Tagebuch

Ich verspüre heute so etwas wie Stolz. Ich habe es geschafft, ein daumendickes Werk namens "Joppe" zu Ende zu lesen, ein Roman1 von E. Christiansen.

Es ist sicher ein bemerkenswerter Fleiß mit diesen fast 400 engbedruckten Seiten einhergegangen. Trotzdem kann ich nicht glauben, dass der Autor mit seiner Veröffentlichung Vergnügen haben wird. Ihm fehlt noch fast ganz die Fähigkeit, so zu schildern, dass man sieht und so zu erzählen, dass man miterlebt.

Es ist für einen jungen Autor nicht schändlich, keine Romane schreiben zu können und niemand verurteilt Einar Christiansen, weil dieses Buch fehlgeschlagen ist. Charles Dickens riet jungen Autoren beständig davon ab, sich an große Werke heranzuwagen. "Dazu gehört jahrelange Übung"2. Der Autor von "Joppe" scheint indes nicht die geringsten Zweifel an seinen Fähigkeiten zu haben. Es lässt sich keinerlei jungfräuliche Verzagtheit oder Unsicherheit in seinem Buch entdecken. Er ist offenbar mit dem festen Glauben, dass es genau so in Angriff genommen werden solle, an sein Werk herangegangen.

Einar Christiansen hat bisher einige unterhaltsame Schauspiele veröffentlicht. Da es nun mal eine alte Weisheit ist, dass das Drama die höchste Form der Dichtkunst ist, hat er wahrscheinlich geglaubt, dass es mit fünf bis sechs Schauspielen auf dem Buckel ein Leichtes sein würde, einen Roman zu schreiben.

Aber das ist ein Missverständnis.

Mit etwas Kreativität und der Hilfe von einem halben dutzend Witzen, kann man zur Not ein törichtes Drama schreiben, das – aufgeführt von tüchtigen Schauspielern – auf der Bühne dennoch ganz hervorragend wirken kann. Arnesens "Et Rejseæventyr" ("Ein Reiseabenteuer")3, das neulich veröffentlicht wurde, ist purer Unsinn. Trotzdem ist das Stück viele Male aufgeführt worden, und das immer zur großen Erheiterung des Publikums.

In einem Roman, oder generell einer Schilderung in Erzählform, hat man dagegen den Autor direkt vor sich. Hier kann er sich nicht hinter der Kulisse verstecken. Überall, wo seine Figuren nicht miteinander sprechen, ist er selbst als Agierender auf der Bühne zugegen, und wir können uns ein vollständiges Bild von seiner Person machen.

Da helfen auch ein paar kecke Witze nicht. Hier braucht es mehr, um zu unterhalten. Wir müssen spüren, dass der Autor ein Mann ist, der mehr weiß als wir; der tiefer empfindet und klarer denkt.

Aber im "Joppe" wird uns nichts oder nur wenig erzählt, was nicht fast jedes Kind schon im Vorhinein gewusst hätte. Und der Stil ist so, dass man – wenn man es nicht besser wüsste – dazu neigen könnte, die Verfasserschaft einer sehr jungen Dame zuzuschreiben. Die Erzählung schreitet in einem unaufhörlichen Strom von Worten fort, die weder Bilder zeichnen, noch etwas beinhalten.

Jedoch – eine Gestalt wird dem Leser in Erinnerung bleiben: Joppes Vater, Ole Kjærlund. Diese rechtschaffene Figur ist Eigentum des Verfassers, gezeichnet mit großer Freiheit und sicherer Hand. Ole Kjærlund zeugt davon, dass E. Christiansen das Potenzial dazu hat, auch im Bereich der Romandichtung Hervorragendes zu leisten und dass dieser Roman ein einmaliger Fehlgriff war.

Urbanus.

 
[1] Roman: Ernst Christiansen: Joppe. En ung Kvindes Historie [Die Geschichte einer jungen Frau] (1889) 372 Seiten. tilbage
[2] jahrelange Übung: Woher kann H.P. dieses Zitat haben? tilbage
[3] Et Rejseæventyr: Anton Ludvig Arnesen (1808-60) erreichte im Königlichen Theater seit 1837 insgesamt 117 Aufführungen seines Vaudevilles. Es wurde wiederaufgeführt am 13. Dezember 1889 und zu diesem Anlass als Buch veröffentlicht (nicht in Katalog REX der Königlichen Bibliothek registriert). tilbage