Vom Land

Tagebuch

Ich komme gerade vom Land.

Eigentlich sah es dort ziemlich schlimm aus. Die Wolken jagten am Himmel entlang, schleppten sich halb zur kahlen Erde hinunter und verdeckten immer wieder die Sonne. Der Sturm spielte mit vollem Orchester, flötete, zischte und trommelte. Pausierte er einen Moment, setzte direkt der Regen fort.

Aber ehemaligen Landbewohnern ergeht es mit Äckern und Wiesen genauso, wie ehemaligen Schauspielern mit der Bühne. So wie sich jemand, der bloß einmal auf der Bühne gestanden hat, sein Leben lang danach zurücksehnt, selbst wenn er dort noch so viele Qualen erlitten hat und nach allen Regeln der Kunst ausgepfiffen wurde – genauso zieht es auch den, der sich bloß einmal zwischen Graben und Weidenholz zu Hause gefühlt hat, immer heimlich zu diesem Fleck zurück, selbst wenn der Graben sauer stank und das Weidenholz verfault und voller Gewürm war.

Vielleicht liegt es daran, dass eine Stadt wie z.B. Kopenhagen immer noch etwas schlimmer stinkt und es dort noch mehr vor Gewürm wimmelt.

Genug gesagt! – –

Im Sommer ist Kopenhagen ein Backofen, in dem man um Luft ringt. Und im Winter, besonders im Herbst?

Wenn der Wind die Straßen rein fegt, geht es noch einigermaßen. Aber kommt auch nur ein kurzer Schauer, verwandelt sich die ganze Stadt in einen Morast, einen riesigen Schlammvulkan, in dem Wagenräder, Hunde und Fußgänger jedem, der sich vor seine Haustür wagt, den Schmutz um die Ohren spritzen. Selbst in den Hauptstraßen der Stadt sammelt sich das Wasser mitten auf dem Bürgersteig und den Fahrbahnen in so großen und tiefen Pfützen, dass man die Geschichte gut glauben könnte, dass einmal ein Kind darin ertrunken sei. Über den makadamisierten1 Wegen der Vorstadt liegt ein graubrauner, wogender Brei, der keinen Boden zu haben scheint. Hat man das Pech, seinen Stock in dieses Meer fallen zu lassen, sieht man ihn nie wieder.

Es gibt keine Stelle, wo man einigermaßen trockenen Fußes gehen kann. In dieser Stadt, in der es jeden zweiten Tag regnet, sind immer noch keine einzige Straße und kein Platz überdacht, und es gibt keine anderen Bogengänge als die abseits bei Christiansborg liegenden.

Es verwundert mich, dass die Mode – die sich doch so oft dem Drange des Augenblicks anpasst und z.B. in kargen Zeiten Herrenhandschuhe abschafft und die Schleppe von Damenkleidern abnimmt – es verwundert mich, dass die Mode hier in Kopenhagen keine Holzstiefel vorgeschrieben hat. In dieser Stadt, deren Einwohner mit Galoschen an den Füßen und einem Regenschirm unterm Arm geboren werden sollten, wäre ein Paar Holzstiefel das passende Konfirmationsgeschenk.

Es ist also kein Wunder, dass man hier so oft nach der Natur seufzt, die – im Gegensatz zu den Städten – oft als "Gottes" bezeichnet wird. Im Vergleich mit der Hölle, die Kopenhagen dieser Tage bietet, ist die Natur wirklich rein göttlich.

Wie sehr es auf dem Land auch regnet, bläst oder heult – man hat doch nie das unheimliche Gefühl, in aller Art Schmutz zu ertrinken, wie hier in der Königsstadt Kopenhagen.

Und es besteht keine große Hoffnung, dass es hier zu unseren Lebzeiten noch einmal gemütlicher wird.

Urbanus

 
[1] makadamisierten: Der Asphalt der damaligen Zeit, nach dem schottischen Straßeningenieur John L. McAdam (1756-1836) benannt. tilbage