaus, weil "er sich nicht ernähren könne". Ein paar Jahre lebte er dort mit der Familie auf Kosten der Gemeinde. Dann befand der Vorstand, dass es auf Dauer doch etwas zu teuer würde; – der Inspektor sprach ihm gut zu, der Propst hielt eine kleine Predigt, und zuletzt willigte der Mann darin ein, dass die Gemeinde ihm ein Haus mietete, Bettzeug und Möbel kaufte und die ganze Familie einkleidete. Er zog darauf in sein neues, einladendes Zuhause ein, sogar mit ein wenig Kleingeld "für den Anfang." Aber der Mann dachte nicht daran, Arbeit zu suchen. Er verbrauchte in Ruhe das Geld, verkaufte später Möbel, Bettzeug und die Kleidung der Kinder – und meldete sich dann wieder im Arbeitshaus.

Ein anderes Beispiel aus demselben Ort:

Dort wohnte eine arme Witwe. Sie hatte drei oder vier erwachsene Töchter, die über die ganze Gemeinde verteilt als Dienstmädchen arbeiteten. Regelmäßig einmal im Jahr – manchmal öfter – kam eines von ihnen zur Mutter nach Hause, um dort ein Kind zu gebären. Sobald die Sache überstanden war, blieb das Kind bei der Mutter, während die Tochter munter zurück in ihre Verhältnisse zog. Nach und nach sammelte die Mutter sechs oder sieben Kinder ihrer Töchter, deren Väter nur selten mit Gewissheit bestimmt werden konnten; und so gut wie alle Ausgaben für die Erziehung der Kinder oblagen daher der Gemeinde. Vergeblich versuchte der Gemeinderat, die fröhlichen Mädchen zu überreden, ihre erotischen Neigungen zu zügeln. Sie antworteten nur, dass sie gerne ihre Kinder zu sich nähmen; aber dann müssten auch sie sich sofort zur Versorgung durch die Gemeinde melden. Daraufhin befand man es für das Beste, stillzuschweigen und sich in das Unvermeidliche zu fügen.

Ungeheuer gewitzt stellte sich ein anderer an, ein älterer Mann, über den man einmal eine Geschichte schreiben sollte.

Er war ein geborenes Faultier. Sein ganzes Leben bestand aus dem Bemühen, andere dazu zu bringen, ihn durchzufüttern. Schon seit jungen Jahren gehörte er zum festen Bewohnerstamm des Armenhauses. Erst als man dort aufgegeben hatte, ihn zu einem besseren Menschen zu machen und ihm deshalb eine härtere Behandlung und ärmere Kost zukommen ließ, bat er darum, entlassen zu werden. Jetzt würde er schon zurechtkommen, versprach er. Dann heiratete er ein Hausmädchen, das mit einem verheirateten Mann ein wenig in Verlegenheit geraten war. Er selbst bekam mit ihr im Laufe weniger Jahre mehrere Kinder. Alles aus Berechnung. Er wusste nämlich, dass ihn die Gemeinde, solange er unkonfirmierte Kinder hatte, nicht mit der ganzen Familie im Arbeitshaus haben wollte – und so konnte er nach Herzenslust die Gemeindekasse anzapfen und gleichzeitig seine Freiheit haben. Ein paar Mal hatte der Gemeinderat wohl versucht, von seinem Recht Gebrauch zu machen, ihm die Kinder zu nehmen; aber da alle Menschen die böse Zunge des Mannes fürchteten, hatte niemand sie in Pflege nehmen wollen.

Dann kam endlich der Zeitpunkt, als er aufgrund von Trinkerei und Müßiggang keine Kinder mehr bekommen konnte, obwohl seine Frau noch verhältnismäßig jung war – sehnsüchtig sah der Gemeinderat nun dem Augenblick entgegen, in dem auch seine Jüngsten dem Kindesalter entwachsen würden. Dann könnte doch endlich das Beil fallen und das Arbeitshaus sich öffnen.

Aber als der Zeitpunkt näher rückte und der Gemeindevorstand schon zu drohen begann, wandte sich das verschlagene Faultier an einen jüngeren, kräftigen Hausmann in der Stadt und bat ihn gegen eine angemessene Entschädigung der Liebhaber seiner Frau zu werden. Dieser überlegte ein wenig, aber willigte schließlich ein. Die Frau sträubte sich wohl eine Weile dagegen, als ihr Mann sie in seinen Plan einweihte; und eine Woche lang wurden offenbar – dies sei zur Ehre der Frau gesagt – ziemlich heftige Gefechte im ehelichen Heim ausgetragen. Aber als sie einsah, dass der Vorschlag des Mannes trotz allem der letzte Ausweg war, wenn das Arbeitshaus vermieden werden sollte, gab sie letztlich auf.

Einige Monate später wanderte das Faultier schmunzelnd in der Stadt herum und berichtete von einer glücklichen Begebenheit, die bald in seinem Heim bevorstünde. Der Herrgott habe wieder einmal seine Ehe gesegnet, und er fühle sich begnadigt. Zuletzt ging er zum bestürzten Armenhausvorsteher und bereitete ihn darauf vor, was erwartet wurde – schließlich sollte es zu diesem Anlass ja eine etwas größere Hilfe geben – ein wenig neues Bettzeug für die Frau, ein wenig Kleidung für das Kind usw.

Seine Frau hat seitdem drei oder vier Kinder mit unterschiedlichen Männern bekommen, und es besteht keine Aussicht darauf, dass der "Segen" aufhört. Aber der Mann geht mit siegesstolzer Miene umher und ist vor lauter Glück und Wohlleben ganz fett geworden.

**
*

Jeder, der mit einem Armenhausvorsteher etwas näher bekannt ist, wird Beispiele dieser Art von Individuen gesehen haben, die das Brot aus dem Mund derjenigen stehlen, die wirklich bedürftig sind.

Falls wir jetzt eine humane Altersversorgung bekommen, wäre es deshalb gut, wenn wir zugleich eine kräftige Wehr gegen die Faultiere bekämen.

H. P.

 
[1] Almindeligheden: eigentlich: Almindeligt Hospital (Allgemeine Krankenhaus). tilbage
[2] Ladegaarden: Zwangsarbeitshaus für Arme und Obdachslose. Der Hof diente ürsprunglich als Wirtschaftsgebäude ("ladegård") für Schloß Kopenhagen. tilbage