Tagebuch

9. September

Es geschah heute Vormittag weit draußen auf dem Strandvejen. Bereits aus der Ferne konnte ich sehen, dass das, was in einer Staubwolke langsam auf mich zurollte, die tiefe und allumfassende Trauer war, die nur die Reichen und Vornehmen zu fühlen und an den Tag zu legen vermögen. Im gesamten Wagen und auf dem Geschirr der braunen Pferde gab es keinen einzigen glänzenden Nagel, die Lichter waren in Trauerflor gehüllt, und Kutscher und Diener saßen steif wie Leichen und mit schwarzen Handschuhen auf dem hohen Bock.

Wir anderen, weniger Begünstigten, können uns nicht derart in unsere Trauer vertiefen oder so vollständig unserem Schmerz hingeben. Wenn unser Kind oder unsere Gattin stirbt, müssen wir dennoch unsere Arbeit verrichten, mit fremden Menschen sprechen, unsere Köpfe mit allerlei weltlichen Gedanken füllen, und wir können nicht in unserer Amtsstube mit schwarzen Handschuhen sitzen oder in unserem Geschäft Trauerflor zur Schau stellen. Wir können uns nur so viel Zeit geben, um der Beerdigung des Verstorbenen beizuwohnen; im Übrigen müssen wir uns mit dem Bewusstsein unserer Trauer begnügen und sie in den wenigen stillen Augenblicken, die die Geschäftigkeit uns hier und da lässt, hervorholen wie eine Art Reliquie, die wir Tag für Tag hinter Schloss und Riegel in der Kammer unseres Herzens verwahren.

Ich kannte einmal einen Mann, dessen einziges Kind starb, gerade als er mit der Errichtung einer großen Fabrikanlage beschäftigt war, die den ganzen Tag lang seine persönliche Anwesenheit erforderte. Obgleich er wusste, dass die Tage des Kindes gezählt waren, sah der Witwer sich gezwungen, Fremden die Pflege vollständig zu überlassen, und nach dessen Tod musste er vom frühen Morgen an mit Unternehmern verhandeln, Vorstandstreffen leiten, mit Handwerkern sprechen, über die Witze der Direktoren lachen, Voranschläge machen und Berechnungen vornehmen. Erst um zehn Uhr abends erhielt er die Gelegenheit, an seinen Verlust zu denken, und von zehn bis elf saß er in den leeren Zimmern und schluchzte, bis Schlaf und Erschöpfung ihn überwältigten.

… Zwischen den Lederpolstern saßen zwei Damen, gekleidet in tiefste Trauer, lauter Atlas1 und Klöppelspitze. Ich wurde unwillkürlich von Mitleid ergriffen. Es machte einen unmittelbar schmerzhaften Eindruck, all dieses düstere Schwarz des Todes und des Grabes mitten im strahlenden Sonnenlicht und umgeben vom weißen, weltlichen Staub der Landstraße zu sehen.

Als der Wagen hingegen näherkam, sah ich, dass eine der in Trauer Gekleideten, eine füllige und trotz ihres mittleren Alters immer noch hübsche Dame, ihren Kopf in unaufhörlichem Gelächter in den Nacken gelegt hatte, während die andere, die jünger und schlanker war, nach vorn zu ihr gebeugt saß und eifrig gestikulierend eine offenbar sehr heitere Geschichte erzählte.

"Du kannst dir also vorstellen – gerade als er ins Schlafzimmer hereinkam – "

Nur diese Worte vernahm ich, als der Wagen vorbeirollte. Aber noch ein langes Stück den Weg entlang konnte ich das silberhelle Lachen der zweiten Dame hören.

Urbanus.

 
[1] Atlas: Seidenstoff. tilbage