Tagebuch

10. Oktober.

"Min Kjærligheds Bog" hat Karl Gjellerup kühnerweiser eine Sammlung von Versen genannt, die er kürzlich bei P.G. Philipsens Verlag herausbrachte. Wenn man davon auszugehen wagt, dass die erste Hälfte dieser Gedichte der Jugend des Verfassers, die zweite seinen reiferen Jahren zuzuschreiben ist, so haben diese ihm zweifelsohne eine reiche Entwicklung gebracht.

Es kann ganz und gar nicht geleugnet werden, dass Gjellerups eigentlicher "Durchbruch" als Dichter von der Zeit herrührt, in der er sich von seinen ersten literarischen Freunden trennte. Unter diesen kann er sich kaum jemals wirklich zu Hause gefühlt haben. Seine Dichterperson passte nicht in die stolze literarische Garde aus den Siebzigern, die so auf die Schilde schlugen, dass sogar Taube sie hören mussten. Er sah jedenfalls bald selbst ein, dass er nur eine dürftige Figur in der schweren, glänzenden Rüstung der Himmelsstürmer abgab. Man beleidigt ihn nun kaum mit der Behauptung, dass es zu seiner Zeit ein geradezu unheimlicher Anblick war, ihn Drachmanns Durendal1 schwingen zu sehen, und dass weder Heines Piccoloflöte noch Swinburnes2 Endzeitposaunen zur Kraft seiner Lunge passten.

Allgemein liegen ihm der "große" Stil, die schwülstigen Worte, das wortreiche Pathos nicht. Sein Wesen birgt keine mannhaft aufbrausende Leidenschaft, sondern ist eine innere, tiefe Ergriffenheit mit einem weiblichen Hang zur Abgötterei. Er, der am Anfang auftrat wie der wildeste Jakobiner, ist in Wirklichkeit durchdrungen von Pietät; ja, gerade darin, diesem Gefühl dichterisch Ausdruck zu verleihen, hat er seine Spezialität gefunden. Was einem von den Seiten in seinem "Liebesbuch" entgegenkommt, ist Andacht, aufrichtige Hingabe. Dankbarkeit. Die Liebe ist hier eine Religion, die mit einer milden, rührenden Frömmigkeit besungen wird, die durch und durch betörend wirkt, weil sie nie in übertriebene Inbrunst oder Sentimentalität umschlägt.

Der Schluss des Buches ist ebenso reich an vorzüglichen, zutiefst gefühlvollen und schön geformten Gedichten wie sein Anfang an oberflächlichen und plumpen Reimereien. Man erkennt nach wie vor, dass die Geburt von Worten und Bildern auf den Lippen des Dichters nur unter starken Wehen geschieht, dass seine Kunst eine tüchtige Steinmetzarbeit ist, meistens jedoch mit einem bestimmten Vorbild vor Augen. Dafür gelangt nichts Unüberlegtes aufs Papier, und seine Gedichte werden nicht - wie es Drachmann manchmal passiert - zu "großen Glitzerblumen" ohne Duft.

Seltsam ist, dass Gjellerup, der nun so angenehm einsichtig über die Art und die Grenzen seiner Fähigkeiten zu sein scheint, sich anfangs dermaßen in sich selbst täuschen konnte. Doch doppelt seltsam, ja, geradezu kindisch war seinerzeit die Empörung, als er plötzlich seinen Irrtum erkannte. Wenn man durch seine eigene Schuld auf eine falsche Spur geraten ist, schleicht man sich für gewöhnlich mit so wenig Lärm wie möglich zurück; und es schickt sich nicht, sich im Nachhinein über eine Gesellschaft zu beschweren, in die man sich ungebeten hineingedrängt hat.

Urbanus

 
[1] Durendal: Das Schwert des Sagenritters Roland. tilbage
[2] Algernon Charles Swinburne: englischer Dichter und Autor (1837-1909). tilbage