Tagebuch

Es scheint tatsächlich, als beginne die Hölle zu wackeln und der Teufel aus dem letzten Loch zu pfeifen.

Das moderne Christentum verwirft den Glauben an die ewigen Qualen als jeglichem menschlichen Gefühl widersprechend und unvereinbar mit der Überzeugung von einer allumfassenden Güte Gottes. Die siegreich vorrückende "Heilsarmee" wirbt ihre Rekruten, indem sie mit der Marter des Schwefelpfuhls droht, derweil ist die Teufelslehre aus den Katechismen vieler Christen gestrichen worden.

Ja – wer hätte das gedacht – selbst Pastoren in Talar und Beffchen beginnen die Sache ernsthaft zur Diskussion zu stellen. Das macht bereits eine nicht geringe Anzahl Geistlicher innerhalb der dänischen Volkskirche, die in Wort und Schrift offenkundig die Existenz der Höllenstrafe leugnen und generell die bisher gängigen Vorstellungen des Christentums über ein vermeintliches Leben nach dem Tod bestreiten.

Ehrlich gesagt ist es ein Jammer, dass man nicht schon etwas früher zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Wie viel Unruhe, Angst und Zittern hätte einem da nicht erspart bleiben können? Jahrhundertelang hat uns die Furcht vor einem jenseitigen Leben und dem Urteil über unsere Taten wie ein Alp auf die Brust gedrückt. Der Gedanke an den Teufel, der an jeder Ecke auf uns lauerte, hat unsere Freuden vergiftet und Schrecken in unsere schönsten Träume gebracht. Von Kindesbeinen an haben wir gelernt, vor den verzehrenden Flammen der Hölle zu erschaudern und an die Unglücklichen gedacht, die dort von Ewigkeit zu Ewigkeit gepeinigt werden.

Und nun erfahren wir, dass das Ganze ein Irrtum ist und auf einem bedauerlichen Missverständnis beruht. Das mit dem Teufel ist bloß Einbildung und einen Ort namens Hölle gibt es nicht.

Im Grunde genommen sollte dies vielleicht gar nicht verwundern. Wiederholt man in Gedanken noch einmal, was man über die Religionsgeschichte gelernt hat, wird man zu der Erkenntnis gelangen, dass nichts in der Welt so veränderlich ist wie die "ewigen Wahrheiten". Während gewöhnliche irdische, und daher zeitweilig recht verachtete Wahrheiten wie dass die Erde rund ist und Eisen schwerer als Holz, sich dauerhaft besten Wohlergehens erfreuen, kommt es nicht selten vor, dass ihre himmlischen Kollegen eines jämmerlichen Todes sterben und als glatte Lüge zu neuem Leben erstehen.

Wenn es sich nun aber so verhält, scheint Grund für die guten Pastoren gegeben, anders Denkende nicht allzu hart anzugehen. Wie ist es schließlich noch denen ergangen, die vor gerade mal 10-12 Jahren gewagt haben, ihre Stimme gegen den Teufelskult zu erheben? Und nun haben selbst die Pastoren die gleiche Sorte Leugner in ihrer Mitte.

Jedoch – möchte man nun vielleicht fragen – wenn es keinen Teufel mehr gibt, keine Strafe und damit auch keinen Lohn; wenn nicht einmal die Pastoren mehr wagen, sich zu einem Leben nach dem Tod zu äußern und wenn der Glaube keine Gewissheit dessen ist, was wir nicht sehen können – was ist dann das Ganze? Worin besteht also das Christentum? Was ist dann Glaube?

Das moderne Christentum ist wohl, knapp gesagt, allein die Hingabe zu einem Zusammenleben mit Christus, jedermanns Freund, Bruder und Tröster. Man braucht bloß eines Abends auf die Frederiksberg Allee zu gehen und einem Treffen der "Heilsarmee" beizuwohnen und man wird so gut wie nichts von Sünde oder den Qualen der Hölle hören, sondern allein von der Freude, die die Freundschaft zu Christus mit sich bringt. Hierum drehen sich all ihre Bekentnisse. Sie folgen Christus nicht in der Hoffnung auf Belohnung in einem jenseitigen Himmelreich oder aus Furcht vor einer Strafe im ewigen Höllenfeuer, sondern allein wegen der großen Freude, der Seligkeit, die er ihnen in der Gemeinschaft bereits hier unten täglich beschert.

Auf die gleiche Weise äußert sich der moderne Prophet Tolstoi in seinen Erbauungsschriften. Der Glaube, die Hingabe, berge die Belohnung in sich selbst, ganz wie bei einer irdischen Liebesbeziehung. Wenn er fragt: "Worin besteht das Glück?", so antwortet er: zuallererst darin, zu entsagen – nicht "dem Teufel", sondern "der weltlichen Lehre" – und Christus zu folgen. Und wohlgemerkt: Von einem Leben danach spricht er nicht. – –

Es ist eine heftige Amputation, die damit zur Zeit an der christlichen Lehre vorgenommen wird. Die Frage ist dann, ob sie diesen Verlust wirklich verkraften kann oder ob sie nicht daran verbluten wird.

Urbanus.